Auf Schienen fliegen

ÖBB-Hochgeschwindigkeitszug Railjet gestartet

Auf der Innotrans 2008 konnte er besichtigt werden und in SIGNAL 6/2008 fand er bereits eine Erwähnung: der „Railjet“ genannte neue Hochgeschwindigkeitszug der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Hier soll er nun genauer vorgestellt und mit dem Konzept des ICE der Deutschen Bahn verglichen werden.

Am 15. September 2008, drei Monate vor dem ersten fahrplanmäßigen Einsatz, wurde der neue Zug in Wien-Simmering der Öffentlichkeit präsentiert und rund eine Woche danach im Rahmen der Innotrans der internationalen Fachöffentlichkeit.

Railjet
Der Railjet der ÖBB auf der Innotrans in Berlin im September 2008. Foto: Florian Müller

Bisher gab es bei den ÖBB kaum erkennbare Aktivitäten zu eigenen Hochgeschwindigkeitsfahrzeugen, denn man nutzte u. a. die aus Deutschland einfahrenden ICE für schnelle Verbindungen. Der nationale Ausbau der Westbahn von Salzburg nach Wien im Rahmen der europäischen Magistrale Paris—München—Salzburg—Wien— Budapest führt nun auch in Österreich zur Beschaffung von 67 neuen Hochgeschwindigkeitszügen.

Bis zu 230 km/h

Die neuen Züge fahren 200 km/h schnell. Ab 2012 will man Reisende dann mit bis zu 230 km/h befördern. Hier zeigt sich bereits der Unterschied zum ICE, der ja mit 250 bzw. sogar 300 km/h verkehren kann, aber dafür eine möglichst gerade Trassierung mit minimalen Kurvenradien benötigt (siehe Berlin— Hannover). Zwar begradigt man auf der Westbahn und im weiteren Netz auch einige Strecken, aber wegen der Topografie in Österreich bleibt dies die Ausnahme.

Inneneinrichtung
Infopoint im Railjet. Das ist für die Reisenden ansprechend. Foto: Karsten Müller

Um das neue Produkt zu vermarkten, suchte man einen griffigen Namen, der auch europaweit zu vermarkten ist. Mit dem Namen „Railjet“ sollte dies gut möglich sein. Der Name ist kurz, ja sogar schneller ausgesprochen als die deutsche Abkürzung ICE, und er verdeutlicht die Grundidee des Zuges: Alternative zum Flugzeug. Betrachtet man die Entfernungen innerhalb von Österreich und in die angrenzenden Staaten, dürfte bei einer seriösen Betrachtung aller Faktoren wie Preis, Verfügbarkeit, Komfort und der tatsächlichen Reisezeit von Zentrum zu Zentrum der Railjet eine gute Alternative sein.

Dem Namen entsprechend hat man im Railjet Anleihen beim Flugverkehr gemacht. Dieser Zug verfügt über drei Sitzplatzkategorien: Premium, First und Economy. Der Sitzabstand ist selbst in der Economy Class des Railjets mit 92,5 cm größer als in der Economy der Lufthansa mit 81,2 cm.

Gestartet wurde zum Fahrplanwechsel im Dezember 2008 mit einem Zugpaar München— Wien—Budapest und einem weiteren zwischen Wien und Budapest. Im April, Juli und September 2009 folgen zwischen Wien und München weitere Umstellungen von IC-/EC-Verbindungen auf den Railjet. Durch den Tausch der Fahrplanlagen mit den Zügen in Richtung Klagenfurt ab bzw. nach München werden gute Umsteigebeziehungen u. a. zu den Nachtzügen von und nach München ermöglicht.

Ein Schritt zurück?

Von verschiedener Seite wird ausgeführt, der Railjet wäre ein Schritt zurück in der Entwicklung, denn im Gegensatz zur DB AG mit der Orientierung auf Triebzüge (wie dem ICE) setzen die ÖBB auf einen lokbespannten Wendezug. Der Railjet wird vornehmlich mit den bereits von den „Kinderkrankheiten“ geheilten Loks der Taurus-Reihe gezogen. Der Zug kann aber auch von Dieselloks gezogen und betrieben werden. Gerade im Störungsfall liegt hier ein wesentlicher Vorteil gegenüber dem ICE.

Infobildschirme
Infobildschirme dieser Art sind gleichmäßig im Wagen verteilt und bieten verschiedenste Informationen zum Streckenverlauf und zu Anschlüssen. Foto: Karsten Müller

Gleichfalls kritisiert wurde die Form der Wagen, doch genau diese Form schafft im Wagen einiges mehr an Platz für Sitzplätze und nutzbare (!) Gepäckablagen über den Sitzen.

Die Verwendung von speziellen Wagen nur für den Railjet wurde ebenfalls kritisiert. Dadurch entstünden Beschränkungen beim Austausch von defekten Wagen oder der Verlängerung einer Garnitur um weitere Wagen. Doch der deutsche ICE als Zugeinheit ist noch starrer, ein Wagentausch ist quasi unmöglich und beim Koppeln von Zügen zu einem Verband gibt es technische Probleme. Das Railjet-Konzept dagegen erlaubt den Tausch und die Vergrößerung des Zugverbandes um weitere Railjet-Wagen. Selbst andere Wagen können den Zügen beigestellt werden – dies führt dann allerdings zu Einbußen bei der Geschwindigkeit. Auch ein Flügelzugbetrieb mit zwei gekoppelten Zügen ist möglich und entspricht dem Konzept des ICE 2.

Außen- und Innengestaltung

Die Farbgestaltung des Zuges resultiert aus einem Leserwettbewerb der ÖBB mit einer Zeitung. Über den Geschmack mag man streiten. Sicher sind die dunklen Farben ein Vorteil. Das Weiß der deutschen IC- und ICE-Züge sieht schneller dreckig aus. Doch fünf (!) verschiedene Farbtöne beim Railjet sind etwas zu viel des Guten. Zur Fahrgastinformation nach außen verwendet man Matrixanzeigen neben den Türen, mit allen bekannten Vor- und Nachteilen. Im Inneren des Zuges dominieren Grautöne, was zwar nicht negativ ist, doch wer noch ältere Reisezugwagen kennt, weis, dass verschiedene Farbtöne auch für Gemütlichkeit sorgen konnten. In der Gestaltung der Klassen unterscheiden sich die Sitze im verwendeten Material (Leder, Stoff), deren Größe und der Ausführung der Zusatzausrüstungen (Abstelltische). Alle sind ergonomisch geformt.

Gepäckablage
Ablage über den Sitzen. Im ÖBB-Railjet hat Gepäck wirklich Platz. Foto: Karsten Müller

Im Gegensatz zum ICE ist beim Railjet auch das Reisen mit Koffern kein Problem. Neben Ablagen für Laptop und Aktentasche gibt es auch größere Gepäckfächer im gesamten Wagen verteilt und über den Sitzen befinden sich weitere große Gepäckablagen.

Bei der Fahrgastinformation nutzt man mehrere im Wagen verteilte Monitore, die von allen Plätzen einsehbar sind. Zusätzlich kann man sich an einem vom Zugchef besetzten Servicepoint informieren, der nicht unscheinbar wie im ICE in einem Abteil versteckt ist.

Wenig anziehend wirkt leider das Bordbistro im Zug, hier hätte ein wenig mehr Farbe und eine andere Aufteilung sicher Wunder bewirkt. Sogar der recht sachliche Eindruck im deutschen ICE wirkt besser.

Die Betreuung der Fahrgäste ist auch ein weiterer Unterscheidungspunkt der drei Klassen. In der Premium-Klasse werden ein kostenloser Imbiss und Zeitungen an den Platz geliefert (erste Klasse-Ticket/First + einmalig 25 Euro), in der First-Klasse erfolgt die Lieferung gegen Bezahlung (wie im ICE) und in der Economy-Klasse erfolgt der mobile Verkauf oder man besucht das Bistro.

Das Personal mit dem Verkaufswagen wird einen weiteren Vorteil des Zuges gemeinsam mit Rollstuhlnutzern schätzen: die breiten Durchgänge zwischen den Wagen. Rollstuhlfahrer werden über einen bis 300 kg tragfähigen Lift in den Wagen der Firstclass gehoben, den sie kostenlos bzw. zum Preis der Economy nutzen.

Ausblick

Nach der Umstellung der Strecke über die Westbahn soll ab Fahrplanwechsel 2009/2010 die Verbindung Wien—Salzburg— Bregenz/—Zürich umgestellt werden. Wünschenswert erscheint für den Fahrgast die Nutzung auch im weiteren internationalen Verkehr.

Man kann der ÖBB und deren Fahrgästen einen erfolgreichen Einsatz des Zuges und gute Fahrt wünschen. Für den deutschen Fahrgast bleibt zu hoffen, dass DB Fernverkehr erkennt, dass es nicht nur Geschäftsreisende (mit wenig Platzbedarf für Gepäck) gibt und dass einige vermeintliche Rückschritte (wie die Lokbespannung) durchaus Chancen bieten.

Deutscher Bahnkunden-Verband

aus SIGNAL 1/2009 (März 2009), Seite 20-21

 

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