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Soll & Ist: Echtzeitdaten im Test

Ein Fahrplan ist schön und gut, jedoch gibt es auch Störungen. Echtzeitdaten sollen die Kunden informieren, wann mit der tatsächlichen Abfahrt zu rechnen ist oder ob die Fahrt sogar ausfällt. In unserer Serie „Service im Test“ beleuchten wir dieses Mal Qualität und Aufbereitung von Echtzeitdaten im VBB.

soll und ist
Titelbild: Soll & Ist. Die fahrplanmäßige und die tatsächliche Abfahrtzeit von Bahnen und Bussen differieren oft und werden deshalb immer öfter kommuniziert. Echtzeitfahrplandaten im Internet – unser Themenschwerpunkt dieser Ausgabe. Foto und Montage: Holger Mertens

Grundsätzliches

Echtzeitdaten sind Daten, die Verkehrsunternehmen über die Positionen Ihrer Fahrzeuge im Streckennetz zur Verfügung stehen. Daraus lässt sich für jede Station berechnen, wann das Fahrzeug vermutlich an dieser eintrifft. Soweit die Theorie, klingt eigentlich ganz einfach. Doch in der Praxis hapert es an der Weitergabe zum Kunden.

Nicht einmal für die Hälfte aller Fahrten stehen den Fahrgästen im VBB-Gebiet Echtzeitdaten zur Verfügung – und diese wenigen müssen sie sich dann auch noch mühevoll zusammensuchen. Entweder findet man sie nur beim Unternehmen, nur beim VBB, nur bei der Bahn oder bei Bahn und VBB in unterschiedlicher Qualität.

Wozu brauche ich das eigentlich?

Der Fahrgast ist abhängig. Lässt er sich auf das „Abenteuer ÖPNV“ ein, so muss er den Informationen des Verkehrsunternehmens vertrauen. Kommt er zu einer Haltestelle, so hängt dort im Glücksfall ein gültiger Fahrplan. Ob und wann das Fahrzeug tatsächlich kommt, und ob es auch dort hinfährt, wo es soll, ist ungewiss. Die Fahrt kann verspätet, umgeleitet, teilweise unterbrochen sein oder ganz ausfallen.

Informationen über solche aktuellen Ereignisse sind aber da. Sie müssen nur die Kunden erreichen. Sind an der Haltestelle keine stationären Echtzeit-Informationssysteme installiert, bleibt nur das Internet.

Gesucht und nicht gefunden

„Ja, dann geh ich halt einfach auf diese Internetseite.“ – Falsch! Denn DIE Internetseite gibt es nicht, das wäre zu einfach. Der Fahrgast hat zu wissen, mit welchem Verkehrsunternehmen und welchem Verkehrsmittel er unterwegs ist und wo es Echtzeitinformationen dazu gibt.

Ist man beispielsweise in Berlin mit Bus oder Straßenbahn der BVG unterwegs, so muss man auf den Internetseiten der BVG suchen. Die U-Bahn gehört zwar auch zur BVG, liefert aber keine Echtzeitdaten. Dafür ist sie angeblich zu pünktlich und absolut störungsfrei.

Auch die Berliner S-Bahn bot bis vor Kurzem keine Echtzeitdaten im Internet an. Hier hat die S-Bahn-Krise jedoch zu einem Umdenken geführt. Das System befindet sich derzeit in der Abschlussphase und ist zum Teil bereits für den Kunden verfügbar – leider jedoch nur mit Einschränkungen.

Express-S-Bahn
Noch nicht ganz rund laufen die Datenlieferungen der S-Bahn, sodass aus einem ausfallenden Zug schonmal eine Express-S-Bahn wird. Da auch die sogenannten „Dynamischen Schriftanzeiger“ aus dieser Datenquelle beliefert werden, entstehen somit auf manchen Bahnhöfen seltsame Anzeigen. m.bahn.de

Reisendeninformationssystem der DB (RIS)

Informationen zu S-Bahn, Regional- und Fernzügen findet man auf den Seiten der Deutschen Bahn, jedoch nur, wenn das Fahrzeug auch der DB gehört. Züge anderer Verkehrsunternehmen werden ausgefiltert, obwohl auch dazu der DB Echtzeitinformationen vorliegen.

Für die S-Bahn Berlin gibt es verlässlich derzeit nur Verspätungsangaben sowie Informationen über geplante Betriebsabweichungen. Alles andere, was aktuell im Betriebsablauf stattfindet, etwa verkürzte Linienwege, Gleiswechsel oder plötzliche Ausfälle, ist erst vor wenigen Tagen aufgeschaltet worden und läuft noch nicht ganz so, wie es soll. Das ändert sich jedoch täglich und wird hoffentlich bald in der gleichen Qualität verfügbar sein, wie es bereits bei Regionalzügen der Fall ist.

Im Regional- und Fernverkehr werden vielfältige Informationen zur Verfügung gestellt. Zugausfälle, Ersatzzüge, geänderte Linienwege, Gleiswechsel, geänderte Wagenreihung etc. sind für fast alle Züge der DB zu finden – solange man auch seinen Zug findet. Denn leider ist das System komplett auf Zugnummern ausgelegt. So hat der Kunde einiges an kriminalistischem Spürsinn aufzubringen, um herauszufinden, ob der Zug nach Cottbus nun ein RE 1 oder RE 2 ist oder ob nach Stralsund nun über Prenzlau (RE 3) oder Neubrandenburg (RE 5) gefahren wird. Nur das gleichzeitige Aufschlagen eines Liniennetzes und ein Vergleich der Unterwegshalte kann diese Information offenbaren.

Und nicht nur das. Da sich die Deutsche Bahn sicher ist, dass ihre Kunden mit Zahlen, die nicht durch 5 teilbar sind, hoffnungslos überfordert sind, werden Verspätungen hartnäckig auf den nächsten vollen Fünf-Minuten-Schritt abgerundet. Das ist besonders albern und unsinnig, wenn beispielsweise bei der S-Bahn im 5-Minuten-Takt gefahren wird. Hier sorgt die 5-Minuten-Rundung damit für die vollständige Entwertung der Verspätungsinformation.

Gleiswechsel
Auf der Handyseite des VBB werden besondere Vorkommnisse wie verkürzte Zugläufe oder Zusatzzüge nicht richtig angezeigt. Das harmloseste ist da noch dieser verpasste Gleiswechsel. m.bahn.de www.vbb-fahrinfo.de

VBB Fahrinfo

Will man seine Zugverspätung minutengenau wissen, muss man auf der Seite des Verkehrsverbundes Berlin Brandenburg (VBB) nachsehen. Hier sind die Verspätungen ungerundet – dafür ist die Aktualität ein wenig schlechter. Veränderungen erscheinen auf der VBB-Seite häufig einige Sekunden bis Minuten später, als im Reisendeninformationssystem (RIS) der Bahn. Außerdem verschweigt der VBB in seiner Handyversion Gleiswechsel, Zugumleitungen und Ersatzzüge. Hier muss sowohl beim Aktualisierungsintervall als auch bei der Datenqualität nachgebessert werden. Hinzu kommt, dass die Echtzeitdaten manchmal tagelang ohne Hinweis abgeschaltet sind.

Dafür hat der VBB aber auch Daten zu Bussen und Straßenbahnen in Brandenburger Städten, die man selbst auf der Seite des entsprechenden Verkehrsunternehmens vermisst. Auch Hinweise dazu fehlen. So beispielsweise in Frankfurt (Oder); wer hier auf den Seiten der Stadtverkehrsgesellschaft (SVF) sucht, wird nie erfahren, dass es für alle Straßenbahnen und viele Busse Echtzeitdaten im Internet gibt.

BVG-Echtzeitdaten mal wieder nicht verfügbar
Leider viel zu häufig zu sehen: eine Fehlermeldung auf der BVG-Seite. Der „Wartungsmodus“ ist dabei nur eine der vielfältigen Ausfall-Anzeigen. mobil.bvg.de

Ist-Abfahrtszeiten der BVG

Gut Werbung macht hingegen die BVG für ihr Echtzeitsystem. Leider hält es überhaupt nicht, was es verspricht. Zu gebrauchen ist es eigentlich nur, wenn alles in Ordnung ist. Über Pünktlichkeit und leichte Verspätungen oder Verfrühungen bis zu zwei Minuten informiert es zuverlässig. Doch wehe, es passiert etwas Unvorhergesehenes. Gibt es eine Störung, wonach Züge umgeleitet werden, tut das System, als wäre alles normal. In den Abschnitten, wo keine Straßenbahn mehr fährt, werden weiterhin fleißig Abfahrten angezeigt, sogar mit Echtzeitangaben – wo auch immer die dann herkommen. Dafür fehlen die Züge allerdings auf den Abschnitten, wo sie tatsächlich verkehren.

Das liegt aber nicht am technischen System. Greift ein Disponent händisch in den vorgegeben Betrieb ein, so müsste er auch ins Fahrgastinformationssystem händisch eingreifen und eingeben, welche Züge wie umgeleitet werden. Faktisch wird das aber kaum gemacht, so dass die beschriebenen Probleme auftreten. Das findet die BVG so auch völlig in Ordnung, schließlich habe die Beseitigung der Störung Vorrang vor der Fahrgastinformation.

Mit dieser Ignoranz hat man sich jedoch ein gutes Informationssystem so kaputt gemacht, dass es immer genau dann gerade nicht funktioniert, wenn es der Fahrgast am meisten braucht.

Doch nicht nur aktuelle Störungen, auch Vorhersehbares bereitet Probleme. Als 2010 die Bauarbeiten auf dem Alexanderplatz um zwei Wochen verlängert werden mussten, hat es niemand für nötig erachtet, diese Änderung im Echtzeitsystem einzutragen. Volle 2 Wochen fuhren die Züge in der Fahrgastinformation über den Alex, obwohl sie doch die Umleitungsstrecke befuhren.

Schlimm wird es auch für den Fahrgast, wenn die fehlgedeutete BVG-eigene Beschilderungspolitik zuschlägt. Bei den monatelangen Bauarbeiten auf der U 2 in Pankow hatte der Fahrgast entlang der SEV-Bus-Strecke nur Busse der Richtung „Ersatzverkehr U 2 + M 1“ zu sehen bekommen – in beiden Richtungen. Somit war nicht erkennbar, für welche Richtung die angezeigten Abfahrtszeiten nun gelten. Damit hat man es geschafft, den gesamten Informationsgehalt auf einen Schlag unbrauchbar zu machen. Eine Leistung, die ihres gleichen sucht.

Usability! Welche Usability?

Ein Fremdwort, leider nicht nur – verständlicherweise – für einige Leser, sondern auch für die Entwickler solcher Systeme. Usability bedeutet nichts weiter als Benutzerfreundlichkeit. Doch davon ist man noch weit entfernt. VBB und Bahn zwingen die Informationssuchenden immer und immer wieder durch dieselben mühseligen Eingabemasken.

Usability-Error
Schlechte Usability (Benutzbarkeit): Bei der Stationseingabe vom VBB wird ein Eintrag aus der Liste gewählt. Auf der nächsten Seite wird dann behauptet, die Eingabe sei nicht eindeutig gewesen. Bis man sich zur Abfahrtstafel durchgeklickt hat, ist der Zug vielleicht schon weg. mobil.vbb-fahrinfo.de

Hat es der Kunde einmal geschafft, nach einer Klickorgie endlich seine Abfahrtstafel zu sehen, kommt er bestimmt auf die Idee, diese Seite seinen Favoriten (bzw. Lesezeichen) hinzuzufügen. Doch ruft er dieses später wieder auf, erwarten ihn böse Überraschungen.

Entweder er landet wieder auf der Startseite und muss alles erneut eingeben, oder er landet tatsächlich auf seiner Abfahrtstafel – die allerdings die Abfahrten von Datum und Uhrzeit zum Zeitpunkt des Anlegens des Lesezeichens anzeigt. So darf sich dann der Kunde statt immer der aktuellen Abfahrten bei jedem Aufruf die Abfahrten beispielsweise vom 17. März 2009 um 14.47 Uhr ansehen.

Umgehen kann man das, indem man beim Anlegen des Lesezeichens die Internetadresse der Seite derart manipuliert, dass man Zeit und Datumsangabe herauslöscht. Doch wer macht sich die Mühe? Sollte man dem Benutzer diese Funktion nicht standardmäßig zur Verfügung stellen? Natürlich sollte man!

Wenigstens kann man sich bei Bahn und VBB den Zuglauf ansehen, wenn man auf Linie bzw. Zugnummer klickt. Jedoch meint die Bahn, dass die Stationen, die der Zug bisher angefahren hat, uninteressant seien und unterschlägt sie in der Zugübersicht.

Eine Linienübersicht erhält man bei der BVG jedoch nicht. Hier kann man nicht auf die Linie, sondern nur auf die Zielhaltestelle klicken – warum auch immer. Wenn man am Nordbahnhof steht und dort die Linie 12 zum Pasedagplatz fährt, dann interessiert einen wohl eher, wo die Bahn langfährt, und nicht die Echtzeitabfahrten am Pasedagplatz.

Zumindest die Hemmschwelle, das System zu benutzen, hat man bei der BVG wesentlich niedriger gelegt, als Bahn und VBB. So gibt es auf den BVG-Fahrplänen einen zweidimensionalen grafischen Code (QR-Code), den man mit der Handykamera abfotografieren kann, um dann direkt auf die Internetseite für diese Haltestelle geleitet zu werden, die man sich hier sogar als Favorit abspeichern kann.

Erstaunlich ist auch, dass bei all den Systemen auf die Angabe der Liniensignets mit Farbe verzichtet wird. Dabei erleichtert es gerade an größeren Stationen, in der scheinbar endlosen Tabelle seinen Zug oder Bus zu finden. Die Aufzählung ist stur nach Abfahrtszeit geordnet. Eine sinnvolle Gruppierung nach Richtung oder wenigstens Verkehrsmittel wird nicht angeboten.

Fazit

In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts ist der ÖPNV fast flächendeckend mit rechnergestützten Betriebsleitsystemen (RBL) ausgestattet worden. Damit waren dann Fahrzeugpositionen bekannt, und man hätte diese Informationen den Fahrgästen ebenso flächendeckend und benutzerfreundlich schnell zur Verfügung stellen können.

Doch selbst 2012 ist man davon noch immer weit entfernt. Zu einer Zeit, in der Autos serienmäßig Navigationssysteme eingebaut haben, die aktuell über Staus, Unfälle, Umleitungen und freie Parkplätze informieren, muss sich der ÖPNV-Fahrgast seine Echtzeitdaten mühevoll von einzelnen umständlichen Webseiten unterschiedlicher Unternehmen, die auf ihren Daten sitzen, zusammensuchen. Sie erklären die Fahrgäste für unmündig, weshalb man ihnen offensichtlich gewisse Informationen vorenthalten muss.

Peinliche Ausreden sind zu hören: Informiere man zu ausführlich, könne der Eindruck entstehen, das eigene Verkehrsmittel sei unzuverlässig. Oder andere Unternehmen würden Verspätungsstatistiken über einen anlegen. Diese irrationale Angst schadet aber nur dem Verkehrsunternehmen, dem System ÖPNV insgesamt und letztendlich dem Fahrgast. All diese Kleinstaaterei macht Bus- und Bahnfahren unübersichtlich.

Die Daten, die vorhanden sind, soll man schleunigst allen zur Verfügung stellen – auch und besonders den anderen Unternehmen. Dann können sich alle endlich auf das konzentrieren, was wichtig ist: Die gemeinsame Datenqualität zu verbessern, das eigene System nutzerfreundlicher zu gestalten und damit Barrieren abzubauen.

Die Offenlegung der Schnittstellen wird schnell für gute kostenlose Informationssysteme Dritter sorgen, die mit denen für Autofahrer locker mithalten können. Erste Ansätze sind bereits zu erkennen. So sind Smartphone-Apps (Programme für neuere Handys), die von externen Einzelpersonen im Alleingang entwickelt wurden, schon jetzt leistungsfähiger und nutzerfreundlicher, als alles, was die Verkehrsunternehmen bisher online gestellt haben. (hm)

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 1/2012 (März 2012), Seite 6-7

 

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