Titelthema S-Bahn-Verlängerung

Kann Peter Buchner den „Gordischen Knoten“ durchschlagen?

Express-S-Bahn ins Havelland erstmals öffentlich vorgestellt

Reißverschluss mit Berlin und Brandenburg symbole
Reißverschluss S-Bahn: Gibt man ihr Auftrieb, so verbindet sie das Umland in Brandenburg mit der Metropole Berlin. Zieht man sie jedoch runter, trennt man die beiden Bundesländer weiter. Foto und Montage: Holger Mertens

Seit dem Mauerfall streiten Berliner und Brandenburger, ob das westliche Spandau und das Osthavelland zukünftig schwerpunktmäßig mit einer S-Bahn-Verlängerung oder Regionalzügen erschlossen werden soll. Der von der S-Bahn Berlin GmbH entwickelte Vorschlag einer Express-S-Bahn hat neuen Schwung in die festgefahrene Debatte gebracht.

Die Idee einer Express-S-Bahn von Berlin bis nach Nauen hatte die S-Bahn GmbH in ausgewählten Kreisen schon 2015 vorgestellt und diskutiert. Aber am 14. März 2016 ging S-Bahn-Chef Peter Buchner damit erstmals in die Öffentlichkeit. Die Bühne dafür bot ihm der scheidende Landrat Burkhard Schröder, der zu einer öffentlichen Informationsveranstaltung nach Falkensee eingeladen hatte. Er wünsche sich, so seine Begründung, dass seinem Nachfolger gelingen möge, was ihm in langer Amtszeit versagt blieb: eine attraktive und leistungsfähige Schienenanbindung von Berlin ins Osthavelland. Und hier sehe er in der Express-S-Bahn eine Chance, die tiefen Gräben zwischen Regionalzug- und S-Bahn-Befürwortern zu überwinden. Dementsprechend optimistisch hatte er auch den Titel seiner Veranstaltung gewählt: „Das alternative Bedienkonzept einer Express-S-Bahn für das Osthavelland“.

„Nur ein Diskussionsbeitrag“

Gleich am Anfang stellte Peter Buchner klar, dass es sich lediglich um einen Diskussionsbeitrag handele, denn die S-Bahn Berlin GmbH sei nicht der Besteller der Verkehrsleistungen. Gerichtet war das sicherlich vor allem an die anwesenden Vertreter aus dem zuständigen brandenburgischen Infrastrukturministerium.

S-Bahn im Bahnhof Spandau
S-Bahn oder Regionalbahn nach Falkensee – das ist hier die Frage. Seit 1998 endet die S-Bahn hier in Berlin-Spandau, weiter geht es mit dem Regionalverkehr. Foto: Florian Müller

Einen Anlass zum Handeln und eine Chance für Veränderungen sieht Buchner in den vergleichsweise niedrigen Fahrgastzahlen auf der Schiene im Verhältnis zur hohen Einwohnerzahl in dieser seit 25 Jahren überdurchschnittlich wachsenden Region. Die Regionalzüge seien vor allem im Berufsverkehr überfüllt und führen in einem unattraktiven Fahrplan. Zum Beweis legte er die Fahrpläne des Regionalverkehrs vor, die durch die gemeinsame Nutzung der Gleise mit Fernverkehr und Güterzügen sowie die Engpässe im Bahnhof Berlin-Spandau unattraktiv seien.

Regionalverkehr nicht vertaktet

Hier kam Buchner und allen Befürwortern der S-Bahn-Verlängerung entgegen, dass das Regionalzug-Angebot mit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2015 schlechter wurde. Die vier stündlichen Zugpaare zwischen Berlin und Falkensee fahren nicht annähernd im Takt, sondern jeweils innerhalb einer halben Stunde.

Dementsprechend warb Peter Buchner vehement für eine S-Bahn mit einem stabilen 20-Minuten-Takt bis Nauen. Diese soll zwischen Westkreuz und Spandau ohne Halt verkehren, kann aber im Bedarfsfall (Großveranstaltungen) in Messe Süd oder Olympiastadion oder Pichelsberg halten.

Wünschen, die Express-S-Bahn mit Toiletten auszustatten oder schneller als 100 km/h zu fahren, erteilte Buchner eine klare Absage. Das sei unwirtschaftlich.

In der Diskussion äußerten sich neben Vertretern aus den traditionellen Lagern der Regionalzug- und der S-Bahn-Befürworter auch mehrere Politiker und einzelne Fahrgäste vorsichtig optimistisch, dass die Express-S-Bahn mit ihren geringeren Fahrzeiten so manchen Verfechter des Regionalzugverkehrs überzeugen könne. Darunter waren Falkensees Bürgermeister Heiko Müller und der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Falkensee, Wolfgang Jähnichen – einst verantwortlich für den Busverkehr der BVG und den Nahverkehr in Leipzig.

Bessere Verteilung der P+R-Pendler

Grafik der Pendlerströme
Das Havelland ist trotz hoher Pendlerströme als einzige Entwicklungsachse nicht an die S-Bahn angebunden. Grafik: S-Bahn Berlin GmbH, Daten aus Verkehr in Zahlen 2013
Tabelle
In Falkensee wird das Fahrgastpotenzial aktuell noch nicht ausgeschöpft. Obwohl Falkensee mehr Einwohner als Strausberg hat, sind die Fahrgastzahlen deutlich geringer. Die Beispiele Strausberg und Teltow zeigen, dass in Falkensee ein hohes Potenzial für mehr Fahrgäste vorhanden ist. Grafik: S-Bahn Berlin GmbH, Daten Teltow und Strausberg nur S-Bahn 2015
Liste der Taktlücken
Die Express-S-Bahn bietet deutlich mehr Abfahrten, Taktlücken können geschlossen und ungerade Takte vermieden werden. Beispiel: Abfahrten ab Falkensee nach Berlin (6 bis 9 Uhr). Grafik: S-Bahn Berlin GmbH, Daten nach Fahrplan 2016 und Express-S-Bahn vorläufiger Fahrplanentwurf

Die Stadt Falkensee erhofft sich von einer Express-S-Bahn, die im Landkreis Havelland aber an allen Stationen hält, eine bessere Verteilung der P+R-Pendler. Außerdem sei die S-Bahn für den Binnenverkehr innerhalb des Landkreises attraktiver.

Unterstützer der Express-S-Bahn-Idee verwiesen darauf, dass es für die Attraktivität nicht nur auf die Fahrzeit Falkensee—Berlin Hbf ankäme. Mit den zahlreichen Zu- und Ausstiegsmöglichkeiten der S-Bahn würden für viele die Zeiten kürzer, um den nächsten Bahnhof zu erreichen.

Zunehmender Freizeitverkehr

Außerdem solle man nicht nur an die Berufspendler denken, sondern die wachsende Zahl von Rentnern und Fahrgästen im Freizeitverkehr. Hier komme es oft nicht auf maximale Schnelligkeit an.

Vor allem einige Stadt- und Kreisvertreter von CDU und Grünen plädierten dennoch für den Ausbau des Regionalzugverkehrs. Mit einem dritten Streckengleis könne dieser attraktiver und flexibler werden. Peter Buchner verwies aber darauf, dass das Projekt eines dritten Gleises bisher nur vom Land Brandenburg, nicht aber von Berlin verfolgt wird und dass dieses dritte Gleis die Engpässe im überlasteten Bahnhof Berlin-Spandau nicht löst, sondern verschärft.

Das Projekt der Express-S-Bahn ist nicht preiswert und nicht schnell umsetzbar. Aber es bietet die Chance, dass es erstmals gelingt, in Spandau ebenso wie im brandenburgischen Havelland eine Mehrheit für eine Lösung zu gewinnen – und diese auch umzusetzen. Der inzwischen in den Ruhestand verabschiedete Landrat Burkhard Schröder sprach am Ende der Veranstaltung zurecht von einer dramatischen Situation, die zu erwarten sei, wenn in der schnell wachsenden Region nicht jetzt endlich die Weichen für den Ausbau des Schienenverkehrs gestellt werden.

Die Veranstaltung in Falkensee zeigte, dass die Express-S-Bahn eine Chance bietet, dass sich die bisher unversöhnlichen Lager mehrheitlich auf eine Lösung verständigen. Diese eine Chance ist aber zugleich die einzige Chance. Wird sie nicht genutzt, werden Spandau und das Osthavelland vom Autoverkehr überrollt werden.

IGEB S-Bahn und Regionalverkehr

aus SIGNAL 2/2016 (Mai 2016), Seite 6-7

 

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