Stadtverkehr

Berlin und Hamburg ganz vorn

Wenn es in Deutschland um Konzepte für den öffentlichen Personennahverkehr von morgen geht, dann fallen diese Namen sofort: Berlin und Hamburg. Damit dies auch in Zukunft so bleibt, haben Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und sein Hamburger Amtskollege Olaf Scholz (SPD) am 31. August 2016 gehandelt: Sie haben eine Absichtserklärung unterzeichnet. Öffentlichkeitswirksam am Brandenburger Tor, was natürlich rein gar nichts mit dem Wahlkampf zum Berliner Abgeordnetenhaus zu tun hatte, der zu diesem Zeitpunkt im Gang war.

„Gemeinsam gehen wir einen großen Schritt nach vorne“, erklärte Müller dazu laut BVG-Website. Bekundete man doch die Absicht, künftig gemeinsam emissionsfreie Stadtbusse zu beschaffen. Und zwar nicht weniger als „bis zu zweihundert pro Jahr“ – wozu natürlich nur ewige Miesepeter anmerken können, dass diese Formulierung auch die Möglichkeit einschließt, nur einen Bus pro Jahr zu kaufen.

Olaf Scholz erklärte zu der Erklärung außerdem: „Die Industrie muss die Möglichkeit schaffen, standardmäßig elektrisch zu fahren.“ Er kennt sich auf diesem Gebiet besonders gut aus. Hat er doch anlässlich der letzten Hamburger Bürgerschaftswahlen den seit langem diskutierten, immer mal wieder geplanten und dann wieder gestoppten Wiederaufbau eines Straßenbahnsystems an der Alster (der sich zu diesem Zeitpunkt in der Planfeststellung befand) endgültig beerdigt. Standardmäßig elektrisch gefahren werden soll in Hamburg statt dessen mehr mit der U-Bahn: Erst Ende 2012 wurde ein Streckenabschnitt mit nicht weniger als zwei neuen Stationen eröffnet, der gerade einmal 323 Millionen Euro gekostet hatte. Die Verlängerung dieser Strecke um eine weitere Station ist im Gange – was noch einmal mit rund 200 Millionen Euro zu Buche schlagen dürfte.

Für die Zukunft der wachsenden Hansestadt haben Scholz und seine SPD ebenfalls vorgesorgt: Neben mehr und längeren Bussen soll eine neue U-Bahn-Linie wesentliche Verkehrsprobleme lösen. Rund 30 Kilometer weit will man sie (um den Ärger mit Anwohnern zu minimieren) tief unter der Stadt durch die Erde bohren. Schon in 20 oder 30 Jahren könnte die Strecke fertig sein. Weiß doch Hamburgs Verkehrssenator Frank Horch, dass U-Bahn-Bau einfach schneller geht als Straßenbahnbau. Außerdem weiß man in Hamburg auch schon, wer dieses Milliardenprojekt bezahlen wird: der Bund. Irgendwie jedenfalls, denn der weiß davon noch nichts.

Emsig am ÖPNV der Zukunft wird auch in Berlin gearbeitet, was andere Städte erstens staunen und zweitens vor Neid erblassen lässt: Nach nur wenig mehr als anderthalb Jahrzehnten des Planens und Bauens konnte 2014 die 2,3 Kilometer (plus 1,1 Kilometer Wendeschleife) lange Straßenbahnstrecke zum Hauptbahnhof eröffnet werden (eine andere Strecke wurde dafür stillgelegt). Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass sie bis zu den nächsten Berliner Wahlen um weitere ein, zwei Kilometer wachsen wird. Außerdem wird nach dann 23 Jahren der Arbeit an ihr die Verlängerung der U 5 vom Alexanderplatz zum Hauptbahnhof womöglich schon 2020 vollendet.

Welche U-Bahn- oder sogar Straßenbahnstrecken man als nächstes bauen könnte, wird intensiv überlegt. Wie gewissenhaft man dabei vorgeht, zeigt der Umstand, dass über viele der zur Diskussion stehenden Tramtrassen bereits seit einem Vierteljahrhundert nachgedacht wird.

Allerdings kann niemand behaupten, der Berliner Senat und allen voran die SPD würden Verkehrsbauprojekte nicht mit großem Nachdruck verfolgen und ihre Umsetzung rasch vorantreiben: Um den Weiterbau der Stadtautobahn A100 zu sichern, gingen die Sozialdemokraten vor fünf Jahren sogar statt mit den Grünen lieber eine Koalition mit der CDU ein.

Schließlich, so bekräftigte Michael Müller laut rbb am Brandenburger Tor, wollen Berlin und Hamburg Vorreiter in der Klimapolitik sein. Dafür müsse der öffentliche Personennahverkehr aber endlich „sauber und ökologisch verträglich werden, denn nur so schaffen wir die Lebensqualität, die unsere Metropolen attraktiv macht“.

Und natürlich mit neuen Stadtautobahnstrecken.

Ein moderner ÖPNV ebenso wie dessen Ausbau ist also in den beiden größten deutschen Städten sichergestellt. Und dank all dieser großen Schritte nach vorne hat die Zukunft ja bereits begonnen, worauf anlässlich des PR-Termins am Brandenburger Tor auch von der BVG hingewiesen wurde: Derzeit führen bei ihr, so erklärte sie voll berechtigtem Stolz, nicht weniger als vier batteriebetriebene Busse im Testbetrieb. Hamburg teste derweil sowohl Brennstoffzellenbusse, Batteriebusse und dieselelektrische Hybridbusse. Wozu sicher ein reicher Erfahrungsaustausch zwischen der Hamburger Hochbahn AG und der BVG stattfinden kann: Denn Brennstoffzellenbusse, Batteriebusse und dieselelektrische Hybridbusse haben die Berliner Verkehrsbetriebe ebenfalls reichlich getestet im Laufe der letzten 30 Jahre. Mit einem interessanten Ergebnis: Von den mehr als 1300 Bussen, welche die BVG betreibt, fahren noch immer fast alle nur mit Dieselmotor.

Die BVG-Meldung im Netz: www.bvg.de/de/Aktuell/Newsmeldung?newsid=1598

Jan Gympel

aus SIGNAL 5/2016 (November 2016), Seite 30

 

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