Der Bahnhofsvorsteher informiert:
Platzt unser Schienennetz künftig aus allen Nähten? Verstopfen noch mehr Lkws unsere Autobahnen? Gehen unsere Schiffe bald auf Grund? Der Seehafenhinterlandverkehr ist die logistische Herausforderung des kommenden Jahrzehnts...
15. Dez 2007
Über 100 Milliarden Tonnenkilometer betrug 2006 erstmals in der Verkehrsgeschichte Deutschlands das Jahresgütertransportaufkommen, das auf der Schiene durch Deutschland gefahren wurde. Im Vergleich zu 2005 stieg es von 95,4 Mrd. um fast 11 Prozent auf 105,8 Mrd. tkm.
Bleibt diese Steigerungsrate in etwa konstant, könnte sich das Aufkommen in den nächsten zehn Jahren verdreifachen! Ist das reell, oder ist das alles nur Panikmache? Fakt ist: Das Güteraufkommen steigt bisher ungebremst. Jedoch gehen die Prognosen auseinander. Während einige eine Fortsetzung des zweistelligen Wachstumstrends sehen, prognostiziert eine Studie des Bundes mittelfristig nur 2,6 bis 3,8 Prozent Steigerung pro Jahr.
Aber wo kommen diese Güter her? Und wo gehen sie hin? Den Löwenanteil verbucht mit 63 Prozent der Binnenverkehr, gefolgt von Export mit 16,3 Prozent und Import mit 15,8 Prozent. Schlusslicht bildet der Transit mit 5,1 Prozent. Da Deutschland zum „Exportweltmeister“ erkoren wurde, ist es nicht verwunderlich, dass der Export auch die größte Wachstumsrate auf der Schiene in Höhe von circa 12 Prozent verzeichnete.
Bedingt durch die zentrale Lage Deutschlands in der EU wird der Transitverkehr jedoch bald eine bedeutendere Rolle spielen. Sowohl in Nord-Süd- als auch in West-Ost- Richtung werden die Transportleistungen steigen. Zentrale Ausgangspunkte sind die Hochseehäfen Rotterdam, Hamburg, Antwerpen sowie Bremen/Bremerhaven, die zu den zwanzig größten der Welt zählen. Alle vier hatten 2006 zusammengerechnet ein Umschlagsvolumen von 30 Mio. TEU (8,7 Prozent mehr als 2005).
Hamburg und Bremen/Bremerhaven verzeichneten die größeren Steigerungsraten. Sie wickeln ihren Hinterlandverkehr über Europas größten Rangierbahnhof ab: Maschen bei Hamburg. Sieben Kilometer lang, 700 Meter breit, insgesamt 300 Kilometer Gleise reichen jetzt schon nicht mehr aus. Darum wird gegenwärtig eine Neustrukturierung der Anlage in Maschen geplant.
Das Problem: Der Umbau in Maschen muss unter „rollendem Rad“ erfolgen, denn jährlich frequentieren 800 000 Wagen den Bahnhof. Und es werden noch viel mehr werden. Allein der Hafen Hamburg will nach eigenen Angaben Rotterdam den 1. Platz in Europa abringen und bis 2015 über 500 Mio. Euro investieren, um seinen Umschlag auf 18 Mio. TEU pro Jahr auszubauen. 4,5 Mio. TEU so ist geplant, sollen dann per Bahn ins Land geschafft werden. Zum Vergleich: So viel ungefähr betrug 2006 mit 4,8 Mio. TEU (+14,1 Prozent gegenüber 2005) der gesamte Container- und Wechselbehältertransport in und durch ganz Deutschland!
Dass die Reedereien Deutschland künftig mit einer Containerflutwelle überrollen werden, ist auch dem Bund nicht verborgen geblieben. Bereits 2005 hat man im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung das Ziel gesetzt, 2008 einen von rund 800 Fachleuten erarbeiteten Masterplan „Güterverkehr und Logistik“ vorzulegen. Die Deutsche Bahn AG ist mit ihrem Projekt „Seehafenhinterlandanbindung“ am Masterplan aktiv beteiligt.
Kern dieses Projektes ist es, die Umladesituationen in den Häfen und den Hinterlandterminals sowie die Infrastruktur der DB AG in Bezug auf Kapazitätszustand und Entwicklung zu bewerten. Um dem künftigen Aufkommen an Zügen gerecht zu werden, wurden zum einen mittel- und langfristige umfangreiche Infrastrukturmaßnahmen, aber auch kurzfristige betriebliche Handlungsmöglichkeiten empfohlen.
Zu den kurzfristigen Konzeptionen gehören zum einen die Disponierung von Umleitungen und Ausweichrouten, was jedoch die Transportzeit verlängert und nur als Zwischenlösung dient, und zum anderen ein „Sofortmaßnahmen-Paket“ zur Kapazitätserweiterung von Engstellen, sogenannten „Flaschenhälsen“ in den kommenden drei Jahren durch zusätzliche Gleise und Weichenverbindungen sowie durch Blockverdichtungen.
Da dies jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, muss zur Erweiterung der Netzkapazität massiv in die Infrastruktur investiert werden. Ein Maßnahmenkatalog der Bahn sieht bis 2020 einen notwendigen Investitionsbedarf in die Eisenbahninfrastruktur für den Seehafenhinterlandverkehr in Höhe von 15 Mrd. Euro vor, dessen Finanzierung bereits in Höhe von 5,5 Mrd. Euro gesichert ist. Die Maßnahmen sind in zwei Rubriken unterteilt:
Das letztgenannte Projekt hat eine besondere Bedeutung zur Erweiterung der Trassenkapazitäten aus dem Hafen Rotterdam. Die Niederlande haben eine komplett neue Strecke für den Güterzugverkehr errichtet: Die Betuwe-Linie. Sie sollte bereits 2007 eröffnet werden, was sich jedoch wegen Schwierigkeiten beim Sicherheitssystem ETCS verzögerte.
Ab 2008 sollen über diese Strecke täglich bis zu 500 Züge nach Deutschland rollen. Dabei dürfte es zu Staus an der niederländisch- deutschen Grenze kommen, denn der Ausbau vom Grenzbahnhof Emmerich ins Ruhrgebiet mit Anschluss nach Süden wird voraussichtlich erst 2010 beginnen.
Bereits heute besteht eine Direktverbindung im Linienverkehr zwischen dem Überseeterminal Rotterdam und dem ungarischen Györ. In weniger als 40 Stunden erreichen die Container des „HungaRo-Express“ ihr Ziel. Aufgrund der Schnelligkeit besteht mittlerweile auch ein Direktanschluss zum Weitertransport in die Balkanstaaten und die Türkei, der immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Um die Verbindungen von den BeNeLux- Ländern nach Griechenland und Türkei noch wettbewerbsfähiger zu machen, tüftelt seit Januar 2007 eine Gruppe von 25 Unternehmen sowie Forschungsinstituten aus 13 Ländern in einem von der EU finanzierten Projekt namens „CREAM“.
Ziel ist es, durch den Einsatz von Mehrsystemlokomotiven, durch verkürzte Grenzaufenthalte und alternative Leitwege sowie durch ein modernes Zugüberwachungssystem die Attraktivität der Schienenverbindung diagonal durch Europa sowohl auf der gesamten Strecke als auch auf Teilabschnitten zwischen Wirtschaftszentren (z. B. nach Ungarn und Rumänien) zu erhöhen. Innerhalb von drei Jahren, so wird erwartet, sollen Transportleistungen von 200 Mio. tkm von der Straße auf die Bahn verlagert werden.
Weitere Brennpunkte sind die Grenzübergänge nach Polen, die den Osteuropa-Verkehr abwickeln. Die EU-Osterweiterung wird die Warennachfrage aus dem Westen und aus Übersee noch weiter ankurbeln. Nicht nur in Polen, Baltikum und Rußland. Im Gegenzug werden landwirtschaftliche Produkte und Rohstoffe (Erz und Kohle) zu erwarten sein.
Bereits heute sind die Trassenkapazitäten an den wichtigen Grenzübergängen fast ausgeschöpft. Einige Abschnitte der grenzüberschreitenden Strecken sind dazu noch eingleisig, was eine kurzfristige Erhöhung der Durchflussmengen unmöglich macht.
Der hauptsächliche Containerverkehr, der sogenannte Kombinierte Ladungsverkehr, läuft über den Grenzübergang Frankfurt (Oder). Jedoch stehen dort momentan je Richtung nur 22 Trassen zur Verfügung. Das heißt: Mehr Züge passen dort pro Tag nicht durch.
Der südlich gelegene Übergang Horka— Węgliniec dient mit 14 Trassen primär den Einzelwagen und Ganzzugverkehren, insbesondere den Montanzügen aus Oberschlesien. Zwischen beiden Übergängen befindet sich die Stadt Guben mit einem Übergang, der hauptsächlich für Ganzzüge dient. Da dieser lagebedingt noch nicht gänzlich ausgeschöpft ist, dient er zur gelegentlichen Entlastung von Horka und Frankfurt, wenn es sich dort wieder staut oder bei Bauarbeiten.
Auch diverse Nichtbundeseigene Eisenbahnen haben die Vorzüge der noch nicht verstopften Strecke erkannt. Die anderen Übergänge haben eher regionalen Charakter, wobei der Übergang Tantow (Strecke Berlin—Szczecin/Stettin—Gdańsk/Danzig— Kaliningrad/Königsberg) nach der Elektrifizierung neu bewertet werden sollte.
Sein Potenzial verbessert hat der deutschtschechische Grenzübergang Schöna (Strecke Dresden—Ústi nad Labem/Aussig), da die Strecke insbesondere auf tschechischer Seite ausgebaut wurde und dank einer neuen gemeinsamen Dispostelle von DB und den Tschechischen Bahnen ČD einen besseren Verkehrsfluss anbieten kann. Dadurch wird diese Stecke als Alternativroute für Verbindungen von den Hochseehäfen über Tschechien—Slowakei— Ungarn in die Balkanregion bzw. an den Bosporus interessant und kann die klassische Route über den Grenzpunkt Passau etwas entlasten, insbesondere wenn der Ausbau des Abschnittes Nürnberg—Passau erfolgt.
Das heißeste Eisen ist jedoch der Grenzübergang Basel, über den alle Güterverkehre in die Schweiz sowie der größte Teil der kombinierten Verkehre nach Italien abgewickelt werden. Zurzeit macht Italien mit über 14 Prozent den größten Anteil am Export auf dem Schienenweg aus. Die Trassen auf den letzten Abschnitten vor der Grenze sind zeitweise komplett belegt. Kleinste Verzögerungen im Betriebsablauf können alles durcheinanderbringen. Abhilfe soll mit dem Ausbau der Strecken Karlsruhe—Basel sowie Stuttgart—Schaffhausen als Ausweichroute geschaffen werden.
Diese sowie zahlreiche andere Maßnahmen, die spürbare Entlastungen schaffen, werden aber erst in 5 bis 15 Jahren greifen. Bis dahin dürfte der Güterverkehr auf der Schiene immer wieder gebremst werden, Fahrplantrassen verlieren, Rückstaus verursachen und auch Auswirkungen auf den Personenverkehr haben.
Welche Alternativen gibt es? Den Straßengüterverkehr? Bereits heute fahren auf etlichen Autobahnen die Lkw-Karawanen in einer oft nicht enden wollenden Schlange. Die Überholmanöver der „Kapitäne der Landstraße“ sind nicht selten verkehrshinderliches Ärgernis und Unfallquelle zugleich. Noch mehr Fahrzeuge verkraftet der Straßenverkehr nicht. Größere Lkw, die sogenannten Giga-Liner, wie sie im dünner besiedelten Skandinavien schon üblich und nützlich sind, werden in Deutschland auf breiter Front von Umwelt- und Verkehrsexperten abgelehnt. Sie haben zwar eine höhere Ladekapazität, jedoch sind viele Straßen nicht für eine derartige Belastung ausgelegt. Straßenschäden en masse währen vorprogrammiert (vgl. SIGNAL 2/2007).
Die zweite Alternative ist die Binnenschifffahrt. Sie führt jedoch im Hinterlandverkehr der Seehäfen mit einem Marktanteil um die 4 Prozent eher ein Schattendasein.
Auf dem Rhein verkehren Schiffe mit einer Länge bis 110 m und einer Breite von 11,4 m bei einer Ladekapazität bis zu 208 TEU, wenn sie jeweils vier Container nebeneinander und übereinander laden können (in der nebenstehenden Grafik Schiff 1).
Mittlerweile gibt es neue Wasserfahrzeuge, die 135 m lang und 16,5 m breit sind. Sie können bis sechs Container neben- und bis fünf übereinander laden. Ihre Gesamtkapazität beträgt damit bis zu 470 Container (Schiff 2). Da sie speziell installierte Ladesysteme für Container besitzen, sind sie für andere Ladegüter (Schütt- oder Stückgut) nicht mehr geeignet. Das funktioniert aber nur auf dem Rhein.
Im nord- und mitteldeutschen Fluss- und Kanalgebiet sind die regulären Schiffsgrößen viel kleiner bemessen und nicht für Container konzipiert. Bei Laderaumgrößen von 50 m mal 6,4 m und aus Stabilitätsgründen können maximal 20 TEU geladen werden (Schiff 3). Damit sind definitiv keine rentablen Verkehre möglich.
Das sogenannte „Europaschiff“ (85 m mal 9,5 m) ist das Größte, das im Kanalgebiet fahren kann. Aufgrund seiner Größe und dem Laderaum (60 m mal 7,5 m) können je drei Container neben- und übereinander geladen werden und ergeben eine Kapazität von bis zu 87 TEU (Schiff 4). Ein Transport wäre zwar rentabel, ist aber nicht möglich, da etliche Brücken eine Ladehöhe von nur zwei Containern übereinander zulassen, was die Ladekapazität auf maximal 56 TEU schmälert. Die Transportkosten im Vergleich mit anderen Transportmitteln sind hier nur bedingt wettbewerbsfähig.
Ein weiterer Nachteil ist das Fehlen von direkten Verbindungen in den meisten Transportfällen. Der Ladungsempfänger müsste einen eigenen Anlieger haben oder sich in der Nähe eines Binnenhafens befinden, der für den Containerumschlag geeignet ist. Viele laden nur traditionelles Stück- oder Schüttgut um und haben daher nur Ladekräne für maximal 5 t Last. Ein TEU kann aber eine Zuladung bis zu 21 t haben. Umwege sind also oft vorprogrammiert. Damit ist die Konkurrenzfähigkeit der Binnenschifffahrt gegenüber direkter verkehrender Bahn- und Lkw- Verbindungen erheblich eingeschränkt.
Eine Chance zur Bewältigung des steigenden Aufkommens an den zahlreichen Containerzügen wird nur bestehen, wenn die Eisenbahninfrastruktur im Hinblick auf Beschleunigung und Zugdichte rasch und kontinuierlich ausgebaut wird. Eine Trassenentflechtung von Personen- und Güterverkehren bei relativ parallel verlaufender Steckenführung wie im Fall der alten Rheinstrecken und der NBS Köln—Frankfurt kann mitunter sinnvoll sein, um jeden Verkehr für sich fließender zu gestalten. Es darf hier aber nicht der Fehler gemacht werden, jeden Streckenabschnitt nur für sich zu betrachten, sondern es muss alles global gesehen werden. Dann lässt sich aus unserem Schienennetz noch eine Menge herausholen.
Kühne Köpfe haben bereits in den 90er Jahren diese Entwicklung kommen sehen und schnelle internationale Hochleistungsschienenstrecken geplant und gefordert. Die Königsstrecke soll die „Neue Seidenstraße“ sein, eine eurasische Landbrücke vom Ballungsraum der Randstad (incl. Rotterdam, Amsterdam) bzw. vom Ballungsraum Paris quer durch Europa (Ruhrgebiet, Berlin, Warschau, Moskau), Rußland, China bis nach Peking/Schanghai/Singapur. Verkehre von Osten kommend könnten bereits an der Kontinentalgrenze deltaförmig entflochten und die Züge über Europa gleichmäßiger verteilt werden. Wenn es im Personenfernverkehr mit nur einmal Umsteigen in Moskau möglich ist, von Peking nach Berlin, Köln oder Frankfurt zu fahren, warum soll es dann keine direkten interkontinentalen Güterzüge geben?
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 6/2007 (Dezember 2007/Januar 2008), Seite 10-12