Ein Vergleich zwischen Deutschland und Großbritannien
Ein effizienter und nachhaltiger öffentlicher Personenverkehr ist ein bedeutendes Fundament eines funktionierenden Verkehrssystems...
15. Dez 2007
Ein Verkehrsvertrag zwischen Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen muss daher so vereinbart sein, dass eine Aufrechterhaltung hoher Qualitätsstandards über mehrere Jahre sichergestellt ist, um weiterhin ein funktionierendes Verkehrssystem zu gewährleisten.
Indirekte Einflussmöglichkeiten durch die Beteiligung an der Nahverkehrsplanung sind grundsätzlich vorhanden, aber die Berücksichtigung der Fahrgastinteressen bei der Vertragsgestaltung fand bisher auf Grund gesetzlicher Barrieren kaum statt. Doch wie stark ist der Einfluss der Fahrgastvertretungen wirklich? Ein Blick nach Großbritannien zeigt, dass die Partizipationsmöglichkeiten in Deutschland unzureichend sind.
Die Ausschreibung und Vergabe von Verkehrsleistungen stellt keinen einmaligen Akt, sondern einen Entwicklungsprozess dar, der hier kurz skizziert werden soll. Wenn ein bestimmter Bedarf an Verkehrsleistungen besteht (Vorbereitungsphase) und dieser veröffentlicht wurde, können potenzielle Bieter die Vergabeunterlagen anfordern. Danach erstellen diese ein Angebot, das nach Einhaltung bestimmter Fristen und Formen abzugeben ist. Diese werden anschließend nach zuvor festgelegter Gewichtung, welche in den Verdingungsunterlagen veröffentlicht ist, bewertet.
Das Unternehmen, dessen Angebot als am wirtschaftlichsten angesehen wurde, erhält dann den Zuschlag (Vergabephase) und führt nach Vertragsabschluss die Leistung aus (Vertragsphase). Zwischen Zuschlagserteilung und Betriebsaufnahme vergehen je nach Situation (Beschaffung von Fahrzeugen etc.) meist zwei bis drei Jahre. Ab Beginn der Betriebsdurchführung werden dann vom Besteller Vertragskontrollen durchgeführt und ggf. entsprechende Sanktionen verhängt, z. B. Strafzahlungen bei Unpünktlichkeit.
Im Zuge der Regionalisierung des ÖPNV wurden in vielen Bundesländern Fahrgastbeiräte eingerichtet, die einen Querschnitt gesellschaftlicher Gruppen repräsentieren und regelmäßig als Informationsquelle bezüglich aktueller Probleme genutzt werden. In einigen Bundesländern existieren darüber hinaus zusätzliche Kooperationspartnerschaften. Beispielsweise wurde in Berlin beim Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) ein SPNV-Beirat errichtet, der aus 20 Mitgliedern besteht, unter denen sich Vereine wie der Verkehrsclub Deutschland (VCD), der Berliner Fahrgastverband IGEB und der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) befinden. Deren Mitglieder werden im Vorfeld auf informeller Basis „angehört“ und dürfen auf der Basis von Musterverträgen ihre Meinung z. B. zur Barrierefreiheit oder Fahrradmitnahme äußern.
Weitergehend ist die Beteiligung in Schleswig- Holstein. Hier wurden spezielle Streckenbeiräte eingerichtet, wodurch ein engerer Kontakt zu entscheidungsrelevanten Institutionen besteht.
Alles in allem hängt die Intensität und Effektivität der Beteiligung von Fahrgastvertretungen in Deutschland sehr vom jeweiligen Bundesland, der ausschreibenden Institution und der Zusammensetzung der Beiräte ab und besitzt eher den Charakter einer informellen Unterrichtung.
Je nach Vertragslaufzeit erreichen die Zuschüsse an Unternehmen schnell Millionenbeträge. Daher bedienen sich Unternehmen, die den Zuschlag nicht erhalten haben, gern juristischer Mittel und suchen beispielsweise Verfahrensfehler oder sonstige Unzulässigkeiten im Vergabeprozess. Daher muss der gesamte Prozess juristisch „sauber“ ablaufen, um späteren Klagen standhalten zu können. Hierfür existiert ein kompliziertes Geflecht bestehend aus dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung – VgV) und der Verdingungsordnung für Leistungen – Teil A (VOL/A).
So heißt es beispielsweise in der VOL/A, dass über die Verhandlung zur Öffnung der Angebote eine Niederschrift anzufertigen ist, die unter anderem den Endbetrag des Angebots und weitere den Preis betreffende Angaben enthalten muss. „Die Niederschrift darf weder den Bietern noch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.“ Daher ist nur ein bestimmter Personenkreis berechtigt, die Angebote der Bieter zu bearbeiten und einzusehen. Es ist weder in der VgV noch in der VOL vorgesehen, dass Fahrgastvertretungen in irgendeiner Form mitwirken dürfen.
Bis zur eigentlichen Betriebsaufnahme verstreichen meist Monate bis Jahre, da eventuell Fahrzeuge beschafft bzw. noch gebaut oder Mitarbeiter geschult werden müssen. Diese Zeit kann von Verbänden genutzt werden, um bekannt gewordene Schwierigkeiten des Vertragsinhalts im Vorfeld zu beseitigen. Die Hauptaktivitäten liegen jedoch zweifelsohne in der politischen Lobbyarbeit, während das jeweilige Verkehrsunternehmen bereits die Verkehrsdienstleistung anbietet. Erst in dieser Phase zeigen sich die eigentlichen Defizite und Potenziale zur Nachjustierung, auf die Verbände und Vereine aufmerksam machen können, was meist über Veröffentlichungen in einschlägigen Medien wie verbandseigenen Zeitschriften, Fachjournalen, aber auch Tageszeitungen geschieht.
Allerdings müssen Veränderungen nicht erst über medialen Druck erreicht werden. So findet häufig eine Kooperation auf informeller Ebene statt, auf der Ideen und Meinungsverschiedenheiten ausgetauscht werden. Teilweise können auf diesem Weg schnell und unkompliziert Ergebnisse erzielt werden.
Die Trennung zwischen Nah- und Fernverkehr, wie sie in Deutschland der Fall ist und weitreichende Konsequenzen bezüglich der Zuständigkeiten hat, existiert in Großbritannien nicht.
Die Verkehrsunternehmen (Train Operating Companies=TOCs) sind Franchisenehmer einer bestimmten Strecke oder eines Netzes und vereinbaren mit dem Verkehrsministerium (Department for Transport=DfT) einen Verkehrsvertrag (franchise agreement). Es existieren momentan 21 solcher Strecken/ Netze, die unter mehreren „Großen“ aufgeteilt sind. Trotz der organisatorischen Unterschiede ist der Ablauf der Vertragsvergabe (siehe Abbildung) mit dem im deutschen SPNV vergleichbar.
Nach der Initiierung des Verfahrens (Projektplan erstellen, Personal mobilisieren, Prüfen der finanziellen Mittel, etc.) erscheint eine Anzeige in den Zeitungen, dass das DfT beabsichtigt, einen bestehenden Franchisevertrag zu ersetzen. Anschließend können sich interessierte Verkehrsunternehmen die entsprechenden Unterlagen von der Internetseite des DfT herunterladen, die vorerst die groben Rahmenbedingungen des Franchisevertrages bekannt geben.
Parallel dazu fordert das DfT mit dem Consultation Document betroffene Fahrgäste sowie eine formal zu beteiligende Liste von Verbänden auf, zu dem Vorhaben innerhalb von sechs bis acht Wochen Stellung zu nehmen.
Die Unternehmen bekunden gleichzeitig ihr Interesse durch die Abgabe einer Bewerbung. Die eingehenden Bewerbungen werden nach einem zuvor definierten Bewertungsschema aussortiert, so dass nur noch drei bis fünf potenzielle Bieter weiter berücksichtigt werden. An diese werden dann die eigentlichen Ausschreibungsunterlagen versendet (Invitation to Tender=ITT).
Hiermit endet die Vorbereitungsphase und es beginnt das Auswahlverfahren. Die eingehenden Angebote werden dazu nach verschiedenen Kriterien bewertet, die sich zum Beispiel auf den allgemeinen Service und angestrebte Verbesserungen, die Kundeninformation, die Servicequalität sowie weitere multimodale Konzepte beziehen. Das Unternehmen, das bei der Bewertung am besten abschneidet, bekommt den Zuschlag.
Die Vorbereitungsphase, die im Wesentlichen die Initiierung des Projektes, die Vorauswahl der möglichen Bewerber sowie die Spezifizierung der Ausschreibungsunterlagen beinhaltet, bietet den Rahmen für eine frühzeitige Partizipation vieler Akteure. Dabei spielt insbesondere der Fahrgastverband Passenger Focus (PF) eine wichtige Rolle, in dem er das DfT dahingehend versucht zu beeinflussen, die Belange der Fahrgäste in die Ausschreibungsunterlagen einfließen zu lassen. PF wird als offizielle Fahrgastvertretung staatlich finanziert, um diese und andere Aufgaben zu erfüllen, arbeitet aber unabhängig.
Noch bevor das DfT das Consultation Document herausgibt, wird von PF ein Dossier erstellt, das den momentanen Stand des Franchisebetriebes beschreibt. Das Dossier wird durch eine Zufriedenheitsanalyse ergänzt, die von Passenger Focus in Auftrag gegeben und von einem unabhängigen Markforschungsinstitut durchgeführt wird. Hierbei werden standardisierte Fragebögen an Fahrgäste vergeben, die aufgefordert sind, den aktuellen Betrieb und Service zu bewerten.
Die gesammelten Informationen tragen dazu bei, ein Gesamtbild über vorhandene Defizite und zukünftig notwendige Verbesserungen zu erstellen, und sollen möglichst bereits bei der Erstellung des Consultation Document Berücksichtigung finden.
Wenn dann das DfT mit dem Consultation Document beteiligte Akteure zu Meinungen und Kommentaren auffordert, wird PF eine auf Forschungsergebnissen beruhende Stellungnahme verfassen.
Alle Kommentare und sonstigen Einwände seitens der Akteure dienen dem DfT nun dazu, die Ausschreibungsunterlagen entsprechend zu modifizieren. Die veränderten Vertragsinhalte werden dann als Invitation to Tender an eine zuvor getroffene Auswahl an Unternehmen mit der Bitte versandt, ein Angebot abzugeben.
Die Inhalte der heutigen Passenger Charter (Kundencharta), die jedes Verkehrsunternehmen auf dem britischen Eisenbahnnetz haben muss, sind Bestandteil des Franchisevertrages. Auch in diesem Bereich hat PF die Möglichkeit der Beteiligung und kann noch vor der Vergabe die Inhalte entsprechend den Bedürfnissen der Fahrgäste beeinflussen.
Wie in jedem Wettbewerbsmarkt sollten Details der Unternehmenspolitik nur dann veröffentlicht werden, wenn absehbar ist, dass aus deren Kenntnis keine entscheidenden Vorteile oder auch Nachteile für Konkurrenten resultieren. Nach diesem Grundsatz und vor dem Hintergrund der bestmöglichen Ergebnisse für den Fahrgast und den Steuerzahler muss der eigentliche Vergabeprozess streng vertraulich ablaufen, obgleich das DfT gewillt ist, den Prozess so transparent wie möglich durchzuführen.
Daher werden, nachdem der Gewinner feststeht, durchaus einige Details wie Angebotspreis oder vertraglich vereinbarte Sollleistungen veröffentlicht. Allerdings dürfen keine Informationen der Angebote der Verlierer in Umlauf geraten, da dies auch Einfluss auf spätere Vergaben haben könnte. Überdies muss sichergestellt sein, dass die Inhalte der Diskussionsrunden zwischen Bieter und DfT streng vertraulich behandelt werden. Daraus ergibt sich, dass in dieser Phase der Franchisevergabe keine Möglichkeit für Fahrgastvertretungen besteht, an den Vertragsdiskussionen teilzunehmen.
Sobald Details der Vertragsinhalte zwischen dem Gewinner und dem Auftraggeber bekannt sind, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen. Hier liegt der eigentliche Schwerpunkt der Aktivitäten von Fahrgastorganisationen. Die Verbreitung von schlechten Nachrichten über den Service eines Verkehrsunternehmens hat schließlich nicht nur negative Folgen für spätere Gewinnchancen in Großbritannien. Da viele Unternehmen international tätig sind, wären die Konsequenzen auch auf anderen Verkehrsmärkten zu spüren.
Zusätzlich zu diesem Druckmittel kann insbesondere PF laut Gesetz Vertragsverletzungen des Verkehrsunternehmens dem DfT melden, so dass daraus Strafzahlungen resultieren können. PF selbst kann allerdings keine diesbezüglichen Entscheidungen treffen, sondern wird „nur“ beratend tätig.
Der Betrieb eines jeden Verkehrsunternehmens unterliegt ständigen Kontrollen um zu prüfen, ob die Vertragsinhalte eingehalten werden. Zur Überprüfung gehören zum Beispiel Kennzahlen der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, aber auch des Beschwerdemanagements (Zeitdauer zur Beantwortung der Beschwerden), wobei bei Nichteinhaltung Maluszahlungen üblich sind.
Entscheidender für den Fahrgast ist allerdings, dass Unternehmen verpflichtet sind, diese Zahlen an das DfT sowie an PF zu melden. Diese veröffentlichen in regelmäßigen Abständen landesweite Statistiken, die auch den Vergleich gegenüber der letzten Erhebung zeigen. Eine dauerhafte Verschlechterung des allgemeinen Services wird damit für jeden sichtbar, wodurch den Unternehmen ein Anreiz geboten wird, kundenorientiert zu arbeiten.
Neben der Verpflichtung der Verkehrsunternehmen zur Veröffentlichung einer Passenger Charter sind sie außerdem verpflichtet, eine Erklärung zu unterschreiben, mit PF zusammenzuarbeiten und den Fahrgastvertretern entsprechende Informationen zukommen zu lassen. Diese beziehen sich zum Beispiel auf Werte zur Pünktlichkeit und fließen in eine zwei Mal jährlich von PF herausgebrachte Fahrgaststudie (National Passenger Survey) ein.
Eine Beteiligung von Fahrgastvertretungen bei der Vergabe von Verkehrsleistungen ist sowohl im deutschen SPNV als auch im britischen Eisenbahnsektor auf Grund gesetzlicher Bestimmungen generell ausgeschlossen. Dagegen ist in der Vorbereitungs- und Vertragsphase in beiden Ländern eine Kooperation zwischen ausschreibender Institution, Verkehrsunternehmen und Fahrgastvertretungen möglich. Der Unterschied liegt im Wesentlichen darin, dass in Deutschland die gesetzlichen Grundlagen für eine adäquate Zusammenarbeit fehlen. Weiterhin existiert keine offizielle Fahrgastorganisation, die ausschließlich Fahrgäste repräsentiert und vom Staat finanziert wird. Das führt beispielsweise dazu, dass Fahrgastvertretungen entweder gar nicht oder erst nach mehrmaligem Drängen über Streckenstilllegungen und Ausschreibungsvorhaben frühzeitig informiert werden. Daher hat die Beteiligung in Deutschland eher den Charakter einer informellen Unterrichtung. Dies macht ein erhöhtes Eigenengagement und eine sehr intensive Kooperationsbereitschaft aller beteiligten Akteure notwendig, um den öffentlichen Verkehr fahrgastfreundlicher zu gestalten.
Demgegenüber müssen (!) in Großbritannien die gesetzlichen Fahrgastverbände in der Vorbereitungsphase beteiligt und auch über Entscheidungen bezüglich der Stilllegung von Strecken oder Schließung von Bahnhöfen unterrichtet werden. Darüber hinaus verpflichten sich die Verkehrsunternehmen durch die Unterzeichnung einer Erklärung, mit den Verbänden zusammenzuarbeiten.
Auf Grund der föderalen Struktur in Deutschland und der Übergabe der Kompetenzen zur Organisation des Nahverkehrs an die einzelnen Bundesländer obliegt es ihnen, wie sie die Vorgaben des Bundes in die ÖPNV-Gesetze integrieren. Die Bundesländer bzw. die Aufgabenträger können daher nur bedingt dazu verpflichtet werden, Vertreter von Fahrgästen an der Organisation des SPNV mitwirken zu lassen. Eine Übertragung der britischen Beteiligungsformen auf Deutschland ist somit unter den jetzigen Rahmenbedingungen nicht ohne weiteres möglich. Aber die Schaffung einer institutionalisierten Fahrgastvertretung mit bundesweiten Kompetenzen und festem Budget wäre ein großer Schritt zur Verbesserung der Stellung der Fahrgäste.
Weitere Informationen zu Beteiligungsformen im öffentlichen Verkehr und vielen anderen Aspekten werden demnächst im folgenden Buch erhältlich sein: Martin Schiefelbusch; Hans-Liudger Dienel (Hg.): Auf dem Weg zur Kundenorientierung: Strategien und Konzepte für Interessenvertretung und Dialog zwischen Fahrgästen und Anbietern im öffentlichen Verkehr. Erich- Schmidt-Verlag, Reihe „Verkehr und Technik“. Siehe auch www.busrep.net
Uwe Böhme, nexus Institut Berlin
aus SIGNAL 6/2007 (Dezember 2007/Januar 2008), Seite 22-24