Eine neue Tarifstruktur für den
Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB)
2006 erklärte die Senatorin für Stadtentwicklung
Ingeborg Junge-Reyer, man wolle eine neue attraktive Tarifstruktur für den Öffentlichen Nahverkehr schaffen. Doch außer weiteren Preiserhöhungen ist nichts passiert. Der Berliner Fahrgastverband hat jedoch einige Vorschläge...
Berliner Fahrgastverband IGEB
15. Jun 2007
Am 1. April 1999 wurde in den Ländern Berlin
und Brandenburg ein flächendeckender
Verbundtarif eingeführt. Für Berlin und die
nähere Umgebung wurde das bereits im
März 1997 eingeführte ABC-Schema übernommen.
Seitdem wurde die Grundstruktur
des Verbundtarifs nicht verändert, aber im
Detail viel experimentiert. Als Beispiele seien
Standard- und Premiumkarte, Berlin-Ticket,
Freizeitkarte, Seniorenkarte,
mehrfache Veränderungen für
die Fahrradmitnahme oder die
Aufhebung der Rückfahrmöglichkeit
bei Einzelfahrscheinen
genannt. Im Ergebnis führte
aber jede Tarifänderung zu einer
Tariferhöhung, so dass die Tarife
in Berlin inzwischen zu den
höchsten
in Deutschland gehören.
Im Herbst 2006 begehrten
die Verkehrsunternehmen
insbesondere für Berlin eine erneute
drastische Tariferhöhung.
Dies war Anlass für die Berliner
Verkehrssenatorin Junge-Reyer,
eine grundlegende Überarbeitung
der VBB-Tarifstruktur zu
fordern.
Strukturreform
Trotz der Verpflichtung zur Strukturreform
verständigte man sich für den 1. April 2007
auf eine Tariferhöhung in der noch unveränderten
Struktur. Diese fiel zwar zumindest für
die meisten Berliner Fahrgäste moderat aus,
war aber strukturell ein erneuter Rückschritt,
weil insbesondere Monatskarten deutlich
teurer wurden und mit der Einführung eines
separaten Fahrradtarifs, der nicht mehr wie
bisher mit dem Ermäßigungstarif gekoppelt
ist, neue Verkomplizierungen eingeführt wurden
(vgl. SIGNAL 2/2007).
Berliner Fahrpreisniveau besonders hoch
Aus der Vergleichstabelle für Fahrten
innerhalb des (gesamten)
Stadtgebietes wird deutlich, dass
die Berliner Nahverkehrstarife
inzwischen zu den höchsten in
Deutschland gehören. Lediglich in
Hamburg sind die Kosten für Fahrten
im gesamten Stadtgebiet noch
höher. Dabei ist aber zu beachten,
dass das durchschnittliche Pro-
Kopf-Einkommen je Einwohner
deutlich höher liegt als in Berlin und
dass infolge des hohen Tarifniveaus
deutlich weniger ÖPNV-Fahrten je
Einwohner durchgeführt werden
als in Berlin (Berlin: 267 Fahrten
je Einwohner und Jahr, Hamburg:
206). Aber selbst im teuren Hamburg gibt es
eine Reihe von günstigen Tarifangeboten für
bestimmte Fahrgastgruppen, z. B. die günstigen
Tageskarten, die 2-Zonen-Monatskarten
oder die sehr günstigen Gruppentageskarten
und Ermäßigungstarife.
Berlin kann dagegen nur mit zwei Trümpfen
aufwarten: sehr preiswerte Schülermonatskarten
und preiswerte „Durchmesserfahrten“.
Wer von Spandau nach Köpenick oder von
Frohnau nach Wannsee fährt, der fährt sehr
preiswert. Nur ist die Zahl der „Durchmesserfahrgäste“
verschwindend gering – die durchschnittliche
Reiselänge innerhalb Berlins liegt
aufgrund der polyzentrischen Struktur der
Stadt bei rund vier Kilometern!
Für die Normalfahrgäste ist das Tarifniveau
sehr hoch, auch weil es keine Rabattanreize
wie Mehrfahrtenkarten gibt und sich die Anschaffung
einer Monatskarte erst bei mehr als
35 Fahrten im Monat lohnt. Sehr teuer sind
auch die Ermäßigungstarife, ausgenommen
die bereits genannten, aber nur im Berliner
Stadtgebiet gültigen Schülermonatskarten
bzw. Geschwisterkarten. Geradezu absurd
hoch sind die Preise für Gruppenfahrkarten.
Bei einem Fahrpreis von 15,40 Euro sollten Familien
auf einigen Distanzen besser ein Taxi
nehmen.
So überrascht es nicht, dass im Rahmen der
Untersuchungen zum Berliner Nahverkehrsplan
festgestellt worden ist, dass schon das
jetzige Tarifniveau dazu führt, dass viele Berliner
die öffentlichen Verkehrsmittel aus Kostengründen
nicht mehr benutzen (können).
Auch der VBB kam in einer Untersuchung
zu dem Ergebnis, dass die Preiselastizitäten
ausgereizt sind und das weitere Tarifsteigerungen
zu weiteren Fahrgastverlusten führen
werden.
Neue VBB-Tarifstruktur – Anforderungen aus Fahrgastsicht
Die gültige VBB-Tarifstruktur weist eine Vielzahl
von komplizierten Regelungen und
Widersprüchlichkeiten auf. Der Berliner Fahrgastverband
IGEB begrüßt daher ausdrücklich,
dass die Verkehrsunternehmen und der VBB
vom Senat aufgefordert wurden, bis Mitte
2007 eine neue Tarifstruktur für Berlin vorzuschlagen.
Nachdem insbesondere die BVG in einem
langen und teueren Lernprozess erkannt hat,
dass die Einführung eines flächendeckenden
Electronic-Ticketing-Systems, mit dem
man einen entfernungsabhängigen Tarif
einführen wollte, technisch und
vor allem finanziell in absehbarer
Zeit nicht möglich ist, wurden vor
dem Hintergrund des hohen Einstiegstarifs
mehrfach Vorschläge
in den Medien platziert, welche
aus Fahrgastsicht zu sehr problematischen
Lösungen führen
würden.
Dazu gehören die Forderung
nach Einführung von nur in den
Tarifbereichen A oder B gültigen
Fahrscheinen und Monatskarten
oder die Einführung von zeitlich
eng befristeten Einzelfahrscheinen
(z. B. 30-Minuten-Ticket) als
Alternative zum Kurzstreckentarif.
Warum kein Fahrschein für das Tarifgebiet „Berlin A“?
Die Einführung von Fahrscheinen und Monatskarten,
die nur im A- oder B-Bereich gültig
wären, wäre mit erheblichen Auswirkungen
verbunden. Dazu gehören:
Aufhebung des einfachen und auch für
Gelegenheitsfahrgäste nachvollziehbaren
Berliner Tarifsystems mit dem „Einheitstarif“
für das Berliner Stadtgebiet. Vor jedem
Fahrtantritt müssten sich vor allem Gelegenheitsfahrgäste
und Seltennutzer mit
dem Tarifsystem auseinandersetzen, was
die Schwelle für die ÖPNV-Nutzung unnötig
erhöhen würde.
Deutliche Tarifsteigerung bei innerstädtischen
Fahrten schon bei mittleren Entfernungen,
wodurch Berlin dann wohl auch
Hamburg tariflich hinter sich lassen würde.
Gleichzeitig würde der Preis für Tarif „A“
oder „B“ nur geringfügig unter dem jetzigen
„AB“-Tarif liegen.
Neue Ungerechtigkeiten im Kurzstreckenverkehr
insbesondere an den Tarifgrenzen:
Fahrten von Wedding nach Moabit oder von
Friedrichshain nach Lichtenberg würden
dann tariflich zu Langstreckenfahrten und
damit überproportional teurer als bisher.
Die Kosten für den Informationsbedarf der
Fahrgäste und die deutlich höheren Vertriebskosten
wären erheblich.
Warum kein 30-Minuten-Ticket?
Auch die diskutierte Einführung von zeitlich
eng befristeten Einzelfahrscheinen (als Alternative
zum bisherigen Kurzstreckentarif) kann
aus Fahrgastsicht nicht befriedigen,
weil die Beförderungsgeschwindigkeiten
(z. B. zwischen S-Bahn und Bus) zu unterschiedlich
sind und
weil die Kunden dann das „Anschluss- und
Verspätungsrisiko“ übernehmen würden.
Das Berliner ABC-Tarifschema hat sich als einfach
und
für die Fahrgäste nachvollziehbar bewährt.
Grundsätzliche Veränderungen beim
Berliner ABC-Tarifschema – insbesondere die
Einführung von separaten A- oder B-Fahrscheinen
sowie die Einführung von zeitlich
eng befristeten Einzelfahrscheinen – werden
deshalb vom Berliner Fahrgastverband als
kontraproduktiv abgelehnt. Das Problem des
relativ hohen Einstiegstarifs kann durch die
unten aufgelisteten Maßnahmen kompensiert
werden.
Dies schließt aber nicht die Notwendigkeit
zur Weiterentwicklung der Berliner ABCStruktur
unter der Perspektive der Rückgewinnung
verlorener Fahrgäste und der
Vereinfachung und fahrgastfreundlichen
Handhabung aus.
Vorschläge für Berlin
Für den Berliner ABC-Bereich werden im Einzelnen
folgende Maßnahmen vorgeschlagen:
Modifizierter Kurzstreckentarif unter Beibehaltung
der 3-Bahnhofs- bzw. 6-Haltestellen-
Regel: Einführung der Umsteigeberechtigung
auch bei Benutzung von Straßenbahn-
und Buslinien (wie z. B. in Potsdam)
Wiedereinführung von Mehrfahrten- oder
Sammelkarten mit mindestens 10%iger
Rabattierung, um die hohen Vertriebs- und
Folgekosten (z. B. Haltestellenaufenthaltszeiten)
des Einzelfahrscheins zu reduzieren
und Gelegenheitsfahrgäste stärker zu binden
Wiedereinführung einer Freizeitkarte (nur
abends und am Wochenende gültige Monatskarte,
während der übrigen Zeiten gilt
der Ermäßigungstarif) als „Einstiegsangebot“
Deutliche Reduzierung der Tarife der für Familien
relevanten Kleingruppentageskarten
auf das Preisniveau anderer Tarifverbünde
Einführung von Abos und Jahreskarten
auch bei 10-Uhr-Karten und Fahrradkarten
mit den üblichen Rabattierungen
Einführung des Sozialtickets S als „normaler“
Bestandteil des Verbundtarifs
Vereinfachte Regelungen für das Geschwisterticket
Anerkennung des Citytickets der DB AG im
gesamten Berliner Stadtgebiet („AB“) wie in
allen anderen deutschen Städten auch
Beibehaltung der jetzt bei Monatskarten
gewährten Zusatznutzen (Übertragbarkeit,
Mitnahmeregelung von weiteren Personen
in den Schwachverkehrszeiten) ohne
Zusatzkosten
Beibehaltung der „gleitenden“ Monatskarte
ohne Zusatzkosten
Beibehaltung der günstigen Tarife für
Schülermonatskarten, um die sehr teueren
Ermäßigungstarife bei Einzelfahrscheinen
und Tageskarten zu kompensieren
Bereinigung bei den Touristenfahrkarten:
CityTourTicket, Welcome-Card, Welcome-
Card Premium, deren unterschiedliche Regelungen
nirgends nachvollziehbar erläutert
sind
Ermöglichung eines lückenlosen Aneinanderstoßens
von Tarifgebieten (z. B. Berlin AB
und Potsdam AB), um Doppeltarifierungen
zu vermeiden; alternativ: Verschiebung der
Tarifgrenzen auf Bahnhöfe/Haltestellen
(„Grenzbahnhöfe“ sollten jeweils in 2 Tarifgebieten
liegen).
Korrektur der mit der Tarifänderung zum
1. April 2007 eingeführten Verkomplizierungen
und Widersprüchlichkeiten:
Wiedereinführung der Regelung Fahrradtarif = Ermäßigungstarif
(erspart die neu eingeführte „Tarifreihe Fahrrad“),
Wiederherstellung einer sachgerechten Preisrelation Einzelfahrschein zu Monatskarte,
Korrektur des überteuerten Tarifs der Tageskarte Ermäßigungstarif, die sich – abweichend
von allen anderen Tageskarten – erst nach vier Fahrten rechnet.
Vorschläge für Brandenburg
Für den übrigen VBB-Tarif (außerhalb der Berliner
ABC-Gebietes) werden folgende Veränderungen
vorgeschlagen:
Integration aller unternehmensbezogenen
Tarifangebote in den Verbundtarif, z. B.
Mehrtages-Fahrradkarte
Reduzierung der viel zu teuren Kindertarife
im VBB
Anerkennung der BahnCards im VBB-Tarif
auch für Kinder, z. B. Kinderfahrschein mit
BahnCard gilt automatisch als Tageskarte
Anerkennung aller BahnCards – auch der
Jugend-BahnCard – im VBB
Modifizierung des viel zu kleinteiligen VBB-Wabentarifs,
der schon bei mittleren Entfernungen
zu unnötigen Verkomplizierungen
führt („Umwegtarife“)
Modifizierung der Schülerfahrtenregelungen
in Brandenburg mit dem Ziel der
Einführung einer flächenbezogenen bzw.
verbundweit gültigen Monatskarte zur
frühzeitigen Kundenbindung (Beispiel
„Schokoticket“ im VRR)
Für den Berliner Umlandverkehr: Einführung
eines zusätzlichen Tarifbereichs „D“,
um den großen tariflichen Sprung bei
Monatskarten zwischen „Berlin ABC“ und
„Berlin + 1 Landkreis“ zu kompensieren
Kappung der Preisstufen bei weiten Entfernungen
Fazit
Weil die Berliner Nahverkehrstarife zu den
höchsten in Deutschland gehören und ein
weiteres Drehen an der Preisschraube zu
Fahrgastverlusten führen würde, muss das
Tarifniveau eingefroren werden. Das muss
im neuen BVG-Verkehrsvertrag berücksichtigt
werden.
Das Tarifsystem ist zumindest für den Berliner
ABC-Bereich einfach und nachvollziehbar.
Grundlegende Veränderungen
zu einem stärker entfernungsabhängigen
Tarif würden unweigerlich zu einem deutlich
höheren Tarifniveau für mittlere und
längere Fahrten und zu neuen tariflichen
Ungerechtigkeiten führen.
Notwendig ist eine Reform der VBB-Tarifstruktur.
Hierbei sind eine Vereinfachung
und eine fahrgastfreundliche Gestaltung
anzustreben.