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Auf Schweizer Spuren

Mit Milliarden-Investitionen haben die Eidgenossen ihre Bahn modernisiert und Fahrzeiten deutlich verkürzt. Sie verlagerten die Prioritäten und Finanzmittel von der Straße auf die Schiene. Der Lötschbergbasistunnel, der am 15 . Juni in Betrieb genommen wird, ist ein beeindruckendes Beispiel...


Michael Cramer, MdEP
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament

15. Jun 2007

Die Schweiz schrumpft – zumindest für all jene, die im Zug unterwegs sind. Die Fahrzeit zwischen Bern und Brig halbiert sich nahezu auf 61 Minuten, wenn der Lötschbergbasistunnel nach 13 Jahren Bauzeit in Betrieb genommen wird und den Zügen Spitzengeschwindigkeiten von 250 Stundenkilometern ermöglicht.

Das wird auch den europäischen Bahnverkehr deutlich beschleunigen. Etwa eine Stunde schneller als bisher werden die Züge aus Deutschland ihre Ziele in Norditalien erreichen. Die Alpen, seit jeher das Nadelöhr im Verkehr zwischen Nord und Süd, werden dank des 35 Kilometer langen Tunnels durchlässiger. Nicht erst die Klimadebatte der letzten Monate zeigt, dass die Schweizer – anders als ihre Nachbarn – mit der umweltfreundlichen Bahn auf das richtige Verkehrmittel gesetzt haben. 64 Prozent der wichtigsten Fahrtziele in der südlichen Schweiz werden durch den Tunnel schneller mit der Bahn als mit dem Auto erreichbar sein. Derzeit sind es 18 Prozent.

Dass sich die Schweizer teure Tunnel und damit einen schnelleren und leistungsstärkeren Bahnverkehr leisten können, verdanken sie einer klugen Weichenstellung, die die Bevölkerung der Politik 1994 durch eine Volksabstimmung abgerungen hat. Die von Lkw-Lawinen geplagten Bewohner forderten, dass die Folgekosten des klimafeindlichen Straßenverkehrs berücksichtigt und die Subventionen für die Straße gekappt werden.

Seit nunmehr fünf Jahren gibt es deshalb die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA), die fünfmal so hoch ist wie die deutsche Lkw-Maut. Die Berechungsgrundlage für ihre Höhe folgte dabei einer einfachen Frage: Welche Kosten verursacht der Lkw-Verkehr für Mensch und Natur?

Die Abgabe gilt auf allen Straßen und für alle Lkw. Deshalb gibt es im Alpenstaat keine Verlagerung von großen auf kleine Lkw oder von Autobahnen auf Bundesstraßen. 800 Millionen Euro hat die Eidgenossenschaft im Jahr 2005 dadurch eingenommen. Das Geld wurde, wie in den Vorjahren auch, vor allem in den Lötschbergbasistunnel und in die Gotthardachse (geplante Fertigstellung im Jahr 2015) investiert. Damit die Effekte dieser Milliardeninvestition nicht verpuffen, wurden in der Schweiz ein Baustopp für alpenquerende Autobahnen verfügt sowie ein Wochenend- und Nachtfahrverbot für LKW angeordnet.

Während in der EU der Güterverkehr auf der Straße seit 1995 um 38 Prozent zugenommen hat, ging die Zahl der Fahrten auf Schweizer Straßen im Nord-Süd-Verkehr um 14 Prozent zurück, landesweit um insgesamt acht Prozent. Das liegt zum einen daran, dass durch kluge Logistik Leerfahrten der Lkw vermieden werden. Zum anderen findet die gewünschte Verlagerung auf die Bahn statt:

Vor Einführung der Maut fand beispielsweise der Mineralöltransport zu 70 Prozent auf der Straße statt, heute zu 70 Prozent auf der Schiene. Effizienz und Verlagerung ließen die Kosten beim Verbraucher lediglich um ein halbes Prozent steigen, obwohl die mautbedingte Verteuerung des Lkw-Verkehrs 20 Prozent betrug. Dass eine ökologische Verkehrswende für Wirtschaft und Verbraucher unbezahlbar wird, ist damit bewiesenermaßen ein Trugschluss.

Der Lötschbergtunnel ist aber nicht nur Vorreiter bei der Verkehrsverlagerung, er ist auch technologisch innovativ, weil er ausschließlich mit dem Europäischen Zugsicherungs- und Signalsystem ERTMS (European Rail Traffic Management System) ausgestattet ist (vgl. SIGNAL 3/2006). Im Lötschbergtunnel gibt es keine Signale. Die Informationen werden von sogenannten Balisen, die sich zwischen den Schienensträngen befinden, wie beim Mobilfunk in die Lokomotive übertragen. Der Zugführer weiß nun genau, wann, wo und wie schnell er fahren darf. Beachtet er die Informationen nicht und fährt etwa in einer Kurve zu schnell, so wird der Zug automatisch abgebremst. Deshalb ist das neue System auch sicherer. Zudem ist es wegen der fehlenden Signale auch kostengünstiger beim Bau und in der Unterhaltung.

Auch die Kapazität wird durch ERTMS erhöht, so dass Engpässe in den Knoten und Flaschenhälsen auf den Zufahrtstrecken zum Tunnel ohne kostenaufwändige Neubauten beseitigt werden können.

Mit ERTMS im Lötschbergtunnel werden nur solche Eisenbahnunternehmen die schnelle Alpenquerung nutzen können, die ihre Lokomotiven mit der neuen Technik ausgestattet haben. Deshalb gibt es nicht nur einen ökologischen, sondern auch einen technologischen Quantensprung.

Um die technologischen Potenziale zu nutzen und den Klimawandel zu bekämpfen, brauchen die EU und ihre Mitgliedsstaaten das Rad nicht neu zu erfinden. Sie müssten nur anerkennen, dass die klugen Schweizer ein Erfolgsmodell vorgelegt haben, das den unfairen Wettbewerb zu Lasten der Schiene beseitigt und die finanzielle Unterstützung der umweltschädlichen Transporte beendet.

Würde das Schweizer Modell auf Europa übertragen, könnten in zehn Jahren die transeuropäischen Eisenbahnverbindungen fertig gestellt und die Verlagerung tatsächlich gelungen sein.

Deutschland, als EU-Ratspräsident und Möchtegern-Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel, könnte mit gutem Beispiel vorangehen und die bestehende Lkw-Maut auf alle Straßen und auf alle Lkw verbindlich ausweiten. Die Einnahmen könnten zur Sanierung und zum Ausbau von Schienenprojekten verwendet werden. Denn wenn die Nachbarn der Schweiz weiter untätig bleiben, verlieren sie den Anschluss und das ehemalige Nadelöhr Alpen würde zum schnellsten und leistungsstärksten Teil des europäischen Schienengüterverkehrs zwischen Nordsee und Mittelmeer werden.

Michael Cramer, MdEP
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament

aus SIGNAL 3/2007 (Juni/Juli 2007), Seite 24