Ein Erklärungsversuch

Warum am Bahnhof Zoo kein ICE mehr hält


Berlin-Brandenburgischer Bahnkunden-Verband

15. Okt 2007

Überall Werbung im Berliner Hauptbahnhof. Foto: Frank Böhnke

Am 28. Mai 2006 wurde der Berliner Hauptbahnhof in Betrieb genommen. Seither fahren alle ICE- und IC-Züge im Bahnhof Zoo mit etwa 50 km/h durch. Trotz großer Proteste, Unterschriftensammlungen, Mahnwachen, Boykottdrohungen und bestimmt auch zahlreichen Protestschreiben blieb die DB AG hart. „Frontstadtmentalität“ und „Nostalgie“ wurde den Befürwortern von Fernbahnhalten am Zoo unterstellt. Eine sachliche Auseinandersetzung und ein Abwägen des Für und Wider gab es bei der Bahn nicht.

Das einzige Sachargument, was von den Gegnern des Zoo-Haltes genannt wird, ist die Fahrzeitverkürzung. Im Eisenbahnfernverkehr werden für das Abbremsen, den eigentlichen Halt und das Wiederanfahren durchschnittlich vier Minuten angesetzt. Dieser Zeitersparnis für die Mehrheit der Reisenden steht jedoch eine Verlängerung der Gesamtreisezeit für eine nicht kleine Minderheit um rund 20 Minuten gegenüber, weil für sie der Weg zum Hauptbahnhof weiter ist als der Weg zum Bahnhof Zoo. Hinzu kommt meist die Unbequemlichkeit eines zusätzlichen Umsteigens, um zum Hauptbahnhof zu kommen.

Beim Hauptbahnhof werden von der DB acht Minuten Umsteigezeit zwischen Stadtbahnsteig und Tunnelbahnsteig angegeben. Wer sich auskennt und sportlich ist, schafft es zwar etwas schneller, ansonsten kann es aber auch länger dauern. Das Umsteigen am Bahnhof Zoo wird mit im Durchschnitt fünf Minuten angegeben. Von den Ankunftshaltestellen der Busse sind die Wege zu den Fernbahnsteigen leicht zu erkennen. Auch von den U-Bahnsteigen ist das Auffinden des Weges kein großes Problem.

Weshalb also ist es nicht möglich, die Fahrzeit der Fernzüge auf der Stadtbahn um die genannten vier Minuten zu verlängern und dafür vielen (tausenden?) Reisenden Umwege zu ersparen? Weshalb wird ihnen ein weiteres Umsteigen zugemutet?

Der Schlüssel dürfte bei den Einnahmen liegen – allerdings nicht Fahrgeldeinnahmen. Einerseits sind dies die Mietzahlungen der Geschäftsinhaber. Da bietet der Hauptbahnhof auf seinen fünf Etagen viel mehr Platz für Geschäfte als der Bahnhof Zoo. Andererseits sind dies die Einnahmen durch Werbung. Am Bahnhof Zoo sind nicht annähernd die Werbeeinnahmen möglich, die am „Hauptbahnhof“ zu erzielen sind, weil es am Zoo nur wenige und kleine Werbeflächen gibt, die teilweise noch versteckt in Treppennischen liegen.

Nach Veröffentlichungen der Firma Ströer, die die Vermarktung der Werbeflächen im Hauptbahnhof übernommen hat, belaufen sich allein die Werbeeinnahmen aus „Big Banner“, Lichttransparenten, „The Wave“, Großflächen und Postern auf über 500 000 Euro monatlich. Wie viel werden es beim Bahnhof Zoo sein? Vielleicht 100 000 Euro?

Um so hohe Einnahmen wie am Hauptbahnhof realisieren zu können, ist es notwendig, dass möglichst viele potentielle Kunden zu den Ladenflächen geführt werden und die Werbung sehen. Der Berliner Hauptbahnhof hat nach Erhebungen der Firma Ströer 250 000 Besucher pro Tag, was von der Öffentlichkeitsarbeit der Bahn großzügig auf 300 000 aufgerundet wird. Am Bahnhof Zoo sollen es „nur“ 110 000 Besucher sein.

Vielleicht ist der Zwang zur Wahrnehmung der Werbung in der Stadtbahn-Halle des Hauptbahnhofs der Grund dafür, dass bei der Beleuchtung gespart wurde. Auf den Bahnsteigen gibt es nur unzureichendes Licht, Werbeflächen jedoch erstrahlen geradezu, so dass sie die Blicke stets auf sich ziehen.

Es zählt also jeder Besucher (nicht Fahrgast!) am Hauptbahnhof. Wenn nun durch einen Fernverkehrshalt am Bahnhof Zoo die Besucherzahl am Hauptbahnhof messbar sinken würde, wäre das schlecht fürs Geschäft am Hauptbahnhof.

Damit wäre aufgrund der guten Erreichbarkeit des Bahnhofs Zoo aber zu rechnen. Ein Halt am Bahnhof Zoo würde deshalb das Geschäftsergebnis des DB-Konzerns verschlechtern, weil die Mehreinnahmen durch Wiedergewinn von Zoo-Reisenden sicher kleiner wären als die Verluste durch niedrigere Ladenmieten und Werbeeinnahmen am Hauptbahnhof. Die Deutschen Bahn AG hat sich also für ihre Geschäftsinteressen entschieden – und gegen die Fahrgäste.

Berlin-Brandenburgischer Bahnkunden-Verband

aus SIGNAL 5/2007 (Oktober/November 2007), Seite 15-16