Verkehrsrecht & Tarife

Richtig schlichten

Eckpunkte für eine Schlichtungsstelle Nahverkehr in Berlin


Martin Schiefelbusch, nexus Institut Berlin

15. Okt 2007

Im Herbst letzten Jahres wurde im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Linkspartei vereinbart, auch in Berlin eine Schlichtungsstelle für ÖV-Kunden einzurichten. Damit wurde ein Vorschlag des Berliner Fahrgastverbands IGEB aufgegriffen. Inzwischen hat die VDV-Landesgruppe Ost die Initiative ergriffen und bereitet den Aufbau einer Schlichtungsstelle Nahverkehr gemeinsam für die Länder Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt vor, die 2008 ihre Arbeit aufnehmen soll. Daher sollen hier einige Anregungen gegeben werden.

Wozu eine Schlichtungsstelle?

Schlichtungsstellen vermitteln als neutrale Dritte zwischen den Beteiligten eines Streits, wenn diese ihren Konflikt nicht selbst lösen können. Sie werden im Allgemeinen erst dann tätig, wenn ein Einigungsversuch zwischen den Parteien gescheitert oder einer der Beteiligten mit der vorgeschlagenen Lösung nicht einverstanden ist. Erst wenn also Fahrgäste ihr Anliegen beim Kundendienst (oder anderen Stellen) der Unternehmen vorgebracht und keine sie zufriedenstellende Antwort erhalten haben, wird eine Schlichtungsstelle tätig. Ein solches Angebot ist daher besonders für komplizierte oder langwierige Fälle wichtig.

Schlichtung ergänzt so den Kundendienst der Unternehmen, findet jedoch außerhalb des Rechtsweges statt, was verschiedene Vorteile mit sich bringt: Entlastung der Justiz, kostengünstiger, einzelfallorientiert, konsensorientiert. Die Schlichtung wird daher auch als „alternative Streitbeilegung“ bezeichnet.

Schlichtung ist ferner unabhängig von der Ausgestaltung von „Fahrgastrechten“ sinnvoll, da diese nur einen Teil der Fahrgastprobleme abdecken und eine konkrete Situation in jedem Fall unterschiedlich erlebt werden und so Anlass zu Meinungsverschiedenheiten bieten kann.

Worauf ist zu achten?

Alternative Streitbeilegung wird in unterschiedlichen Konstellationen betrieben, was auch die Vielzahl der Bezeichnungen solcher Stellen zeigt. Typische Begriffe sind „Schlichtungsstelle“, „Schiedsstelle“, „Ombudsmann“ oder „Bürgerbeauftragte“, die noch dazu nicht einheitlich verwendet werden. Eine Typenbildung wird dadurch erschwert. Zentrale Fragen sind aber:

Angesichts der Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten hat die EU-Kommission 1998 die Empfehlung 98/257 erlassen, in der sieben (Qualitäts-)Kriterien festgelegt sind, die jede Einrichtung erfüllen sollte:

Außerdem ist von den Streitbeteiligten – insbesondere den Unternehmen – Bereitschaft zur Kooperation mit der Schlichtungsstelle zu fordern. Fälle sollten individuell geprüft und die Position nachvollziehbar begründet werden, es sind Ansprechpartner zu benennen und vereinbarte Fristen einzuhalten.

Deutschland: Bisher uneinheitlich und unvollständig

Seit der Jahrtausendwende sind auch in Deutschland verschiedene neue Ombudsund Schlichtungsstellen geschaffen worden, die jeweils in Teilbereichen des öffentlichen Verkehrsangebots außergerichtliche Streitbeilegung anbieten. Im europäischen Ausland haben solche Dienstleistungen jedoch zum Teil eine deutlich längere Tradition; die ausländischen Stellen können mitunter auf wesentlich umfangreichere Ressourcen und günstigere Rahmenbedingungen zurückgreifen als hierzulande. Beim Aufbau einer solchen Einrichtung für Berlin ist es daher sinnvoll, etwas weiter Umschau zu halten.

In Deutschland besteht seit 2001 die Schlichtungsstelle Nahverkehr in Nordrhein- Westfalen, die organisatorisch der Verbraucherzentrale zugeordnet ist und Streitfragen im Nahverkehr (mit SPNV, aber ohne Fernverkehr der DB) behandelt. Ende 2004 wurde die Schlichtungsstelle Mobilität beim VCD ins Leben gerufen, die bisher vom Verbraucherministerium finanziert wird. Ihr Zuständigkeitsbereich wurde politisch festgelegt und umfasst den Fernverkehr auf Schiene, Straße, Wasser und in der Luft. Die DB hat sich in ihrer Kundencharta zur konstruktiven Zusammenarbeit mit der Schlichtungsstelle verpflichtet und hält dies bisher auch ein, während viele Fluggesellschaften jede Kooperation verweigern. Die Schlichtungsstelle Mobilität berichtet im SIGNAL regelmäßig von ihrer Arbeit und betreibt auch sonst eine recht intensive Öffentlichkeitsarbeit.

Weniger bekannt sind dagegen die sogenannten Ombudsstellen Nahverkehr in Bayern und Baden-Württemberg, die von den Verbänden der Verkehrsunternehmen initiiert wurden und von deren Landesbüros quasi nebenher betrieben werden. Sie sind nicht nur in ihrem öffentlichen Auftreten deutlich bescheidener, sondern beschränken sich in ihrer Arbeit auch auf den Kundendienst und Qualitätsprobleme.

Einziges Verkehrsunternehmen mit einer „eigenen“ Ombudsstelle waren die Leipziger Verkehrsbetriebe, die 2002 bis 2004 eine Ombudsfrau beschäftigten. Sie konnte sich unabhängig von den Fachabteilungen des Unternehmens um die Fahrgäste kümmern und nahm (anders als andere Einrichtungen) auch Erstbeschwerden an. Um keine „Betriebsblindheit“ entstehen zu lassen, wurde sie nur für zwei Jahre ernannt, die Stelle nach der ersten Amtszeit allerdings auch nicht neu besetzt.

Europa: Teilweise besser

Deutlich umfangreichere Schlichtungsangebote für Fahrgäste gibt es etwa in den Niederlanden, Belgien, Großbritannien und der Schweiz.

In den Niederlanden kümmert sich eine Schlichtungskommission um Fahrgastbeschwerden, die aus einem Juristen als Vorsitzendem, einem Vertreter der Anbieter und der Verbraucherverbände gebildet wird. Sie gehört wie rund 30 weitere branchenspezifische Gremien zu einer „Stiftung für die Schlichtung in Verbraucherfragen“. Die Kommission erhebt eine Bearbeitungsgebühr von 25 Euro, die aber im Rahmen der Einigung vom Unternehmen ganz oder teilweise übernommen werden kann. Das Verhandlungsergebnis ist für beide Seiten bindend. Zuvor sieht das Verfahren allerdings eine schriftliche, dann mündliche Erörterung mit beiden Seiten vor. Nur wenn dort keine Einigung erzielt wird, kommt es zum formellen Schlichtungsspruch.

In Belgien kümmern sich insgesamt vier „Ombudsdienste“ um den ÖV. Sie arbeiten dabei auf nationaler oder regionaler gesetzlicher Grundlage, die Verfahren und Aufgabenbereich festlegt und ihnen auch Rechte gegenüber den Anbietern (z. B. Akteneinsicht und Zeugenvernehmung) garantiert. Der Ombudsdienst der Bahn kümmert sich etwa mit zwölf Mitarbeitern um rund 2 400 Fälle pro Jahr.

Großbritannien und Nordirland verfügen dagegen über eine Reihe sogenannter „Watchdogs“, die sich der Vertretung von Verbraucherinteressen auf allgemeiner Ebene wie auch im Einzelfall widmen. Solche Einrichtungen gibt es für den Bahnverkehr landesweit, im Busbereich nur in einigen Regionen. Hier sind es also quasi „amtlich anerkannte“ Fahrgastvertreter, die die Kunden bei Streit mit dem Unternehmen – einem Anwalt vergleichbar – diesem gegenüber vertreten. Im übrigen Busbereich gibt es stattdessen spezielle Schlichtungseinrichtungen (etwa „Bus Appeals Body“), die sich als Teilzeitgremien mit Fahrgastbeschwerden befassen, aber immerhin paritätisch von Kunden- und Unternehmensorganisationen getragen werden. Im Eisenbahnbereich besteht außerdem noch eine spezielle Organisation (IPFAS) für den Umgang mit erhöhtem Beförderungsentgelt (EBE). Die Verkehrsunternehmen stellen nur die EBE-Bescheinigungen aus, die weitere Bearbeitung erfolgt durch IPFAS. Damit sollen eine neutrale Beurteilung und ein einheitliches Vorgehen im Umgang mit Widersprüchen sichergestellt werden. Die Unternehmen müssen das EBE notfalls rechtfertigen und haben kein Widerspruchsrecht gegen Entscheidungen des Büros.

In der Schweiz wurde 2001 auf Initiative des Branchenverbands VöV die „Ombudsstelle öffentlicher Verkehr“ gegründet. Als Ombudsleute wurden Anwälte rekrutiert, die ihre Tätigkeit fallbezogen mit dem Verband abrechnen. Da so kein dauerhaftes Büro besteht, kann flexibel auf Schwankungen des Fallaufkommens reagiert werden. Während die meisten anderen Schlichtungsstellen überwiegend schriftlich mit den Beteiligten kommunizieren, versuchen die Schweizer Ombudsleute möglichst viel im persönlichen Gespräch zu klären. Die Stelle führt im Jahr rund 60 vollständige Schlichtungen durch und benötigt dafür einen mittleren fünfstelligen Euro-Betrag.

Was bringt Schlichtung?

Schlichtungsfälle können im Prinzip alle Aspekte des ÖV betreffen, in der Praxis dominieren aber eindeutig Kundendienst und Servicequalität. Besondere Bedeutung haben dabei

Streitfälle in diesen Bereichen sind stets stark von den Umständen des Einzelfalls und den beteiligten Personen geprägt, stehen allerdings im Kontext des durch allgemeine Regeln, technische und betriebliche Randbedingungen geprägten Systems.

Schlichtung muss sich daher in jedem Fall um die konkrete Situation bemühen, darf aber den Blick nicht vor grundsätzlichen Problemen – etwa unverständlichen Tarifbedingungen, falsche Kapazitätsplanung – verschließen.

In vielen der genannten Fälle haben die Betroffenen kaum Möglichkeiten, ihre Anliegen – wenn nötig – auf dem Rechtsweg klären zu lassen, was Unternehmen dazu verleiten kann, im „Kundendienst“ eine harte Linie zu fahren. Daher ist es umso wichtiger, mit einer Schlichtungsoption die Möglichkeit der Berufung zu geben – und zwar auf eine transparente und effektive Art, die die Frustration minimiert und auch den Versuch, es über die Politik oder Geschäftsführung zu versuchen, entbehrlich macht. Es geht dabei nicht darum, im Schlichtungsverfahren in jedem Fall der Fahrgastsicht zum Sieg zu verhelfen – dies würde dem Neutralitätsgebot widersprechen. Die neuerliche Begutachtung durch neue Personen und frei von den Zwängen des unternehmensinternen Beschwerdemanagements schafft jedoch in jedem Fall die Möglichkeit zur Neubewertung des Sachverhalts, zu Kompromissen und zu besserem gegenseitigem Verständnis, wovon letztlich beide Seiten profitieren.

Merkpunkte und Stolpersteine

Daher ist in jedem Fall zu begrüßen, wenn nun auch in Berlin eine Schlichtungsstelle für den Nahverkehr eingerichtet wird. Gerade die BVG hat in den letzten Jahren mit ihren privatisierten Fahrscheinkontrollen und dem häufigen Nicht-Antworten auf Kundenbeschwerden fehlendes Fingerspitzengefühl gezeigt und für (vermeidbare) schlechte Presse gesorgt.

Der bisherige Umgang mit Schlichtung in Deutschland hat aber auch einige Defizite gezeigt, die besser von Anfang an vermieden werden sollten. Diese Probleme lassen sich oft darauf zurückführen, dass Schlichtungsangebote von Anbieterseite (Branchenverbände, Handelskammern) initiiert und betrieben werden und eine übergreifende politische Koordination und Qualitätskontrolle kaum verbreitet ist. Im Vergleich zu anderen Ländern und im Hinblick auf die oben genannten Qualitätskriterien betrifft dies vor allem die Bereiche Unabhängigkeit, Transparenz/ Qualitätssicherung und Effizienz/rechtliche Absicherung.

Unabhängigkeit lässt sich etwa durch die institutionelle Zuordnung der Stelle, Auswahl der Schlichter und ggf. ein paritätisches Schlichtungsgremium erreichen. In Deutschland wird Schlichtung jedoch oft durch unternehmensnahe Einrichtungen (etwa Handelskammern) durchgeführt, die sehr auf formlose Verhandlungen setzen, ohne dass die Verbraucherperspektive institutionell berücksichtigt ist. Dies betrifft auch die o. g. „Ombudsstellen“. Damit setzen sie sich in jedem Fall dem Verdacht aus, unternehmensnah zu sein, auch wenn die handelnden Personen nach ihrer Einschätzung meinen, neutral zu sein.

Transparenz: Zu den Grundsätzen des Beschwerdemanagements gehört es, die Anzahl der unzufriedenen Kunden zu minimieren, aber auf der anderen Seite den Anteil der unzufriedenen Kunden, der sich beschwert, zu maximieren. Daher sollten auch Schlichtungseinrichtungen ihr Angebot so weit wie möglich bekannt machen und für einen niedrigschwelligen Zugang sorgen. Eine zu große Zurückhaltung senkt ihren Beitrag zur Kundenzufriedenheit und erweckt eher den Eindruck einer Alibiveranstaltung.

Effizienz bedeutet unter anderem, die Arbeitsfähigkeit der Stelle zu gewährleisten. Problematisch ist dies vor allem bei fehlender Kooperationsbereitschaft seitens der Unternehmen, wie die Erfahrungen der Schlichtungsstelle Mobilität im Luftverkehr zeigen. Den deutschen Schlichtungsstellen fehlt eine rechtliche Absicherung und politische Unterstützung, um gegen solche Widerstände vorzugehen. Daher hat zwar eine freiwillig konstruktive Zusammenarbeit Vorrang, die Stelle muss jedoch auch bei Meinungsverschiedenheiten in der Lage sein, ihre Aufgabe zu erfüllen. Hierfür sind entsprechende Festlegungen im ÖPNVGesetz, in Verkehrsverträgen und weiteren Vereinbarungen zu treffen.

Martin Schiefelbusch, nexus Institut Berlin

aus SIGNAL 5/2007 (Oktober/November 2007), Seite 21-22