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BVG-Bilanz 2005: Defizit verringert, aber Fahrgastverluste bei Bus und Straßenbahn
15. Jun 2006
Umstrukturierungen, Rationalisierungen, Gehaltsverzicht und Fahrpreiserhöhungen haben dazu beigetragen, den Jahresfehlbetrag der BVG für 2005 erneut zu senken. Doch Fahrgastverluste bei Bus und Tram und Personalengpässe im Fahrbetrieb bei gleichzeitigem Personalüberhang in der Verwaltung sind mehr als nur ein Schönheitsfehler in der Bilanz für 2005.
Die BVG hat in den vergangenen Monaten in mehreren Publikationen (BVG-Jahresbilanz, BVG-Zahlenspiegel) Daten für das Geschäftsjahr 2005 vorgelegt. Neben der erfreulichen Entwicklung beim Betriebsergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (EBITDA), wo der Jahresfehlbetrag von 107 Millionen Euro im Jahr 2004 auf 68 Millionen Euro im Jahr 2005 reduziert werden konnte, muss man, wenn man in diesen Zahlenwerken auch zwischen den Zeilen ließt, leider auch zwei sehr unerfreuliche und alarmierende Ergebnisse feststellen.
Zum einen ist das neue Liniennetz „BVG 2005 plus“ bei den Fahrgastzahlen ein Flop. Hier fehlen der BVG gegenüber der Planung 24,2 Millionen Fahrgäste, wobei das veränderte Oberflächennetz von Bus und Straßenbahn im Gegensatz zum weitgehend unveränderten U-Bahn-Netz besonders schlecht abschneidet.
Zum anderen verläuft der Personalabbau sehr unterschiedlich. Während das für die Kunden besonders bedeutsame Fahrpersonal der BVG kontinuierlich abgebaut wird, geht der Personalabbau in anderen Bereichen wie der Verwaltung eher schleppend voran.
Große Erwartungen hatte BVG-Marketingchef Tom Reinhold mit seinem Mitte Dezember 2004 eingeführten Verkehrskonzept „BVG 2005 plus“ geweckt. Doch schon die Werbung misslang, weil sie den Eindruck erweckte, die neuen Metro-Linien seien besonders schnell, gewissermaßen Expressbusse. Vernachlässigt wurde demgegenüber die Sachinformation zu den umfassenden Änderungen. Nachbesserungen erkannter Mängel kamen zu spät oder gar nicht.
Im Rückblick auf das Jahr 2005 zeigt sich nun, dass die Erwartungen der BVG, mit dem veränderten Angebot Einsparungen und dennoch deutliche Fahrgastzuwächse zu erzielen, nicht erfüllt wurden. Mit 25 Millionen zusätzlichen Fahrgästen hatte die BVG gerechnet und ihr Verkehrskonzept so auch gegenüber Politik und Kunden beworben. In Wirklichkeit stieg die Fahrgastzahl dagegen nur um 0,8 Millionen an, wie ein Vergleich der Jahre 2004 und 2005 zeigt. Die prozentuale Steigerung lag nur bei 0,1 % und blieb somit deutlich hinter dem deutschlandweiten Vergleichswert zurück, wo die im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zusammengeschlossenen Unternehmen es unter anderem wegen günstiger Rahmenbedingungen wie steigenden Benzinpreisen geschafft haben, die Fahrgastzahlen um durchschnittlich 1,5 % zu erhöhen. Rechnet man die deutschlandweite Steigerung auf Berlin um, so hätte sich die BVG auf insgesamt 919,7 Millionen Fahrgäste steigern und somit 13,6 Millionen Fahrgäste gewinnen müssen.
Wie positiv die Rahmenbedingungen für den öffentlichen Verkehr in Berlin sind, belegen die Fahrgastzahlen der S-Bahn Berlin GmbH. Beflügelt durch steigende Touristenzahlen, hohe Benzinpreise, gute Marketing-Aktivitäten im Freizeitverkehr und durch die Inbetriebnahme der S-Bahnstrecke nach Teltow ist es der S-Bahn gelungen, die Fahrgastzahl von 318,2 Millionen Fahrgästen im Jahr 2004 auf 356 Millionen im Jahr 2005 zu steigern, so dass der Zuwachs bei 11,9 % liegt.
Sucht man nach Gründen für die schlechteren Fahrgastzahlen der BVG, so scheint – neben der vollkommen unangemessenen Verteuerung der Fahrpreise für Stammkunden (+ 6,9 % bei Jahreskartenbesitzern zum August 2005) – vor allem das neue Liniennetz „BVG 2005 plus“ dazu beigetragen zu haben, wie ein Vergleich Betriebszweig-Fahrgastfahrten zeigt (siehe Tabelle 1).
So liegt die S-Bahn, deren Angebot bei „BVG 2005 plus“ kaum verändert worden ist, mit einem Zuwachs von 6,9 Millionen Fahrgästen oder + 1,5 % exakt im Bundestrend. Dagegen verlieren Straßenbahn und Bus, deren Netz mit „BVG 2005 plus“ umgekrempelt worden ist, zusammen 6,2 Millionen Fahrgäste. Hierbei verliert die Tram mit - - 2,2 % noch stärker als der Bus mit - 0,6 %. Es sollte aber nicht unerwähnt bleiben, dass dieser Unterschied an den langen Bauarbeiten auf der fahrgaststarken Straßenbahnstrecke durch die Berliner Allee in Weißensee (M 4, M 13 und 12) gelegen haben kann.
Die Fahrgäste haben also das neue Liniennetz im Oberflächenverkehr noch nicht ausreichend angenommen bzw. können es auf den vielen Relationen, in denen der ÖPNV ersatzlos oder zu bestimmten Zeiten eingestellt worden ist, gar nicht annehmen oder sie sind auf Grund von langen Wartezeiten oder Umsteigezwängen auf Auto oder Fahrrad ausgewichen. Da nach Angaben der BVG die Metrolinien die Erwartungen erfüllt haben, müssen die Fahrgastverluste demzufolge überproportional im Ergänzungsnetz aufgetreten sein, wo das Leistungsangebot bekanntlich besonders stark gekürzt worden ist.
Auf Grund der Fahrgastrückgänge hat sich die starke Reduzierung der Verkehrsleistung im Ergänzungsnetz um ca. 10 % auch negativ auf die Erlössituation ausgewirkt. Weil gegenüber dem Planungsstand 24,2 Millionen Fahrgäste fehlten, sind die Erlöse selbst bei einem mit 0,55 Euro/Fahrt sehr niedrig angesetzten Durchschnittserlös um 13,3 Millionen Euro hinter den Planungen zurückgeblieben. Es ist aus Sicht der IGEB daher unbedingt erforderlich, auf Grund der Fahrgastverluste im Ergänzungsnetz sowohl aus ökonomischen Gründen als auch auf Grund des vorhandenen Kundenbedarfs gegenzusteuern und das Angebot entsprechend zu verdichten.
Die BVG ist nun gefordert, das Verkehrsangebot an den Stellen, an denen besonders hohe Fahrgastverluste verzeichnet wurden, wieder auszubauen – auch wenn der betriebliche Aufwand damit steigen würde und wieder das Niveau des derzeit gültigen Verkehrsvertrages erreichen würde. Die von der BVG zum Fahrplanwechsel am 28. Mai 2006 vorgenommenen minimalen Korrekturen reichen dazu nicht aus – insbesondere bei den vier Haupt-Kritikpunkten an „BVG 2005 plus“ wurde noch nicht gegengesteuert.
So fehlen erstens weiterhin wichtige Direktverbindungen, welche teilweise seit mehreren Jahrzehnten existierten und Müllervon den Kunden stark nachgefragt wurden, wie beispielsweise die Relation zwischen den Lichtenberger Ortsteilen Friedrichsfelde und Fennpfuhl (ehemalige Straßenbahnlinie 27) oder die Direktverbindung vom Weißenseer Pasedagplatz zum Alexanderplatz (ehemals Straßenbahnlinie 2).
Als zweite Ursache ist eine zu geringe Taktdichte auf wichtigen Linien und Strecken im Tagesverkehr zu nennen. Wenn selbst fahrgaststarke innerstädtische Buslinien wie der 101er oder 104er nur noch im 20-Minutentakt befahren werden, führt dies zwangsläufig zu deutlichen Fahrgastverlusten.
Zusätzliche Umsteigezwänge, wie sie beispielsweise in Falkenberg zwischen dem Bus 197 und der Straßenbahn vielen Kunden auch im Kurzstreckenverkehr zugemutet werden, sind die dritte Ursache für Fahrgastverluste.
Als vierter Aspekt sind die eingeschränkten Betriebszeiten zu nennen, welche beispielsweise die BVG-Nutzer im Heinrich- Heine-Viertel zu spüren bekommen, weil ihr letzter Bus werktags schon um 18 Uhr fährt und sie sonntags ganz ohne BVG-Angebot leben müssen.
Begibt man sich auf die Suche nach Gründen für die jährlichen Angebotskürzungen der BVG, so fällt einem der Fahrermangel auf. Im vergangenen Jahr verließen 8,4 % der Fahrer die BVG, dagegen nur 3,8 % der Angestellten, wie Tabelle 2 zeigt. Daher ist die Versuchung groß, auf Fahrermangel durch Angebotskürzungen zu reagieren. Es sollte aber allen Beteiligten klar sein, dass dies der falsche Weg ist, schließlich trifft man damit vor allem die Kunden, aus deren Fahrgelderlösen die BVG zum größten Teil finanziert wird. Außerdem führt dies dazu, dass der prozentuale Anteil der Verwaltungsmitarbeiter bei der BVG von Jahr zu Jahr wächst – ein wahrlich ungesunder Wachstumspfad.
Aus Sicht des Berliner Fahrgastverbandes IGEB ist es daher unabdingbar, dass die Politiker der BVG endlich deutlich machen, dass jährliche Kürzungen des Fahrplanangebots bei gleichzeitigen Fahrpreiserhöhungen nicht länger akzeptiert werden. Im Gegenzug muss die BVG von ihren von den Politikern zu verantwortenden Altschulden befreit werden, die das Unternehmen und somit auch die Fahrgäste mit jährlich rund 40 Millionen Euro für Zinszahlungen (ohne Tilgung) belasten – Tendenz steigend. Der neue Nahverkehrsplan und der zu verhandelnde neue Verkehrsvertrag bieten allen Beteiligten dafür jetzt eine gute Gelegenheit. Es ist aber zugleich auch die letzte Chance für die Sicherung eines attraktiven und bezahlbaren Nahverkehrsangebotes in Berlin.
IGEB
aus SIGNAL 4/2006 (August/September 2006), Seite 22-23