Berlin
Von Mathe und S-Bahn-Toastern...
1. Okt 2004
„Wieso fährt die Berliner S-Bahn weiterhin mit Zügen der Baureihe 480?“ fragen sich einige Fahrgäste nach dem Brand eines Zuges dieser Baureihe im Berliner S-Bahn-Tunnel. Schließlich war das ja nicht das erste Mal, dass ein Wagen dieses Typs „etwas wärmer“ geworden ist, als er dürfte. Panikmache, sagt die S-Bahn, diese Züge seien technisch genauso sicher wie alle anderen Züge der S-Bahn. Unwahrscheinlich, sagen die Skeptiker, denn betrachtet man den immer geringer werdenden Anteil dieser Baureihe am Gesamt-Fahrzeugpark der Berliner S-Bahn und die Tatsache, dass dies bereits der vierte Brand ohne äußere Einwirkungen ist, so kommt man ins Grübeln: Wie wahrscheinlich ist es, dass zufällig immer ein Zug der Baureihe 480 brannte?
Wenn man die Aussage der S-Bahn „Alle Züge sind gleich sicher“ zugrunde legt, dann lässt sich ableiten, dass auch alle Züge mit der gleichen Wahrscheinlichkeit durch einen technischen Mangel anfangen zu brennen. Betrachten wir nun den Fahrzeugpool. Insgesamt hatte die Berliner S-Bahn etwa 717 Viertelzüge zur Verfügung. 81 davon waren Züge der Baureihe 480. Das sind etwa 11% von der Gesamtzugzahl. Also liegt die erste Wahrscheinlichkeit, nämlich die, dass von EINEM S-Bahn-Brand zufällig die BR 480 betroffen ist, bei 11%.
Für die Folgebrände bedienen wir uns eines Modells. Wir lassen dabei den einen schwächsten Brand, bei dem der Wagen erhalten geblieben ist, außer Acht. Damit haben wir ein einfaches mathematisches Modell der Wahrscheinlichkeitsrechnung, das von 3 S-Bahn-Bränden ausgeht, wonach anschließend immer ein Wagen weniger vorhanden war. Dieses nennt man „Ziehen von drei Kugeln ohne Zurücklegen“ und es geht so:
Wir haben einen großen Topf. Dort hinein werfen wir jetzt, stellvertretend für die 717 Züge, genau 717 Kugeln, wovon genau 81 rot sind. Diese 81 roten Kugeln stellen die BR 480 dar. Alle anderen Kugeln sind weiß und repräsentieren die anderen Züge, die zu den anderen Baureihen gehören. Das sind dann genau 636. Jetzt greift jemand mit verbundenen Augen in diesen Topf und zieht die erste Kugel. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass diese rot ist, liegt bei 81/717 also etwa bei 11%.Jetzt befinden sich nur noch 716 Kugeln im Topf, 80 davon sind rot. Es wird ein zweites Mal in den Topf gegriffen. Die Wahrscheinlichkeit dafür dass beim ersten UND beim zweiten Mal rot gezogen wird, liegt bei (81x80) / (717x716). Beim dritten Ziehen wird die Zahl noch kleiner. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass von drei Ziehungen immer eine rote Kugel gezogen wird, also, dass es bei drei Bränden zufällig immer die BR 480 trifft, liegt bei (81x80x79) / (717x716x715), dass sind 0,0013946 - also etwa 0,14%. Somit steht’s 713 zu 1 gegen einen Zufall. Das bedeutet: Spielt man dieses Kugelspielchen 714 Mal, würde man davon nur ein Mal ausschließlich rote Kugeln ziehen. Sie können es ja ausprobieren.
Nehmen wir mal an, dass das Szenario "Drei Brände ausschließlich in Zügen einer Baureihe mit einem Anteil von 11% am Gesamtfahrzeugpark" auch auf 713 andere Verkehrsbetriebe auf der ganzen Welt zutrifft, so waren die Brände bei EINEM Unternehmen Zufall, bei allen anderen 713 dürften Mängel der Baureihe die Brandursache gewesen sein. Darf man sich vor diesem Hintergrund wundern, dass die Züge der Baureihe 480 den Spitznamen Toaster tragen? (hm)
Leserforum
aus SIGNAL 5/2004 (Oktober/November 2004), Seite 44