Brandenburg
Eine Verlängerung der Gleichstrom-S-Bahn von Hennigsdorf nach Velten ist unter bestimmten Voraussetzungen volkswirtschaftlich sinnvoll. Das ist das Ergebnis einer „Standardisierten Bewertung“, die am 13. April 2010 im Rathaus Velten vorgestellt wurde. Die Stadt Velten hatte das Berliner Planungsbüro ETC mit der „Nutzen- Kosten-Untersuchung“ beauftragt.
1. Jun 2010
Dabei wurde eine sehr sparsame Bauvariante mit einer Investitionssumme von nur 14 Mio Euro für die 6 km lange Strecke ausgewählt, so dass der Nutzen-Kosten-Index den guten Wert von 1,35 erreicht. Das bedeutet, dass für 1 Euro Investitionskosten 1,35 Euro volkswirtschaftlicher Nutzen entsteht. Der Gutachter betonte, dass aber schon geringe Planungsänderungen, beispielsweise ein zusätzlicher S-Bahn-Halt in Hohenschöpping oder eine Verlegung des geplanten Haltepunkts Hennigsdorf Nord, den guten Wert deutlich verändern könnten. Deshalb besteht infrastrukturell wenig Spielraum zu der gerechneten Variante.
Ausgegangen wurde von der Verlängerung der S 25 im 20-Minuten-Takt von Hennigsdorf nach Velten mit einer Betriebszeit von 4 Uhr morgens bis 1 Uhr nachts. Ermöglicht werden soll das durch den Bau einer Stromschiene am bestehenden Gleis der Regionalbahn, auf dem dann S-Bahn und Diesel-RE6 gemeinsam verkehren. Die fahrplanmäßige Machbarkeit eines stabilen Mischbetriebs wurde in Simulationen nachgewiesen.
In Hennigsdorf und Velten müssen die Bahnsteige nur sehr gering angepasst werden. Ein neuer Zugang mit Aufzug in Velten ist nicht vorgesehen. In Hennigsdorf Nord ist ein S-Bahn-Haltepunkt mit einem Seitenbahnsteig und einfacher Ausstattung mit ebenerdigem Zugang geplant, etwa 250 Meter südlich vom Außenring.
Der S-Bahn-Betrieb kann ohne zusätzliche Fahrzeuge durchgeführt werden, da heute eine lange Kehrzeit in Hennigsdorf besteht.
Der RE 6 würde wie bisher stündlich verkehren mit Kopfmachen in
Hennigsdorf. Die ebenfalls stündlich fahrende RB 55 würde verkürzt auf den Abschnitt Kremmen—Velten statt derzeit Kremmen—Hennigsdorf. Damit kann ein Triebwagen eingespart werden. Auch die Buslinie 807 würde angepasst und „effizienter“ werden.
Das Prüfgleis des Fahrzeugherstellers Bombardier, das parallel zur Strecke liegt und bereits mit Stromschiene und Oberleitung ausgestattet ist, würde nicht berührt werden und weiterhin ausschließlich Bombardier zur Verfügung stehen.
Betrachtet für das Jahr 2020 würden 9000 Fahrgäste pro Werktag die S-Bahn zwischen Hennigsdorf und Velten nutzen. Es würde eine Verlagerung vom Individualverkehr (Auto) zum öffentlichen Nahverkehr von 640 Fahrten pro Werktag stattfinden, und es gäbe 130 neue Fahrten pro Werktag im ÖV (induzierter Neuverkehr).
In den Investitionskosten ist auch ein neues bzw. Anpassungen im bestehenden S-Bahn-Unterwerk zur Stromversorgung mit 4 Mio Euro berücksichtigt.
Die Städte Velten und Hennigsdorf wünschen die S-Bahn-Verlängerung so schnell wie möglich und überlegen, ob sie selbst oder der Landkreis Oberhavel einen Teil der Investitionskosten übernehmen können. Zum Schluss entscheidet aber das Land Brandenburg über den Bau und den Betrieb. Und von dort war bisher vor allem Zurückhaltung zu spüren, denn Brandenburg setzt auf die Durchbindung des RE 6 über die Kremmener Bahn nach Berlin-Gesundbrunnen. Dieses Projekt ist aber überhaupt nicht absehbar, zumal die Strecke fast ausschließlich auf Berliner Gebiet verläuft, das Land Berlin für seine Bürger aber hauptsächlich auf die S-Bahn setzt.
In Velten soll nun eine Unterschriftensammlung für die S-Bahn-Verlängerung stattfinden, die Mitte Juni 2010 dem Verkehrsminister in Potsdam übergeben werden soll. Verkehrsminister Jörg Vogelsänger hat zugesagt, sich das Gutachten eingehend anzusehen und die Strecke ggf. in den brandenburgischen Nahverkehrsplan aufzunehmen.
Bereits von 1927 bis 1983 fuhr die S-Bahn nach Velten, ab dem Mauerbau 1961 als Inselbetrieb Hennigsdorf—Velten ohne Verbindung zum restlichen S-Bahn-Netz.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB und der DBV Berlin-Brandenburg unterstützen die Veltener und Hennigsdorfer beim Engagement für die S-Bahn-Verlängerung nach Velten. 9000 prognostizierte Fahrgäste für einen Außenabschnitt einer S-Bahn ist kein Wert, der sich verstecken muss. Auch der Investitionsaufwand zum „Schnäppchenpreis“ von 14 Mio Euro ist überschaubar – schließlich müssen nicht wie so oft „goldene Schienennägel“ geplant werden.
Gegenüber der nicht absehbaren „großen Lösung“, der Weiterführung der stündlichen RE-6-Züge von Hennigsdorf nach Gesundbrunnen (statt Spandau), bietet die S-Bahn im mittelfristigen Zeitplan viele Vorteile für die Region. Der Umsteigepunkt für die Verkehre von Kremmen, Bärenklau usw. wird von Hennigsdorf nach Velten verlagert, wo bahnsteiggleich zwischen RB und S-Bahn umgestiegen werden kann. Velten hat damit einen sauberen und zuverlässigen 20-Minuten-Takt zu allen Bahnhöfen der S 25. Diese Attraktivität ist auch durch einen stündlichen RE-Verkehr über Außenring—Stettiner Bahn—Gesundbrunnen nicht zu erreichen.
Im Gegensatz zu anderen S-Bahn-Projekten, zum Beispiel in Falkensee, befürworten hier auch die große Mehrheit der Bürger und die Rathäuser in Velten und Hennigsdorf die S-Bahn-Verlängerung. Der Region würde der S-Bahn-Anschluss langfristige wirtschaftliche Impulse geben. (fm)
IGEB S-Bahn und Regionalverkehr
aus SIGNAL 2/2010 (Mai 2010), Seite 18-19