Bayern
2010 war für die Münchner Fahrgäste ein besonders ereignisreiches Jahr - Ein Rückblick.
18. Mär 2011
Das Jahr 2010 begann mit einer Katastrophe für die Münchner Fahrgäste. Am Stachus in München brachen am 3. Januar 2010 die Schienen der Trambahn an einer wichtigen Weichenverbindung. Dadurch wurden die zwei Trambahnlinien 19 und 27 unterbrochen. Zwar konnte eine Linie mit einem provisorisch eingebauten Gleisstück wieder den Betrieb aufnehmen, aber die gesamte Weichenkonstruktion musste durch eine Neuanfertigung ersetzt werden. Diese wurde erst in den Osterferien eingebaut. Es wird vermutet, dass dem neuen Hersteller der gebrochenen Gleiskonstruktion Fehler unterlaufen sind.
Vom Münchner Stadtrat wurden die Weichen am 27. Januar richtig gestellt. In einem Grundsatzbeschluss beauftragte er die Stadtverwaltung mit den Planungen für die Trambahn-Westtangente. Schon seit 1986 ist diese Linie in den Plänen zum Ausbau der Münchner Straßenbahn enthalten. Einstimmig wurde sie auch 1991 im Beschluss des Stadtrates zum Erhalt und Ausbau der Trambahn beschlossen. Derzeit sind einige Stadträte noch nicht vom Sinn dieses Projektes überzeugt. Aber die Fahrgäste brauchen diese Tangente dringend. Die Linie wird vom Romanplatz über die Fürstenrieder Straße bis zum U-Bahnhof Aidenbachstraße oder sogar bis zur S-Bahn führen.
Am 27. April konnte der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) für das Jahr 2009 mit 619,8 Millionen Fahrgästen erneut ein Rekordergebnis
melden. Die Fahrgastzahlen stiegen gegenüber dem Vorjahr um 0,35 Prozent – für das wirtschaftliche Krisenjahr 2009 kein schlechtes Ergebnis.
Bewährt hat sich der „Schienenersatzverkehr mit Taxen“ auf gestörten Trambahnlinien. Seit dem 1. Mai 2010 wird den Fahrgästen ein Weiterkommen im Regelbetrieb angeboten. 170 Mal mussten die Mitarbeiter des Betriebszentrums der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) ein Taxi rufen – für jeden Falschparker ein teurer Spaß.
Mit viel Pomp und Getöse wurde am 17. Mai der erste erneuerte Trambahnzug der Baureihe R 2.2 der Öffentlichkeit vorgestellt. 50 Züge sollten umgebaut werden. Die ersten beiden Exemplare stehen leider immer noch nutzlos im Betriebshof der MVG herum. Sie haben nämlich keine Zulassung durch die Technische Aufsichtsbehörde erhalten. Es bleibt sowieso fraglich, ob das Geld für einen solchen Umbau gut angelegt ist, denn die Fahrzeuge sind für München auch nach dem Umbau von Sitzplätzen in Stehplätze zu klein.
Am 21. Mai 2010 konnte der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude unter dem Jubel der Fahrgäste und zahlreicher Bürgervertreter mit einem schwungvollen Spatenstich das Startsignal zum Neubau der Trambahn nach St. Emmeram geben. Die über 4 Kilometer lange Neubaustrecke verläuft von der bestehenden Trambahnendhaltestelle Effnerplatz unter dem 52,5 Meter hohen Kunstbauwerk „Mae West“ hindurch zur Effnerstraße. Von dort geht es weiter durch die Englschalkinger Straße und die Cosimastraße in Richtung Oberföhring. Leider ist es den Stadtwerken nicht gelungen, den ursprünglich für das Frühjahr 2011 vorgesehenen Eröffnungstermin einzuhalten. Nun hoffen alle, dass die Trambahn wenigstens zum Ende der Sommerferien 2011 fertig sein wird.
Am 31. Mai bewies ein junger Mann Zivilcourage und rettete einem Betrunkenen, der ins S-Bahn-Gleis gefallen war, das Leben. Mit großer Umsicht versicherte er sich, dass sich kein Zug näherte, schickte andere Fahrgäste sowohl zur Aufsicht als auch an den Tunnelmund, um das Personal auf die Situation aufmerksam zu machen, und zog den Mann in den Fluchtraum unter dem Bahnsteig.
Am 31. Mai bewies ein junger Mann Zivilcourage und rettete einem Betrunkenen, der ins S-Bahn-Gleis gefallen war, das Leben. Mit großer Umsicht versicherte er sich, dass sich kein Zug näherte, schickte andere Fahrgäste sowohl zur Aufsicht als auch an den Tunnelmund, um das Personal auf die Situation aufmerksam zu machen, und zog den Mann in den Fluchtraum unter dem Bahnsteig.
Seit dem 19. Juli 2010 sind die modernsten Münchner Trambahnen abgestellt. Die von der Technischen Aufsichtsbehörde festgestellten Mängel erzwangen diesen Schritt. Der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) ist es nicht gelungen, alle erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Die Fahrgäste müssen seither auf vier große Trambahnzüge verzichten. Millionenwerte stehen ungenutzt im Betriebshof umher.
Kein leuchtendes Beispiel rot-grüner Verkehrspolitik konnten die zahlreichen Zuschauer am 28. Juli im Münchner Stadtrat erleben. Gegen den Widerstand der CSUFraktion beschlossen die Stadträte einen Kahlschlag im Moosacher Metrobusnetz. Nicht nur die durch den U-Bahn-Bau überflüssige Metrobuslinie 51 soll eingestellt werden, sondern auch die Metrobuslinie 50 zwischen Lassallestraße und dem Bahnhof Moosach. Damit wird ein ganzes Stadtquartier vom Linienverkehr abgeschnitten. Besonders negativ trat bei dieser Entscheidung der SPD-Fraktionsvorsitzende Alexander Reissl in Erscheinung. Obwohl er früher in dem betroffenen Quartier aufgewachsen ist und die Bürger auf seine Hilfe vertrauten, unterstützte er vehement die Stillegungsbemühungen der MVG.
Etliche Fahrgäste feierten am 12. August das 100-Jährige Bestehen der Trambahnlinie 25 nach Grünwald. Die Gemeinde Grünwald und die Münchner Volkshochschule würdigten das Ereignis mit einem Vortrag und einer beachtenswerten Ausstellung. Nur der Verkehrsbetrieb, die MVG, konnte sich nicht zu einer Feier durchringen, da die Verhandlungen über die weitere Finanzierung dieser Linie immer noch nicht abgeschlossen sind.
Am 10. September legte das bei der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) organisierte Fahrpersonal der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) die Arbeit nieder. In der Folge kam es zu grotesken Zuständen. Anfänglich leugneten die Verantwortlichen des Verkehrsunternehmens jede Auswirkung des Streiks, um dann kurz darauf ein Notprogramm einzuführen. Mit diesem Notprogramm fuhren wesentlich weniger Fahrzeuge, und insbesondere der Nachtlinienverkehr wurde eingestellt. Die Fahrgäste mussten also unter Streikfolgen leiden, obwohl gar nicht gestreikt wurde. Auch die mit dem Notfahrplan versprochene Pünktlichkeit der Fahrzeuge stellte sich nicht ein. Auch das Münchner Oktoberfest wurde erstmalig von den Streikfolgen getroffen. Die Unzufriedenheit des Fahrpersonals wurde durch die völlig überhöhten Gehälter der Geschäftsführer verstärkt. Der Gewerkschaft Verdi ist ein Tarifabschluss ohne Arbeitskampfmaßnahmen gelungen. Dies verdiente den Respekt der Fahrgäste. Nachdem die Arbeitgeber Verhandlungen zu den Arbeitszeiten zusagten, wurde auch von der GDL der Streik beendet.
Auf jahrelange Forderungen der Fahrgastverbände reagierte die Münchner Verkehrsgesellschaft am 23. September 2010 mit einer „Angebotsoffensive“, die bis 2020 reichen soll. Bei der U-Bahn will die MVG im Berufsverkehr einen Zwei-Minuten-Takt auf besonders stark frequentierten Streckenabschnitten der U 2 und U 6 realisieren und damit die Spitzenkapazität um bis zu 34 Prozent steigern. Bei der Trambahn wird der längst überfällige 6-Minuten-Takt auf der Durchmesserlinie 27 eingeführt, allerdings soll diese Linie künftig am Sendlinger Tor enden. Der Bus wird der Nachfrage angepasst. Damit ergibt sich bis 2018 ein mageres Wachstum von lediglich fünf Prozent.
Während bei der S-Bahn im Verlauf des Jahres 2010 neue Fahrscheinautomaten aufgestellt wurden, die sowohl Fernverkehrsfahrkarten wie auch Zeitkarten ausgeben können, stellte die MVG am 27. Oktober eine neue Generation von Ticket-Automaten vor, die eine gänzlich andere Bedienoberfläche haben und auch wieder keine Zeitkarten ausgeben. Bis Ende 2012 wird die MVG fast jeden zweiten stationären Automaten durch ein neues Gerät ersetzen. Insgesamt werden 292 neue Geräte aufgestellt, die nicht mit den anderen Verkehrsunternehmen oder der Verbundgesellschaft abgestimmt sind.
Der Bayerische Verkehrsminister Martin Zeil hat am 10. November die Deutsche Bahn mit der Einleitung des Planfeststellungsverfahrens für die Verlängerung der S 7 von Wolfratshausen nach Geretsried beauftragt (vgl. SIGNAL 6/2010). Damit kann nun in einem rechtsstaatlichen Verfahren geprüft werden, ob die Forderung nach einem Ersatz des Bahnübergangs in Wolfratshausen durch eine Unterführung berechtigt ist. Die Verlängerung der S-Bahn wird von den Fahrgästen in Geretsried dringend gewünscht.
Die größte Fahrzeugbestellung in der Geschichte der Münchner U-Bahn gaben die Stadtwerke München (SWM) am 12. November 2010 bekannt. Sie ordern zunächst 21 sechsteilige Gliederzüge, das entspricht 126 Wagen, für das U-Bahn-Netz der MVG. Das Investitionsvolumen liegt bei rund 185 Millionen Euro. Weitere bis zu 46 Züge (276 Wagen) sind in zwei Optionen mit jeweils bis zu 23 Einheiten vorgesehen. Das Gesamtvolumen (Festbestellung + zwei Optionen) liegt bei bis zu 550 Millionen Euro. Der neue Zug (MVG-Typenbezeichnung C2.11) wird weitestgehend dem 2002 erstmals eingesetzten Typ C (Serien C1.9 und C1.10, insgesamt 18 Züge / 108 Wagen) entsprechen, weil sich diese Fahrzeuge zwischenzeitlich betrieblich sehr bewährt haben und auch von den Kunden äußerst positiv bewertet werden. Hersteller der neuen Münchner U-Bahn wird die Siemens AG sein.
Mit der Verlängerung der U 3 nach Moosach am 11. Dezember 2010 übergab die Münchner Baureferentin Rosemarie Hingerl den 99. und 100. U-Bahnhof den Münchner Fahrgästen. Bis auf das schwere Unglück in Trudering, als 1994 beim Bau des neuen U-Bahnhofs die Tunneldecke einstürzte, ein Linienbus in den Krater stürzte und drei Menschen ums Leben kamen, ist es den Experten vom Baureferat immer gelungen, die Termine und den Kostenrahmen beim U-Bahn-Bau einzuhalten. Das frühere U-Bahn-Referat ist im Baureferat aufgegangen.
Der U-Bahn-Bau ist damit in München abgeschlossen. Es sind keine Strecken mehr im Bau. Geplant ist aber noch eine Verlängerung vom heutigen Endbahnhof Klinikum Großhadern nach Martinsried, einem Ortsteil der Gemeinde Planegg. Für diese Verlängerung wird derzeit das Planfeststellungsverfahren durchgeführt.
Die letzte Münchner Streckenverlängerung ist etwa zwei Kilometer lang. Durch das rund 180 Millionen Euro teure Projekt, das von Bund und Freistaat mit 135 Millionen Euro unterstützt wurde, entstand am Moosacher Bahnhof eine attraktive Verknüpfung mit dem S-Bahn-Netz, insbesondere zur Flughafenlinie S 1, und dem Regionalverkehr. Die Einwohner von Moosach erhielten außerdem eine schnelle und zuverlässige U-Bahn-Verbindung von und nach Schwabing und in die Münchner Innenstadt. Die neuen Bahnhöfe sind Moosacher St.- Martins-Platz und Moosach. Gleichzeitig wurde aber ein ganzes Stadtquartier vom Busverkehr abgeschnitten. Statt bequem mit dem Bus zur U-Bahn fahren zu können, müssen die Bürger einen viertelstündigen Fußmarsch in Kauf nehmen. Dies ist gerade für die dort wohnende ältere Bevölkerung äußerst beschwerlich.
Am 12. Dezember 2010 trat nicht nur ein neuer Fahrplan in Kraft, sondern auch die Tarife wurden erhöht. Eine Änderung im Kleingedruckten, die die Kombination von Tageskarten mit anderen Fahrkartenarten verboten hätte, wurde nach einer Intervention des Münchner Oberbürgermeisters wieder zurückgenommen. Mit einem Preis von 12 Euro für die beliebte Streifenkarte wurde die Schmerzgrenze im Bartarif überschritten.
Das Jahr 2011 wird sicher viele Herausforderungen an die Politik und die Verkehrsunternehmen bringen. Besonders spannend wird sein, ob mit dem Bau eines zweiten S-Bahn-Tunnels in München begonnen wird. Dieser sollte nach den Vorstellungen des damaligen Verkehrsministers Otto Wiesheu eigentlich im Jahr 2010 gemeinsam mit dem Transrapid fertiggestellt sein. „Auch die Verkehrspolitik der Landeshauptstadt München wird sich wieder mehr an den Interessen der Bürger und Fahrgäste orientieren müssen“, meint Andreas Nagel, Sprecher der Aktion Münchner Fahrgäste.
Aktion Münchner Fahrgäste im DBV
aus SIGNAL 1/2011 (März 2011), Seite 20-21