Report

Regionalfaktoren entfallen ab Dezember 2011


Deutscher Bahnkunden-Verband

18. Mär 2011

Vernachlässigte Infrastruktur, zum Beispiel auf der Strecke Berlin-Schöneweide—Beeskow (Foto)—Frankfurt (Oder). Der VBB errechnete in seiner „Qualitätsanalyse Netzzustand 2009“ für die hier verkehrende Linie OE 36 einen Zeitverlust durch Geschwindigkeitseinbrüche für Hin- und Rückfahrt von mehr als 30 Minuten! Foto: Christian Schultz

Der Trassenpreis für die Nutzung der Schieneninfrastruktur der Deutschen Bahn (DB) errechnet sich aus mehreren Faktoren, wobei folgende Formel zur Errechnung des Preises pro Trassenkilometer (Trkm) dient: Kategoriegrundpreis mal Produktfaktor mal leistungsabhängige Komponente mal Regionalfaktor plus Lastkomponente.

Es gibt insgesamt 12 verschiedene Streckenkategorien, die unterschiedliche Ausstattungsmerkmale aufweisen. Die Kategorie Fplus hat beispielsweise überdurchschnittliche verkehrliche Bedeutung; aufgrund der infrastrukturellen Ausstattungsmerkmale können diese Strecken überwiegend mit Geschwindigkeiten über 280 km/h befahren werden. Der Kategoriegrundpreis beträgt hier seit dem 12. Dezember 2010 8,55 Euro/Trkm und ist damit auch die teuerste Kategorie; zuvor waren es

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8,38 Euro/Trkm.

Zum Vergleich: Die Kategorie S 3 beinhaltet alle gleichstrombetriebenen Strecken der Berliner S-Bahn und liegt seit Dezember 2010 bei 2,75 Euro/Trkm (zuvor 2,70 Euro/ Trkm).

Für die Trassenpreisberechnung kommen ein Produktfaktor, wie z. B. eine Personenverkehrs- Express-Trasse (Faktor 1,80) oder eine Personennahverkehrs-Takt-Trasse (Faktor 1,65), und zusätzlich eine leistungsabhängige Komponente hinzu. Mit dem letztgenannten Faktor sollen Anreize zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit geschaffen werden; ein Auslastungsfaktor von 1,2 wird beispielsweise für besonders stark ausgelastete Streckenabschnitte erhoben oder ein Zuschlagfaktor von 1,5, wenn auf Fernstrecken und Strecken des Stadtschnellverkehrs zugbedingt eine Mindestgeschwindigkeit von 50 km/h nicht erreicht wird. Die Lastkomponente berücksichtigt den zusätzlichen Aufwand für schwere Züge durch erhöhten Verschleiß der Infrastruktur. Für Zuggewichte über 3000 t wird daher ein additiver Zuschlag von 0,94 Euro/Trkm erhoben.

Besonders umstritten sind die von der Deutschen Bahn zum 1. Januar 2003 eingeführten Regionalfaktoren. Sie werden örtlich differenziert für das jeweilige Regionalnetz gebildet. Ihre Anwendung beschränkt sich auf den Schienenpersonennahverkehr als Hauptnutzer der Regionalstrecken. Im Trassenpreissystem des Jahres 2010 variierte die Höhe dieser Faktoren zwischen 1,0 und 1,91. Für 2011 erfolgte eine Begrenzung auf maximal 1,70.

Sowohl die Auswahl der Strecken als auch die Höhe der einzelnen Regionalfaktoren war aus Sicht der Bundesnetzagentur sachlich nicht nachvollziehbar. Deshalb erklärte die Bundesnetzagentur die DB-Regionalfaktoren bereits im März 2010 für ungültig, da sie mit dem Eisenbahnrecht nicht vereinbar seien.

Im August 2010 wurde dazu ein entsprechender öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen Bundesnetzagentur und DB Netz AG geschlossen. Entsprechend diesem Vertrag erfolgte bereits eine Absenkung der Regionalfaktoren in 16 der bestehenden 40 Regionalnetze zum Beginn der Netzfahrplanperiode am 12. Dezember 2010. Allerdings sind hierbei auch Netze berücksichtigt, bei denen eine Absenkung der Regionalfaktoren ohnehin vorgesehen war, weil Rationalisierungsinvestitionen bereits umgesetzt wurden und/oder weil die Aufgabenträger Mehrleistungen bestellt haben.

Bundesweit reduzieren sich dadurch die Trassenkosten für Züge des Regionalverkehrs im laufenden Fahrplanjahr um knapp 20 Mio. Euro.

Die DB Netz AG verpflichtete sich des Weiteren, die Regionalfaktoren ab 11. Dezember 2011 komplett entfallen zu lassen. Dies ist jedoch nicht unproblematisch, wurden doch auf diese Weise Mehreinnahmen generiert, um schwächer ausgelastete Strecken zu erhalten. Entfällt dieser Einnahmeanteil, wird die DB Netz AG mit Sicherheit Möglichkeiten prüfen, um die aus dem Wegfall der Regionalfaktoren resultierenden Einnahmeausfälle von deutlich über 100 Mio. Euro pro Jahr z. B. durch Erhöhungen im derzeit bestehenden Gebührensystem mindestens wieder auszugleichen.

Ansatzmöglichkeiten gibt es dafür im Trassenpreissystem genügend, z. B. eine Erhöhung des eingangs genannten Produktfaktors. Die Freude über den kompletten Entfall der Regionalfaktoren dürfte somit nur kurz währen.

Das erneute Drehen an der Gebührenschraube bleibt allerdings äußerst fragwürdig. Einerseits wurde im Geschäftsbereich DB Netze Fahrweg ein betrieblicher Gewinn (EBIT) von 237 Mio. Euro allein für das erste Halbjahr 2010 ausgewiesen, andererseits fordert der Bund als Eigentümer von der DB AG ab 2011 eine jährliche Dividende von 500 Mio. Euro und zwingt so den Bahnvorstand, die an hohen Renditezielen orientierte Unternehmenspolitik unvermindert fortzusetzen.

So sieht die Mittelfristplanung der DB Netz AG denn auch ein kontinuierliches Wachstum des EBIT von 687 Mio. Euro im Jahr 2010 auf schließlich 1,1 Mrd. Euro im Jahr 2014 vor. Für die Erwirtschaftung dieser Renditen bezahlen letztlich alle Kunden – sowohl das einzelne Verkehrsunternehmen, welches die Infrastruktur nutzt und seine Dienstleistungen erbringt, als auch der Fahrgast bzw. Güterkunde über die Fahr- bzw. Transportpreise.

Wenn der Bund schon eine Dividende in einer Höhe von 500 Mio. Euro von der DB abschöpft, hätte er angesichts einer chronisch unterfinanzierten, nach wie vor mit unzähligen Qualitätsmängeln behafteten Schieneninfrastruktur die Pflicht, diese Mittel zweckgebunden für Instandhaltungs- und Ausbaumaßnahmen im Schienennetz einzusetzen, anstatt sie dem allgemeinen Haushalt zuzuführen. Eine vergleichbare Pflicht gilt auch für die DB Netz AG: Erwirtschaftete Gewinne müssen zweckgebunden für die Instandhaltung der Schieneninfrastruktur eingesetzt werden, anstatt diese an die Konzernzentrale abzuführen!

Deutscher Bahnkunden-Verband

aus SIGNAL 1/2011 (März 2011), Seite 26