Aktuell
Handyticket nicht zu empfehlen
17. Aug 2011
Am 14. Juli 2011 stellte die BVG auf einer Pressekonferenz ihr neues Handyticket vor, das gar nicht so neu war. Bereits 2007 wurde das von der Deutschen Bahn entwickelte System unter dem Namen “Touch&Travel” auf der Cebit in Hannover erstmals der Öffentlichkeit präsentiert (siehe SIGNAL 2/2007). Dabei muss man sich jeweils vor und nach der Fahrt in einem Programm auf seinem Handy ein- und auschecken – damals jedoch erst auf ausgewählten Strecken im Nah- und Fernverkehr.
Doch jetzt soll es im Berliner und Potsdamer Stadtgebiet flächendeckend verfügbar sein. Auch die Technik wurde erweitert. Musste man zunächst ein ganz spezielles Handy mit derzeit noch seltener NFC-Technologie besitzen, ist heute fast jedes Appleoder Android-Smartphone geeignet. Dabei kann der Ein- und Auscheckvorgang nun über drei Wege stattfinden: Herkömmlich über die Touchpoints mit NFC, über die Handykamera und den abfotografierten QR-Codes oder direkt über die Handyortung.
Derzeit ist der Nutzerkreis jedoch noch auf Smartphone-Nutzer von T-Mobile und Vodafone beschränkt. E-Plus und o2 sollen jedoch bald folgen.
Auf der Pressekonferenz gaben sich alle sehr viel Mühe, das System als eine Erleichterung für den Kunden zu präsentieren, der sich jetzt nicht mehr um einen komplizierten Tarif kümmern müsse.
Seltsamerweise liest sich das in den Teilnahmebedingungen ganz anders. Hiernach sind die vollen 40 Euro fällig, falls das Handy zur Kontrolle nicht betriebsbereit sein sollte, beispielsweise weil der Akku aufgebraucht ist oder eine der vielen Apps das Telefon zum Absturz bringt. Doch es kommt noch besser: Einerseits wurde auf der Pressekonferenz von der Einfachheit der automatischen Best-Preis-Ermittlung geschwärmt, wonach das System automatisch Kurzstrecken, Einzeltickets und Tageskarten zugunsten des Kunden ermitteln soll, ohne dass dieser sich noch um komplizierte Tarifsonderfälle kümmern müsse. Doch andererseits ist in den Teilnahmebedingungen festgeschrieben, dass man ebenfalls die vollen 40 Euro zu zahlen hat, wenn man eine Rück- oder Rundfahrt durchführt.
Zitat §3 – 13b Teilnahmebedingungen
Touch&Travel, Seite 5:
Der Teilnehmer ist […] zur Zahlung eines
erhöhten Fahrpreises […] bzw. eines erhöhten
Beförderungsentgelts […] verpflichtet,
wenn er [...] eine Rück- oder Rundfahrt
durchführt. Rückfahrten sind Fahrten in
Richtung auf den Ausgangspunkt auf derselben
Strecke wie bei der Hinfahrt ohne
eine zwischenzeitliche Ab- und erneute Anmeldung.
Rundfahrten sind Fahrten, die auf
einem anderen Weg als bei der Hinfahrt
führen, ohne eine zwischenzeitliche Abund
erneute Anmeldung durchgeführt zu
haben.
Auch ist es mitnichten so, dass das Ticket im gesamten Berliner AB-Gebiet gilt. Zahlreiche nach Berlin einbrechende Umlandbuslinien und sogar eine Straßenbahnlinie fehlen. Die teilnehmenden Verkehrsunternehmen sind: BVG, ViP, S-Bahn Berlin, DB Regio, Märkische Regiobahn (OLA), Havelbus, ODEG sowie die Prignitzer Eisenbahn (PEG).
Nachteilig ist ebenfalls, dass man bei der Nutzung des Handytickets bereits vor dem Einsteigen eingecheckt sein muss. Ein klarer Nachteil, denn Papiertickets kann man bei Bus und Straßenbahn noch im Fahrzeug lösen. Nutzer von Touch&Travel müssen nun, um sich anzumelden, gegebenenfalls den Bus oder Zug fahren lassen, den sie sonst vielleicht noch erreicht hätten. Bei der U-Bahn soll man sich sogar nur an der Oberfläche an- und abmelden. Der Gipfel ist schließlich, dass kein Teilnehmer öffentlich über seine unangenehmen Erfahrungen mit Touch&Travel ohne vorherige Erlaubnis der Bahn berichten darf. Die Meinungsfreiheit wurde bereits über die Teilnahmebedingungen eingeschränkt.
§ 13 Geheimhaltungsverpflichtung
Der Teilnehmer verpflichtet sich – unabhängig
von einer eventuellen vorzeitigen
Vertragskündigung – über die gesamte
Laufzeit des Piloten nach § 8 bis einschließlich
6 Monate nach Pilotende, schriftliche
Veröffentlichungen oder anderweitige
öffentliche Stellungnahmen über die im
Projekt gewonnenen Erkenntnisse zum Verfahren
Touch&Travel ausschließlich nach
Rücksprache und mit Einverständnis der DB
zu tätigen. Ausgenommen hiervon ist eine
Kommentierung der Smartphone Applikationen,
jedoch nicht über das Verfahren selbst,
im Apple App Store bzw. im Google Android
Market.
Zusammengefasst kann man dem Fahrgast derzeit nur raten, unbedingt die Finger vom Handyticket zu lassen, bis bei den Teilnahmebedingungen nachgebessert wurde. Mit dem derzeitigen Vertragswerk steht der Kunde jedenfalls mit einem Bein fast im Gefängnis. (hm)
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 3/2011 (August 2011), Seite 7