Der Bahnhofsvorsteher informiert
Wieder Züge Moskau—Berlin—Paris
2. Mai 2012
Royal Scotsman, Orient-Express – berühmte Züge mit klangvollen Namen. An diese Verkehrs- und Kulturgeschichte will die Russische Bahn RZD anknüpfen. Seit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2011 erfüllt sie das Verlangen nach komfortablen, nahezu luxusverdächtigen Reisen von Moskau im Osten über Berlin in der Mitte nach Paris im Westen, und zurück – eine Magistrale, die schon früher existierte, auf der aber die letzte Direktverbindung 1994 eingestellt wurde.
Im „Geheimen“ fuhr ab Mai 2008 schon ein einzelner Schlafwagen mit der ominösen Ordnungsnummer 290 zwei bis drei Mal in der Woche als „Anhängsel“ in verschiedenen Zügen mit – zuerst mit dem D13 ab Moskau über Terespol und dann als D246 über Warschau nach Berlin. Dort, morgens angekommen, verweilte er den Tag über und lief am Abend mit dem NZ242 (später City Night Line CNL450) weiter nach Paris. In der Gegenrichtung waren es NZ243 (CNL451), D247 und D14, die ihn mitnahmen. In deutschen Fahrplänen wurde er verschwiegen, und buchen konnte man ihn nicht.
Transeuropean Express – so heißt der Zug, der den Kurswagen des Moskwa-Express am 12. Dezember 2011 abgelöst hat. Wer die gesamte
Reiseroute mit einer Länge von 3177 km voll auskosten möchte, sollte viel Zeit mitbringen. Frühstück in Moskau, zum Abendessen in Paris. Nach circa 38 ½ Stunden am Folgetag wohlgemerkt! Schließlich handelt es sich um die zweitlängste Zugverbindung Europas. Wem 25 Stunden reichen, der kann auch schon in Berlin aussteigen, oder in Richtung Osten dort zusteigen. Weitere Halte in Deutschland für Fahrten von/nach Russland sind Hannover, Fulda, Frankfurt(M) Süd, Mannheim und Saarbrücken. Die Benutzung des Zuges zwischen Deutschland und Frankreich ist nicht zulässig.
Auch wenn das Flugzeug in dieser Relation das schnellste Verkehrsmittel ist, so verspricht die Bahnverbindung doch ein Höchstmaß an Komfort und Service, die das Reisen zu einem besonderen Erlebnis machen soll. Der EuroNight 452/453 (bei der RZD unter den Zugnummern 23JI/24JI) verkehrt mit insgesamt acht modernen Schlafwagen. Saisonabhängig sind zwei bis drei davon mit je vier Deluxe-Abteilen ausgestattet (mit eigenem Bad und Fernseher im Abteil sowie einem Aufenthaltsbereich/Bar pro Waggon), zwei Schlafwagen mit 1.-Klasse-Bett- Abteilen (eine Gemeinschaftsdusche pro Waggon für alle) und drei bis vier Schlafwagen mit 1./2.Klasse-Bett- Abteilen (ohne Dusche). Ein- und Zweibettabteile gelten als 1. Klasse, Dreibettabteile als 2. Klasse. Wer sein 1.-Klasse-Abteil frühzeitig bucht, bekommt (i.d.R.) eines im Wagen mit der Gemeinschaftsdusche. Sind diese voll, landet man im Wagen ohne Dusche, wo das 2.-Klasse-Dreibettabteil dann vom Zugpersonal durch das „Hochklappen“ eines Bettes zum 1.-Klasse- Zweibettabteil „aufgewertet“ wird.
Zwischen Moskau und Brest bzw. Warschau und Paris steht den Reisenden jeweils ein Speisewagen zur Verfügung, der gemischte europäische Küche bietet.
Der russische Stolz hat natürlich auch seinen Preis. Als Einzelreisender in einem Luxus-Abteil von Moskau nach Paris kostet das schon in eine Richtung 1225 Euro, Moskau—Berlin „nur“ 741 Euro. Zu zweit im Abteil sind es pro Person 1075 bzw. 591 Euro. Senioren ab 60 Jahre und junge Leute unter 26 Jahre erhalten 30 Prozent Rabatt auf den Erwachsenenpreis in allen Kategorien. „Löblich“ ist, dass die RZD an die Familien gedacht hat und den Eltern 30 Prozent Rabatt und die kostenlose Mitreise eines Kindes unter 12 Jahren gewährt. Blöd nur, dass dieses Angebot ausschließlich für das 2-Bett-Luxus- Abteil gilt, und somit die Reise zusammen 1505 (827,40) Euro kostet. In den regulären Schlafwagen der 1. und 2. Klasse bekommt das Kind lediglich 50 Prozent Ermäßigung und die Eltern keinen Familienrabatt auf den Erwachsenenpreis.
Die Fahrkarten werden ausschließlich als Globalpreise verkauft. Das sind Platzreservierungen, die den pauschalen Preis der Fahrkarte gleich beinhalten. Die Ausstellung einer einzelnen Fahrkarte mit einer separaten Reservierung, wie früher z. B. im Moskwa-Express üblich, ist nicht möglich. Man kann auch nicht zu einer bereits bestehenden Fahrkarte eine einzelne Reservierung dazubuchen. Das ist bedauerlich, da man nicht die Möglichkeit hat, z. B. den für Rundreisen beliebten Inter- Rail-Pass zu nutzen oder eine durchgehende Fahrkarte zu kaufen, die über den Laufweg dieses Zuges hinaus geht.
Wen nun die Reiselust gepackt hat, einmal den Weg nach Moskau per Bahn zu suchen, der sollte nachfolgende Hinweise beherzigen.
Das alte Zarenreich ist so groß, dass allerorten die Uhren anders ticken, weil das Land sich über viele Zeitzonen erstreckt. Nur die Fahrpläne und Reservierungsbelege bei der Bahn enthalten überall in Russland die Moskauer Zeit (MZ), von Königsberg bis Wladiwostok. Das führt zu Diskrepanzen mit der Ortszeit. Die Reisenden sollten sich entsprechend über die örtliche Zeitverschiebung informieren, damit der gebuchte Zug rechtzeitig erreicht werden kann.
Apropos Zeit: Wenn es mal länger dauert und man bei Verspätungen den Luxus unfreiwillig länger genießt als geplant, dann greifen in diesem Fall die europäischen Fahrgastrechte (lt. Fahrgastrechte-Verordnung 1371/2007) nicht.
Um mit diesem Zug nach Moskau zu reisen, benötigt man zum einen ein gültiges russisches Einreisevisum für jede einzelne Person (Tourist- oder Gästevisum). Zum anderen ist für die weißrussische Strecke Orscha— Minsk—Brest unbedingt ein Transitvisum für die Republik Belarus erforderlich. Für die Einhaltung der einschlägigen Pass-, Zoll- und Visavorschriften ist jeder Reisende selbst verantwortlich! Auch gibt es verschiedene andere Modalitäten, wie z. B. eine mögliche Krankenversicherungspflicht in Weißrussland, die beachtet werden müssen. Andernfalls kann schnell der „Rauswurf“ aus dem Zug an der Grenze erfolgen.
Detaillierte Informationen erhält man beim Auswärtigen Amt (www.auswaertiges- amt.de) und den Niederlassungen der Botschaften. Wer sich den bürokratischen Aufwand des (mehrmaligen) persönlichen Erscheinens in den Botschaften ersparen will, kann auch eine der einschlägigen Visa- Agenturen beauftragen. Bucht man seinen Urlaub in einem Reisebüro, bieten einige Touristikanbieter diesen Service auch an.
Auf alle Fälle sollte alles frühzeitig erfolgen, falls einzureichende Unterlagen fehlen oder fehlerhaft sind. Ein touristisches Visum muss spätestens 24 Stunden vor dem auf der Reisebestätigung angegebenen Einreisedatum ausgestellt sein. (BfVst)
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 2/2012 (Mai 2012), Seite 22-23