Der Bahnhofsvorsteher informiert
Viel Schotter bekommt die Deutsche Bahn – Geld für überteuerte Schienen von falschen Schienenfreunden. Der Fahrgastverband IGEB fordert, diese Mittel für Erhalt und Ausbau des Schienennetzes einzusetzen.
2. Mär 2012
ThyssenKrupp soll gesündigt haben, genauer: das Töchterchen GfT Gleistechnik. Und das nicht alleine. Etwa zehn Jahre lang haben sich Vertreter mehrerer Schienenhersteller regelmäßig getroffen, um illegale Preisabsprachen und Marktaufteilungen vorzunehmen. Weitere Firmen, die im Verdacht stehen, am Kartell der sogenannten Schienenfreunde beteiligt gewesen zu sein, sind der österreichische Konzern Voestalpine mit mehreren Tochterunternehmen (z. B. das von Thyssen-Krupp erworbene Duisburger Schienenwerk TSTG), die bayerische Neue Maxhütte, der tschechische Großhändler CMC Trine, die schwedische INEXA, die niederländischbritische Corus-Gruppe, das polnische Schienenwerk Huta Katowice (damals zu Thyssen-Krupp gehörend), der Essener Stahlhändler Ferrostaal (MAN-Konzern) und andere.
Durch dieses Kartell soll die Deutsche Bahn als Hauptgeschädigte der „Schienenfreunde“ zwischen 1998 und 2008 nach eigenen Angaben um bis zu 20 Prozent überhöhte Preise beim Einkauf von Gleisen gezahlt haben. Das gilt möglicherweise auch für die von der GfT gelieferten Gleise und Weichen am Berliner Hauptbahnhof.
Auf etwa eine Milliarde Euro (1 000 000 0000 Euro) schätzen Insider
den wirtschaftlichen Schaden allein für den deutschen Markt. Doch betroffen sind davon noch viel mehr. Die Preise, die die DB als größter Abnehmer zahlte, legten die Messlatte für andere Kunden. Betroffen wären demnach auch Infrastruktureigentümer wie Privatbahnen und Firmen mit eigenen Gleisanschlüssen. Auch SBB und ÖBB sollen die vom Kartell diktierten Preise angenommen haben.
Erst nachdem der Stahlkonzern Arcelor- Mittal das polnische Werk Huta Katowice kaufte und infolgedessen 2008 die „Schienenfreunde“ bei einer Ausschreibung unterboten hatte, war Schluss mit der Freundschaft.
2011 wurde das Debakel durch eine anonyme Anzeige eines ehemaligen Mitarbeiters sowie eine Selbstanzeige von Voestalpine öffentlich. Die Staatsanwaltschaft Bochum sowie das Bundeskartellamt haben im Mai 2011 die Ermittlungen aufgenommen und sehen noch kein Ende, da es sich offensichtlich um ein weit verzweigtes Netz vieler Beteiligter in verschiedenen Ländern handelt. Von ursprünglich 30 Beschuldigten in etwa 10 Firmen soll die Zahl auf mittlerweile etwa 120 Beschuldigte gestiegen sein.
Trotzdem versuchen die Beteiligten, den Schaden schon jetzt zu regulieren, obwohl die tatsächliche Schadenssumme noch gar nicht ermittelt ist. Schließlich müssen nach Bahnangaben circa 15 000 Einzelvergaben überprüft werden.
Im Dezember 2011 gaben Sprecher von ThyssenKrupp und DB bekannt, man habe sich in Verhandlungen angenähert. Genaue Zahlen wurden nicht genannt, die Kompensation soll aber einen dreistelligen Millionenbetrag erreichen, berichtete das Handelsblatt unter Berufung auf Branchenkreise. Verständlich, wenn man berücksichtigt, dass die GfT Gleistechnik sich bereits 2012 wieder an neuen Ausschreibungen der DB beteiligen möchte. Genauso wie Voestalpine, die eine außergerichtliche Entschädigung anbot, um keine allzu großen Marktanteile zu verlieren. Sie muss gegen CMC und Arcelor erfolgreich mitbieten können, da sonst nach Informationen aus Gewerkschaftskreisen Betriebsschließungen mangels Auslastung drohen.
Und die DB? Die freut sich über den regen Ablasshandel, mit dem sich die „Sünder“ ihr Gewissen erleichtern. Schließlich spart sie sich durch die Verhandlungen langwierige Schadenersatzprozesse, von denen jeder (mit Vor- und Nachlauf) schon mal drei bis fünf Jahre dauern kann, bis Geld fließt.
Apropos fließen. Wohin fließt eigentlich das Geld der „Sünder“? Aussagen dazu sind nirgends zu finden. Für den Berliner Fahrgastverband IGEB ist die Antwort klar: Die Gelder dürfen weder für den Firmenkaufrausch der Deutschen Bahn noch zum Stopfen von Haushaltslöchern verwendet werden.
Sie wurden dem Gleisbau vorenthalten, darum müssen sie ihm auch wieder zugeführt werden. Sie sollen allerdings nicht zum Schließen von Finanzierungslücken bei den großen Prestigeprojekten eingesetzt werden, sondern für die allzu oft vernachlässigte Instandhaltung und den Ausbau jener Netzbestandteile, auf denen kein ICE fährt und Langsamfahrstellen zum Alltag gehören.
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 1/2012 (März 2012), Seite 24