Berlin

Immer weniger Sitzplätze in BVG-Eindeck-Bussen


IGEB Stadtverkehr

17. Aug 2011

Die BVG-Eindecker bieten inzwischen mehr Platz für Rollstühle und Kinderwagen. Doch dadurch gingen Sitzplätze verloren. Ein Kompromiss ist nötig – und möglich. Foto: Marc Heller

Noch in den 1990er Jahren war es Standard, in 12-Meter-Eindeckern 38 Sitzplätze anzubieten. Daneben gab es ein Multifunktionsabteil für Kinderwagen und Rollstuhlfahrer. Es folgte der Trend, bei diesem Wagentyp von der zweitürigen auf die dreitürige Variante zu wechseln, was natürlich Sitzplätze kostete. Schneller Ein- und Ausstieg hatte Vorrang vor Bequemlichkeit, zumal in dieser Zeit auch bei der BVG ein Einstieg an allen Türen möglich war.

Der verständliche Wunsch von Behinderten und auch des Berliner Senats, Rollstuhlfahrern einen möglichst barrierefreien Zugang zu den Bussen zu ermöglichen, führte aber dazu, dass die Sitzplatzanzahl zwischen der ersten und der zweiten Tür abermals reduziert werden musste. Denn nur dadurch konnte eine Durchgängigkeit für Rollstühle erreicht werden, so dass Rollstuhlfahrer neben der Mitteltür nun auch die Vordertür benutzen konnten, zumal dort die Hublifte für den Ein- und Ausstiegsvorgang eingebaut worden waren. Das kostete wiederum Sitzplätze. Bei der letzten Serie von Solaris-Gelenkbussen verblieben zwischen der ersten und zweiten Tür nur fünf überbreite Mutter-und-Kind-Sitze, die aber lediglich als Einzelsitze gezählt und in der Regel auch nur einzeln benutzt werden können.

Reduzierung der Sitzplatzzahl um ein Drittel

Motoren in Turmbauweise sowie der Trend, im Bereich der Hinterachse statt gegenüberliegenden Sitzen nun Längssitze einzubauen, kosteten abermals Sitzgelegenheiten. Alle diese Maßnahmen führten dazu, dass einige 12-Meter-Eindecker lediglich noch 25 Sitzplätze anboten, 13 weniger als bei bauartgleichen Wagen vorangegangener Generationen.

Schon damals kritisierte der Berliner Fahrgastverband IGEB die ungenügende Sitzplatzzahl in diesen Bussen, zumal in den Gelenkbussen derselbe Trend verfolgt wurde – mit demselben negativen Sitzplatzergebnis. Nach Wiedereinführung des Zwangs zum Einstieg ausschließlich an der ersten Tür hat die BVG auf die dritte Tür im 12-Meter- Wagen und auf die vierte Tür im Gelenkwagen verzichtet. Dadurch erhöhte sich die Sitzplatzzahl wieder. Außerdem wurde auf den störanfälligen Hublift an der Fahrertür zugunsten einer mechanischen Klapprampe an der ersten und zweiten Tür verzichtet. Rollstuhlfahrer gelangen heute im Regelfall über die Klapprampe an der zweiten Tür in den Bus und erreichen auf kurzem Weg den Rollstuhlplatz.

Verbessert wurde die Situation durch den Kauf von LE (Low entry) Eindeckern mit 32 Sitzplätzen. Die höhere Sitzplatzanzahl wurde durch eine Stufe und den ansteigenden Fußboden im Bereich hinter der zweiten Tür möglich. Alle Sitze sind in Fahrtrichtung und ohne Beeinträchtigung von störenden Achsaussparungen eingebaut worden.

Insgesamt werden zurzeit im Bereich der einstöckigen Busse folgende Sitzplatzzahlen geboten:

Zum Vergleich: Doppeldecker bieten 83 Sitzplätze, allerdings überwiegend im Oberdeck.

Alle Eindeck-Busse verfügen über Mehrzweckabteile für einen Rollstuhl und einen Kinderwagen. Bemerkenswert ist, dass der 18 Meter lange Solaris Gelenkbus lediglich einen Sitzplatz mehr aufweist als der 15 Meter lange Citaro früherer Baujahre.

Mehr Platz für Rollstühle und Kinderwagen, aber weniger Sitzplätze

Die neue Doppeldeckergeneration weist dem Wunsch von Behindertenverbänden entsprechend zwei Rollstuhlplätze auf. Da dieser Bus länger als der Vorgängertyp konstruiert wurde, bot sich die Möglichkeit, ein optimales Multifunktionsabteil einzubauen und dadurch eine Verminderung der Sitzplatzanzahl zu vermeiden. Hier wurde ein Kompromiss der verschiedenen Interessen gefunden.

An die neue Eindecker-Generation wird nun derselbe Anspruch gestellt: zwei Rollstuhlplätze zuzüglich Raum für Kinderwagen. Die Sitzplatzzahl dieser Busse würde dadurch abermals sinken. Setzt man die Forderungen am Beispiel des Solaris-Gelenkbusses um, blieben zwischen der ersten und zweiten Tür vermutlich lediglich zwei Sitzplätze übrig. Die Gesamtsitzplatzzahl würde etwa 40 betragen.

Damit würde eindeutig überzogen werden. Neben Rollstuhlfahrern gibt es viele mobilitätseingeschränkte Fahrgäste, die zwar glücklicherweise nicht immer auf den Rollstuhl angewiesen sind, aber dennoch große Schwierigkeiten haben, sich in einem fahrenden Bus gefahrlos fortbewegen zu können und auf einen Sitzplatz angewiesen sind. Weiterhin sollte ein Fahrgast im Grundsatz Anspruch auf einen Sitzplatz haben, denn nur der gewährleistet eine angenehme und vor allem sichere Beförderung. Stehplätze sind allenfalls für kurze Strecken akzeptabel und stellen ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotenzial dar.

Darüber hinaus sind durch die Vordereinstiegsregelung alle Fahrgäste gezwungen, sich im fahrenden Wagen von der ersten Tür durch den offenen Multifunktionsraum bis hinter die zweite Tür zu bewegen, um einen Sitzplatz erreichen zu können. Eine zusätzliche Verringerung von Sitzplätzen, gerade in diesem Bereich, ist nicht hinnehmbar. Schon jetzt befinden sich beim Doppeldecker zwischen ersten und zweiter Tür nur zwei feste Sitze, davon einer auf der hohen Stufe des Radkastens und der zweite als „Sitz für Kleinwüchsige“ mit nur 40 cm Sitzhöhe. Im Freibereich sind einige Klappsitze vorhanden. Weitere Sitze gibt es dann erst hinter der zweiten Tür, alle auf einer hohen Stufe gelegen.

Rollstuhlplätze und Sitzplätze – ein Lösungsvorschlag

Um trotzdem einen zweiten Rollstuhlplatz realisieren zu können, müsste die Gangbreite zwischen der ersten und der zweiten Tür wieder der standardisierten Ausführung angepasst werden, was bei den meisten Verkehrsbetrieben absolut üblich ist. Die Sitzplatzanordnung könnte günstiger variiert und somit eine höhere Anzahl in diesem Bereich erreicht werden. Die Durchgängigkeit für Rollstuhlfahrer ginge dadurch zwischen der ersten und der zweiten Tür zwar verloren und ein Einstieg für Rollstuhlfahrer wäre nur noch an der zweiten Tür mit Klapprampe möglich, ein wirklicher Nachteil ist darin aber nicht erkennbar. Schon heute wird fast ausnahmslos so verfahren. Es gibt keinen erkennbaren Grund für einen Rollstuhlfahrer, durch einen engen Gang zum Rollstuhlstellplatz zu manövrieren, da es über die Mitteltür viel einfacher ist.

Durch eine solche Maßnahme ließen sich sowohl eine erneute Reduktion der Sitzplätze und zugleich der zweite Rollstuhlplatz realisieren. Es ist zu hoffen, dass sich die Einsicht durchsetzt, allen Fahrgastgruppen, egal ob mobilitätseingeschränkt oder nicht, eine möglichst angenehme Beförderungsqualität bieten zu wollen. Dies kann immer nur ein Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Anforderungen sein und nicht das Realisieren der eigenen Idealvorstellung zu Lasten einer anderen Gruppe. Der Vorschlag bietet eine Kompromisslösung, der alle Beteiligten zustimmen können müssten. (KJU)

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 3/2011 (August 2011), Seite 14-15