Report

Sommer, Sonne, Radmitnahme

Für die Verbesserung der Fahrradmitnahme im Regionalverkehr sind Aufgabenträger und Eisenbahnverkehrsunternehmen gemeinsam gefordert


Martina Löbe

17. Aug 2011

Durch koordiniertes Verladen können auch große Fahrradgruppen mit dem Regionalzug unterwegs sein. Foto: Jan Schaller
Mehrzweckabteil in jedem Doppelstockwagen der DB Regio in Brandenburg: eine gute Lösung für Linien mit hoher Nachfrage in der Hauptverkehrszeit einerseits und fahrradtouristischer Relevanz andererseits. Foto: Martina Löbe
Das saisonale Fahrradabteil im Metronom zwischen Hamburg und Uelzen erstreckt sich über ein Drittel des Untergeschosses und hat neben Anlehnbügeln auch Vorderradhalter. Zugleich bietet es nicht nur Fahrrädern Platz. Im Winter wird regulär bestuhlt. Foto: Martina Löbe

Es ist in den Sommermonaten ein jährlich wiederkehrendes Bild: Zahlreiche Radfahrer drängen sich auf den Bahnsteigen, die bei Einfahrt des Zuges hektisch nach der nächsten Tür mit Mehrzweckabteil Ausschau halten und dann ernüchtert feststellen müssen, dass sie aus Platzmangel auf den nächsten Zug warten müssen. Wenn eine Vielzahl von Radlern zu Ausflügen unterwegs ist, werden die Regionalzüge mancherorts von der Nachfrage regelrecht überrollt. Eine Abnahme des Bedarfs ist hingegen nicht zu erwarten. Vielmehr dürfte die ungebrochene Begeisterung für das Fahrrad die Situation weiter verschärfen.

Es ist daher erforderlich, eine sachliche Diskussion zu führen, wie die Fahrradmitnahme weiter verbessert werden kann. Dafür müssen aber die verantwortlichen Personen bei Aufgabenträgern und Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) ihr Denken und Handeln für die Thematik öffnen.

Die Möglichkeiten der Aufgabenträger

Insbesondere die Aufgabenträger sind gefordert, die Fahrradmitnahme in ihrer Prioritätensetzung angemessen zu berücksichtigen und die volkswirtschaftliche Perspektive der Thematik nicht zu vernachlässigen. Steigende Ausgaben für die Verkehrsleistung, die beispielsweise aus einer Erhöhung der Fahrradkapazitäten resultieren, können u. a. durch Mehreinnahmen aus dem Fahrradtourismus ausgeglichen werden, welcher mittlerweile zu den wichtigsten touristischen Nachfragesegmenten in Deutschland gehört.

Auch für die Fahrradmitnahme sollte es daher eine verkehrspolitische Grundstrategie geben, wie sie zum Beispiel in Baden-Württemberg erstellt worden ist. Entsprechend der vom einstigen Verkehrsstaatssekretär Rudolf Köberle ausgerufenen Zielsetzung, „das Fahrradland Nr. 1 in der Bundesrepublik zu werden“, wurde u. a. beschlossen, die Fahrradmitnahme im Schienenpersonennahverkehr auszubauen.

Für die Planung der Verkehre bedeutet das, die Belange von Radfahrern stärker als bislang in die Vergabeverfahren einzubeziehen. Dazu zählt aber auch, erforderliche Anpassungen während der Vertragslaufzeit einzuleiten oder Konzepte von Eisenbahnverkehrsunternehmen einzufordern und mitzutragen.

Dabei ist die Fahrradmitnahme grundsätzlich erst einmal eine Frage des ausreichenden Freiraumes im Fahrzeug. Damit hat sie direkten Einfluss auf das Fahrzeugkonzept, welches wiederum einen wesentlichen Kostenfaktor der Verkehrsleistung darstellt. Den Mehrausgaben, die aus größeren Mehrzweckbereichen oder speziellen Fahrradabteilen resultieren, stehen aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive zumeist keine angemessenen Einnahmen gegenüber.

Deshalb gibt es für die EVU wenig Anreiz, die Belange von Radfahrern über das gesetzte Minimum hinaus zu berücksichtigen. Das trifft insbesondere dann zu, wenn im Vergabeverfahren vornehmlich der Zugkilometerpreis bewertet wird. Ausgefeilte Konzepte für die Fahrradbeförderung können aber für einen Bieter wirtschaftlich werden, wenn der Aufgabenträger die Qualität der Verkehrsleistung in der Bewertung angemessen berücksichtigt.

Ein Konzept zur Fahrradmitnahme kann demnach unter den vom Aufgabenträger vorgegebenen Bedingungen nur so gut sein, wie es dem EVU ermöglicht, die Ausschreibung auch zu gewinnen!

Deshalb bedarf es im Vergabeverfahren konkreter Vorgaben und wirksamer Anreize von Seiten der Aufgabenträger. So sollte ein Fahrrad mit seinen Abmaßen definiert und die Anzahl der zu befördernden Fahrräder angegeben werden. Zu diesem Schluss kommt das Gutachten „Fahrradmitnahme im Schienenpersonennahverkehr“, welches im Auftrag der Nahverkehrsgesellschaft Baden- Württemberg mbH durchgeführt wurde. Die Autoren kommen ebenso zu dem Ergebnis, dass eine größere Flexibilität für die saisonalen Nachfragespitzen sinnvoll ist und bereits in den Ausschreibungen aufgenommen sein sollte. Starre Vorgaben, beispielsweise der Sitzplatzanzahl, sollten zugunsten eines Sommer- und Winterbetriebes aufgegeben werden.

Um die zukünftige Fahrradkapazität bemessen zu können, benötigen Aufgabenträger belastbare Informationen als Planungsgrundlage. Ausgangsbasis sollte dabei die aktuelle Situation der Fahrradmitnahme bilden: Wie hoch ist die bisherige Nachfrage? Wie wird sie mit den vorhandenen Fahrzeugen umgesetzt, und gibt es bereits heute Engpässe und Konflikte? Die streckenspezifische Fahrradkapazität ergibt sich dabei aus der Taktdichte und der jeweiligen Fahrradkapazität der Züge.

Aber auch Prognosen, wie sich der Bedarf während der Vertragslaufzeit entwickeln könnte, sollten herangezogen werden. Dazu sollten u. a. der Verlauf der Radwege und radtouristische Ziele entlang der Strecke als auch die Radverkehrsplanungen der angebundenen Städte und Gemeinden bedacht werden.

Über die quantitativen Vorgaben hinaus sollten zugleich qualitative Vorgaben gemacht werden. Ein Beispiel ist, dass die Fahrradstellplätze im Niederflurbereich angeordnet werden müssen. Mehrzweckabteile im Hochflurbereich, wie sie im Fahrradtriebwagen der BR 640 (LINT, einteilig) des Dortmund-Sauerland-Express zu finden sind, sollten (wie in diesem Fall) nur eine Sonderlösung darstellen. Das ist auch bei einer saisonalen Umrüstung von fester Bestuhlung auf Klappsitzbereiche oder Fahrradabteile zu beachten. Klappsitze können jedoch meist nur dann nachträglich eingebaut werden, wenn dies bereits bei der Rohbaukonstruktion berücksichtigt wurde.

Die Probleme im Vergabeverfahren

Diese Überlegungen sind von den Aufgabenträgern mit dem allgemeinen Fahrzeugkonzept abzustimmen und in passende Formulierungen zu übertragen. Die gesetzten Fahrzeugkriterien sind aber nur so gut, wie sie sinnvoll gestaltete Fahrgastbereiche zulassen, die die verschiedenen Bedürfnisse der Fahrgäste berücksichtigen und einander ergänzen. Konstruktive und somit sehr detaillierte Vorgaben bedürfen daher einer intensiveren Vorplanung durch die Aufgabenträger, während funktionale (Ziel-)Formulierungen stärker die Kernkompetenzen und Erfahrungen der EVU und Fahrzeughersteller nutzen.

Zudem darf bei all diesen Ausführungen nicht vergessen werden, dass die Überlegungen zur Fahrradmitnahme nur ein kleiner Bestandteil eines sehr aufwändigen und komplexen Planungs- und Abstimmungsprozesses sind, der zur Vergabe einer Verkehrsleistung führt. Die Komplexität des Ausschreibungsverfahrens resultiert nicht zuletzt daraus, dass nicht alle relevanten Einflüsse und Parameter ausreichend abgeschätzt oder überhaupt einkalkuliert werden können. Zum Beispiel ist im Vorhinein nicht mit Sicherheit prognostizierbar, wie sich die allgemeine Nachfrage, die Höhe der zur Verfügung gestellten Regionalisierungsmittel oder die Energie- und Personalkosten über die Vertragslaufzeit entwickeln werden.

Die Möglichkeiten der Eisenbahnverkehrsunternehmen

Neben den genannten Grundsatzentscheidungen und Maßnahmen sind aber auch die EVU gefordert, die Reiseplanung und den Reiseverlauf für Radfahrer besser zu gestalten. Ein bislang vernachlässigter Aspekt ist, dass Radfahrer stark nachgefragte Verbindungen umgehen könnten, wenn entsprechende Informationen gebündelt vorliegen und einfach zugänglich wären. Eine Zusammenstellung mit erfahrungsgemäß überlasteten Strecken und Ausweichempfehlungen, wie sie die DB Regio Bayern im Internet zur Verfügung stellt, ist hierfür eine Möglichkeit (www.bahn.de/ fahrrad-bayern -> Kapazitäten).

Ein Thema, welches bei Radfahrern für großes Frustpotenzial sorgt, ist die ineffektive Nutzung der Mehrzweckräume. Oft kann man beobachten, wie Fahrgäste, die eigentlich außerhalb dieser Bereiche sitzen könnten, weil sie beispielsweise ohne Kinderwagen oder Gepäck unterwegs sind, die Klappsitze blockieren. Kooperatives Verhalten können Radler selbst auf Nachfrage leider nicht immer erwarten.

Zugleich gibt es innerhalb der Radlergemeinschaft Fahrgäste, die sich egoistisch verhalten. So werden die Stellplätze erheblich reduziert, wenn die Taschen auf den Rädern verbleiben. Wie effektiv Fahrräder verladen werden können, zeigen die Tourenleiter des ADFC, die mit bisweilen sehr großen Gruppen unterwegs sind. Oftmals fehlt aber eine koordinierende Person, wenn mehrere kleine Gruppen aufeinander treffen. Je größer die Gefahr ist, nicht mitgenommen zu werden, desto egoistischer kann das Verhalten der Radfahrer werden. Dass daraus Verspätungen resultieren können, wird in diesen Momenten offensichtlich nicht berücksichtigt.

Deshalb ist das regelnde Eingreifen des Zugbegleitpersonals äußerst wichtig. Dafür müssen die EVU aber erst einmal Zugbegleiter einsetzen und auch anweisen, in solchen Situationen tätig zu werden.

Bekannt für ihr bestimmtes (aber dennoch höfliches) Auftreten sind beispielsweise die Kundenbetreuer des Metronom. Ihre Präsenz gegenüber ihren Kunden ergänzen sie gegebenenfalls durch Lautsprecheransagen, bei denen sie Radfahrer darauf hinweisen, dass die Taschen abzunehmen oder die Räder platzsparend und sicher aufzustellen sind. Ein solches Auftreten in schwierigen Situationen ist es auch, dass den Fahrgästen vom Service des EVU positiv in Erinnerung bleibt.

Bedenkt man zudem, dass negative Erfahrungen häufiger erzählt werden als positive, sollte den EVU daran gelegen sein, in diesen Situationen entsprechend zu agieren.

Ein „Verstecken“ der Zugbegleiter, wie es Tourenleiter des ADFC von den mit Doppelstockwagen bedienten Linien in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gelegentlich berichteten, ist der Situation nicht angemessen (siehe Radzeit 1/2009). Dabei dürfte die Belastung der Zugbegleiter bei einer hohen Auslastung des Zuges ohnehin schon erheblich sein.

Überlegenswert wäre hier, dass der Aufgabenträger für solche Spitzenzeiten eine höhere Zugbegleitquote (mit-)finanziert. Denn anders als beim Metronom, wo bis zu drei Zugbegleiter je Fahrt eingesetzt werden und die Mehrzweckbereiche nur auf zwei Wagen konzentriert sind, befindet sich in jedem Wagen der hiesigen Doppelstock-RE-Linien ein Mehrzweckabteil.

Beim Metronom gibt es neben dem klassischen Mehrzweckraum im Steuerwagen ein saisonales Fahrradabteil im zweiten Wagen, welches sich, je nach Strecke, über das gesamte oder nur einen Teil des Untergeschosses erstreckt. Wenngleich ein solches Fahrradabteil ohne Klappsitze die missbräuchliche Nutzung von eben diesen ausschließt, ist gerade bei langen Zugverbänden die Verteilung der Mehrzweckbereiche auf alle Wagen sinnvoller, als die Konzentration auf ein Zugende. Denn die Mehrzweckbereiche dienen schließlich ebenso der Beförderung von Personen aller Art, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Und dazu gehören u. a. auch Fahrgäste mit Kinderwagen, Gepäck oder Rollatoren.

Eine Verbesserung der Fahrradbeförderung hilft somit zugleich allen, die mehr Raum im Zug beanspruchen!

Weitere Informationen zur Fahrradmitnahme im Regionalverkehr im VBB-Verbundgebiet gibt es auf der Internetseite des ADFC Berlin:
www.adfc-berlin.de/radtouren/fahrrad-a-bahn/nahverkehr.html
Zu diesem Thema siehe auch:
Löbe, Martina (2011)
Fahrradmitnahme in Nahverkehrszügen, Hamburg
Diplomica (ISBN 3842860374)

Martina Löbe

aus SIGNAL 3/2011 (August 2011), Seite 22-23