Schlichtungsstelle söp
1. Jun 2011
Reisen per Bahn, Bus, Flugzeug oder Schiff können von Verkehrsunternehmen wie von deren Kunden noch so gut geplant und organisiert sein: Es kann immer wieder zu Problemen kommen, die Anlass zur Beschwerde geben. Wer auf seine Beschwerde keine zufriedenstellende Antwort bekommt, kann sich an die söp, die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr, wenden. Sie erarbeitet dann einen Schlichtungsvorschlag zur einvernehmlichen und außergerichtlichen Streitbeilegung. Das erspart allen Beteiligten Geld, Zeit und Ärger. SIGNAL-Leserinnen und -Leser können in jeder Ausgabe anhand eines konkreten Falls einen Einblick in die praktische Arbeit der söp bekommen.
Aber auch Fahrgäste im Nahverkehr der Länder Berlin, Brandenburg und Sachsen- Anhalt können sich jetzt an die söp wenden, wenn sie auf ihre Beschwerde hin von der BVG, der S-Bahn Berlin GmbH oder einem anderen teilnehmenden Verkehrsunternehmen der Region keine sie zufriedenstellende Antwort erhalten haben.
Der Beschwerdeführer ist schwerbehindert. Zur Fortbewegung ist er seit langem auf ein sogenanntes Behindertendreirad angewiesen. Dieses nimmt er seit etwa 25 Jahren auch auf seinen Bahnreisen mit. Bis zum Jahr 2006 gab es für ihn dabei keine Probleme. Das Verkehrsunternehmen bestätigte ihm zuletzt 2006 die kostenlose Mitnahme seines Dreirades als orthopädisches Hilfsmittel.
Im Jahr 2008 erhielt der Beschwerdeführer jedoch die Mitteilung, dass er das Dreirad nicht mehr kostenlos mitnehmen dürfe. Vielmehr habe er ein Fahrradticket zu lösen. In der Zwischenzeit verschlechterte sich seine Behinderung weiter, so dass er auf das Dreirad als Fortbewegungsmittel zwingend angewiesen war und dieses auch als Ersatz für einen Rollstuhl diente.
Mit diesen Sorgen wandte sich der Beschwerdeführer an das Verkehrsunternehmen und bat um Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für die kostenlose Beförderung seines Behindertendreirades. Das Verkehrsunternehmen lehnte das jedoch ab. Bei dem Behindertendreirad handele es sich nicht um ein orthopädisches Hilfsmittel, das kostenlos mitgenommen werden könne. Gemäß „Leitfaden zur Mitnahme orthopädischer Hilfsmittel“ sei die Mitnahme von Dreirädern wie die Mitnahme von Fahrrädern in Zügen zu behandeln. Eine Fahrradmitnahme aber sei kostenpflichtig und könne nur im Rahmen der technischen Möglichkeiten und der verfügbaren Kapazitäten erfolgen. Einen Anspruch auf kostenlose Mitnahme des Behindertendreirades habe der Beschwerdeführer also nicht.
Mit dieser Ablehnung einer Ausnahmegenehmigung wandte sich der Beschwerdeführer an die söp. Die Prüfung seines Anliegens ergab, dass es sich bei dem Behindertendreirad um ein orthopädisches Hilfsmittel nach § 33 SGB V (Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch) handelt. Der Beschwerdeführer ist auf das Behindertendreirad angewiesen, um eine Behinderung auszugleichen und um den erheblich eingeschränkten Bewegungsradius in geeigneter Weise zu erweitern. Dies gilt umso mehr, als dass sich die Behinderung des Beschwerdeführers verschlechtert hat und das Behindertendreirad zum Rollstuhlersatz geworden war. Die söp hat auch auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verwiesen. Dieses hatte entschieden, dass ein Behindertendreirad kein Gegenstand des täglichen Gebrauchs ist. Somit hat der Beschwerdeführer einen Anspruch auf eine kostenlose Beförderung seines Behindertendreirades.
Die Schlichtungsempfehlung der söp wurde angenommen. Das Verkehrsunternehmen gestattete dem Beschwerdeführer die kostenlose Mitnahme seines Behindertendreirades. Darüber hinaus änderte das Verkehrsunternehmen auch die Bestimmungen zur Mitnahme orthopädischer Hilfsmittel. Nunmehr ist eine kostenlose Mitnahme möglich, wenn der Reisende über einen Schwerbehindertenausweis verfügt, in dem seine Gehbehinderung (Merkzeichen „G“) nachgewiesen ist – eine gute Lösung für alle Behinderten, die auf solche Hilfsmittel angewiesen sind. (Dr. Katja Schmidt)
söp Schlichtungsstelle für den öffentlichen
Personenverkehr e. V.
Fasanenstraße 81, 10623 Berlin
E-Mail: kontakt@soep-online.de
Internet: www.soep-online.de
söp Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V.
aus SIGNAL 2/2011 (Juni 2011), Seite 22