International
1. Jun 2011
Einem Präzedenzfall mit verheerender Wirkung für die europäische Verkehrspolitik Einhalt zu gebieten – das ist das erklärte Ziel von zwei gleichlautenden Briefen, die der Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments am 18. April 2011 an die EUKommissare Siim Kallas (Ressort Verkehr) und Johannes Hahn (Ressort Regionalpolitik) geschickt hat. Mit den Protestbriefen soll verhindert werden, dass die polnische Regierung mit fadenscheinigen Argumenten Gelder im Umfang von 1,2 Mrd. Euro aus dem Programm „Infrastruktur und Umwelt“ von Schienen- auf Straßenprojekte überträgt.
Polens Umwidmungsantrag steht in krassem Widerspruch zur Schaffung eines nachhaltigeren Verkehrssektors. Überdies droht das Investitionsungleichgewicht zwischen den Verkehrsträgern zu Lasten der Schiene noch verschärft zu werden. Bisher fließen im Verkehrsbereich 60 Prozent der EU-Mittel in die Straße und nur 20 Prozent in die Schiene. Außerdem wäre ein Transfer von EU-Mitteln aus umweltfreundlichen Schienen- in klimaschädliche Straßenbauprojekte gerade in Polen besonders dramatisch, weil das Land mit einem Rückbau des Schienennetzes um 25 Prozent seit 1990 europaweit einen traurigen Rekord hält.
Entscheidend für die Wende zu einem nachhaltigeren Verkehrssektor ist, dass die wenigen für Schienenprojekte vorgesehenen Mittel vollständig genutzt werden. Mit der angestrebten Verlagerung sendet Polen, das in der zweiten Jahreshälfte 2011 die Ratspräsidentschaft der EU übernimmt, genau das falsche Signal. Dabei mangelt es dem Land nicht an Schienenprojekten mit dringendem Finanzbedarf. So hinkt Polen beim Ausbau der Rail Baltica den Partnerländern bereits hinterher, indem es den Ausbau des Abschnittes zwischen Białystok und Kaunas blockiert. Damit würden die baltischen Staaten vom EU-Schienennetz abgekoppelt. Dies ist nur eines von vielen Beispielen, wie EU-Mittel in Polen sinnvoll eingesetzt werden können.
eingesetzt werden können. Deshalb forderte der EU-Verkehrsausschuss in seinen beiden Briefen die Kommission ausdrücklich dazu auf, alle verfügbaren Rechtsmittel zu nutzen, um die Umwidmung durch Polen zu blockieren.
Mit dieser Forderung stellt sich der gesamte Ausschuss demonstrativ hinter die Kommission, die in einem Brief des Generaldirektors für Mobilität und Verkehr, Matthias Ruete, ihren Widerstand gegen den Antrag Polens bereits zum Ausdruck gebracht hatte.
Auch innerhalb der polnischen Regierungskoalition ist die Umwidmung der Mittel umstritten. So forderte einer der Koalitionspartner, die Mittel auf andere Schienenprojekte zu übertragen. Denn gerade grenzüberschreitende Verbindungen sind oft in einem beklagenswerten Zustand und zwingen Züge zur Schneckenfahrt bei Tempo 30.
Schließlich forderte der Verkehrsausschuss in seinen Briefen dazu auf, endlich die richtigen Lehren aus den zahlreichen Verspätungen bei Eisenbahnprojekten zu ziehen. Das Prinzip der Neuvergabe bei Nicht-Nutzung von Mitteln („use it or lose it“) muss konsequent angewendet werden, damit die knappen Gelder auch wirklich eingesetzt werden.
Michael Cramer, MdEP
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament
aus SIGNAL 2/2011 (Juni 2011), Seite 26