Brandenburg
Brandenburgs Bahnpolitik bleibt planlos
3. Jul 2012
Wohin (im wahrsten Sinne des Wortes) die Reise geht, legen die Landesregierungen in ihren Nahverkehrsplänen fest. Sie zeigen, obwohl nicht verbindlich, die nächsten Schritte und generellen Schwerpunkte in der Verkehrspolitik auf. Die Darstellung von verschiedenen „strategischen“ Entwicklungshorizonten bietet beispielsweise für Verbände, Wirtschaft und Kommunen die Möglichkeit, eigene Planungen darauf abzustimmen.
Der aktuelle Koalitionsvertrag dazu: „Im Flächenland Brandenburg hat die Sicherung von Mobilität für alle Menschen größte Bedeutung. Mobilität muss in allen Teilen der gemeinsamen Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg entsprechend den sich ändernden Bedürfnissen gewährleistet werden. Insbesondere sind dabei die zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtungen und die Pendlerströme zwischen Berlin und den anderen Teilen der Hauptstadtregion (…) zu berücksichtigen.“ Die hektischen und nicht konsequent zu Ende gedachten Abbestellungen stehen aber im
krassen Widerspruch zu den Zielen des Koalitionsvertrages.
Hoffnung machte der Landesnahverkehrsplans 2008–2012. Es deutete sich an, dass endlich vom altbekannten Reflex „weniger Geld = weniger Angebot“ abgewichen wird – zumindest für die Zukunft. In einer Potenzialanalyse sollten alle die Strecken und Linienäste untersucht werden, deren Überleben kritisch ist, weil sie zu wenig Fahrgäste hätten. Nach den ständigen Abbestellungen und Ausdünnungen deutete sich damit endlich eine Umkehr an. Als Ziel sollte im Vordergrund der Erhalt des vorhandenen Netzes (als Bestand) stehen.
Die jetzt zum Dezember 2012 angekündigten Zugstreichungen zeigen, dass es keine Änderungen in der Politik gibt. Diese 2008 angekündigte „Potenzialanalyse“ ist wohl nie in Angriff genommen worden. War sie nur eine Beruhigungspille für die Öffentlichkeit? Genau die Linien, die bereits 2006 eine Taktreduzierung erfuhren und 2008 als zu untersuchen aufgeführt wurden, sollen jetzt „über die Klinge springen“. Auf ihnen sind nicht die geforderten 500 Fahrgäste täglich unterwegs: Pritzwalk—Meyenburg, Kyritz—Pritzwalk, Schöneweide—Königs Wusterhausen—Beeskow—Frankfurt (Oder).
Nach den Trassenbestellungen der Verkehrsunternehmen werden die Jahresfahrpläne für das kommende Fahrplanjahr „gestrickt“. Im vorliegenden Falle hat beispielsweise für die Verbindung Schöneweide—Königs Wusterhausen— Beeskow—Frankfurt (Oder) die Ostdeutsche Eisenbahn GmbH als Verkehrsunternehmen für sonnabends, sonn- und feiertags den vereinbarten Stundentakt Ende April 2012 bestellt. So ist es bisher mit dem Verkehrsverbund vereinbart.
Jetzt hat das Verkehrsministerium angekündigt, dass es nur einen 2-Stunden-Takt geben soll. Damit ist die angegebene Trassenbestellung bei DB Netz hinfällig. Auch zwischen dem Verkehrsministerium und der ODEG müssen neue Verträge geschlossen werden. Seitens der ODEG müssen Dienstpläne umgeschrieben werden, die Fahrzeugplanung muss verändert werden. Durch die Ausdünnung werden auch Fahrzeuge und Personale weniger gebraucht. Das alles erzeugt Kosten, die selbstverständlich vom Land getragen werden müssen. Weniger Fahrten bedeuten für die Unternehmen weniger Einnahmen und damit weniger Gewinn! Da sie nicht Schuld an diesem Ertragsrückgang sind, ist es nur konsequent, sich diese Ausfälle innerhalb der Vertragslaufzeit von dem ausgleichen zu lassen, der sie verursacht hat: vom Brandenburger Verkehrsministerium!
Die Verkehrsverträge haben in der Regel eine Vertragslaufzeit von 10 und mehr Jahren. Natürlich gibt es in den Verträgen Klauseln über Veränderungen innerhalb der Laufzeit. Aber: die gibt es nicht umsonst! Eine Reduzierung des Angebotes um 20 oder 50 bedeuten nicht eine Einsparung von 20 oder 50 Prozent! Faustformel: Je kurzfristiger bestehende Verträge geändert werden, umso geringer sind die tatsächlichen Einsparungen. Wenn Brandenburgs Verkehrsminister Vogelsänger acht Monate vor Inkrafttreten des Fahrplans 2013 (ab Dezember 2012) ankündigt, zwei Millionen Euro durch die Streichung von Zugleistungen einsparen zu wollen, bedeutet dies möglicherweise die Abbestellung von Leistungen im „Gegenwert“ von 2,5 oder 3 Millionen Euro. Denn die Ausgleichszahlungen, die das Land den Verkehrsunternehmen zu zahlen hat, kommen als weiterer Aufwand dazu!
Damit stehen im Übrigen auch für die Zeit nach 2014 die nächsten Kandidaten fest, die abbestellt werden. Um Geld zu sparen, soll nämlich beispielsweise zwischen Brandenburg Hbf und Rathenow und zwischen Berlin und Frankfurt (Oder) über Beeskow am Wochenende der Takt ausgedünnt werden. Anstatt alle Stunde soll es dann nur noch einen 2-Stunden-Takt geben. Erwartet das Verkehrsministerium allen Ernstes, dass beide Linien die 500 Fahrgäste-Marke reißen, wenn der Takt halbiert wird? Ein weiteres Problem: Gerade in diese beiden Strecken ist durch DB Netz in den vergangenen Jahren erheblich investiert worden. Diese Investitionen werden natürlich auf die Trassenbestellungen umgelegt. Wird also der Takt halbiert, bedeutet das, dass die Trassenentgelte drastisch steigen. Vielleicht nicht um 100 Prozent, jedoch im mittleren zweistelligen Bereich. Das Ergebnis: Der Zugverkehr wird noch unwirtschaftlicher. Es fahren ja andererseits auch nicht mehr Fahrgäste mit, weil der Takt ja vorher ausgedünnt wurde. Damit steigt wiederum der Druck auf das Land, endlich auch hier den Verkehr komplett abzubestellen, weil der Zuschussbedarf pro beförderten Fahrgast in keinem Verhältnis mehr zum Nutzen steht. Ein Abwärtstrend, der in Brandenburg seit 1994 anhält und durch jede weitere Ausdünnung beschleunigt wird.
Jedes Jahr steigen die Entgelte für die Nutzung der Strecken und Stationen. Dafür bekommen die Bundesländer ja auch – planbar und gesetzlich festgeschrieben – mehr Geld vom Finanzminister. Wenn Verkehrsminister Vogelsänger als den Schuldigen für die (angeblich zwingend notwendigen) Streichungen den DB-Konzern mit seinen Töchtern DB Netz AG und Station & Service brandmarkt, ist das nur die halbe Wahrheit. Denn auch er ist an dieser Situation schuld. Die Preiserhöhungen werden durch steigende Zuweisungen aus dem Bundeshaushalt kompensiert. Die Verträge mit den Verkehrsunternehmen werden langfristig – über 10 und mehr Jahre – geschlossen. Durch die Ausschreibungen im Wettbewerb sind in den vergangenen Jahren mindestens 30 Prozent der bisher gezahlten Entgelte eingespart worden. Alle diese Faktoren müssten eigentlich bedeuten, dass es diesen plötzlichen Zwang, innerhalb eines halben Jahres Millionen einsparen zu müssen, gar nicht geben kann. Hat das Verkehrsministerium falsch gerechnet und sich verrechnet? Oder ist es so, dass das Geld tatsächlich nicht ausreicht, weil mit dem zur Verfügung stehenden Geld immer mehr finanziert werden soll?
Es ist kein Geheimnis, dass Brandenburg von dem Geld, mit dem eigentlich Regionalverkehrsleistungen auf der Schiene bestellt werden sollen, inzwischen einen erheblichen Teil für andere Dinge ausgibt. Da wird das Sozialticket mitfinanziert, die Beschaffung von Bussen und Straßenbahnen, künftig auch die erhöhten Aufwendungen für die sieben Brandenburger Straßenbahnbetriebe und Eberswalde mit seinem Obus-System. Anstatt Regionalverkehr zu bestellen, fließt das Geld auch in die Anlage von P&R-Parkplätzen an Bahnhöfen und die Verschönerung von Verkehrsstationen.
Die Brandenburger Landkreise erhalten aus diesem Finanztopf auch ihr Geld für die Bezahlung der eigenen Busverkehre. Jeder Geldsegen, sei er auch noch so groß, ist endlich. Und das Ende scheint erreicht zu sein. Das Problem ist offenbar nicht, dass es unplanbare und riesengroße Preiserhöhungen gegeben hat, sondern dass mit dem zur Verfügung stehenden Geld immer mehr bezahlt werden soll.
Die Endlichkeit des Geldes wird sich auch in einer weiteren Umverteilungsidee bemerkbar machen. So hat das Verkehrsministerium die Idee, im ÖPNV-Gesetz die „alternativen Bedienungsformen“ – also Rufbus, Bürgerbus, Anrufsammeltaxi usw. – bei den Zuweisungen besser zu stellen. In Konsequenz bedeutet dies automatisch einen weiteren Umverteilungszwang. Denn auch hierfür wird das vorhandene Geld anderen Bestellungen weggenommen.
Recht extensiv ist Brandenburg inzwischen bereit, SPNV-Verkehre in Berlin zu bestellen und zu bezahlen. Die Verlängerungen diverser Regionalbahn-Linien in die Berliner Innenstadt hinein wird aus Brandenburger Steuergeld „fremdfinanziert“. Sei es die RB6, die zwischen Spandau und Gesundbrunnen durch Brandenburg bezahlt wird, die Verlängerung der RB 10 von Spandau zum Hauptbahnhof oder ab Dezember 2012 die RB 21 und RB 22, wenn sie über Griebnitzsee nach Friedrichstraße fahren sollen. Diese Verlängerungen mögen sinnvoll sein, hierfür wird aber Steuergeld aus Brandenburg ausgegeben, dass Brandenburg an anderer Stelle fehlt. Nach Schätzungen des DBV kosten diese Bestellungen jährlich um die 5 Millionen Euro!
Ad absurdum wird der angebliche Zwang zur Einsparung, wenn sich das Verkehrsministerium an anderer Stelle weigert, erkennbare Einsparungen zu nutzen. So hatte der DBV-Regionalverband bereits 2008 dem Verkehrsministerium vorgerechnet, dass die Verlängerung der S-Bahn über Spandau hinaus nach Falkensee jährlich fast 1,7 Millionen Euro sparen würde. Dieses theoretisch vorhandene Einsparvolumen wurde auch bestätigt – bei Beibehaltung eines merkbaren und zuverlässigen Halbstundentaktes im Regionalverkehr. Weil das Verkehrsministerium die S-Bahn aber per se ablehnt, ist man an dieser Stelle bereit, mehr Geld als notwendig auszugeben.
Einen Plan zum langfristigen Erhalt und zur Sicherung des Schienennetzes und des –verkehrs gibt es nicht. Sonst sähe Verkehrspolitik anders aus. Stattdessen hangelt man sich von einem Finanzloch im Verkehrshaushalt zum nächsten mit Abbestellungen. Wie dargestellt werden Einsparungen auch weiterhin durch das Zusammenstreichen von Bestellungen kompensiert. Es reicht, in puncto Zuständigkeit auf die Verantwortlichkeit des Bundes für das Schienennetz zu verweisen. Vielfach hat der DBV vorgeschlagen, Strecken zum Erhalt durch das Land zu kaufen, um sie so in ihrem Bestand zu sichern. Für die Schieneninfrastruktur sei, laut Land, der Bund zuständig. Warum beschwert man sich über die ständig steigenden Kosten für die Trassen- und Haltbestellungen, ist andererseits aber nicht bereit, durch politische Initiative seine Einwirkungsmöglichkeit zu nutzen? Die Möglichkeit bestünde! Die Infrastruktur ist komplett im Bundeseigentum, eine Privatisierung laut Grundgesetz nicht möglich. Wenn das Land Brandenburg (wie übrigens ebenso alle anderen Bundesländer auch!) als Teil-Eigentümer nichts an den bestehenden Problemen ändert, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder möchte es an den bestehenden Strukturen und Problemen nichts ändern, oder es kann nichts ändern. Beide Varianten sind fatal.
Wenn sich nichts Grundsätzliches an dieser planlosen Verkehrspolitik ändert, wird das Brandenburger Schienennetz in zehn Jahren nur noch aus den von den Expresslinien befahrenen Hauptstrecken bestehen. Vielleicht fährt dann auch dort nur noch alle zwei Stunden ein Zug, weil man inzwischen ja weitersparen musste…
Dort, wo die Landesregierung Abbestellungen plant, ist sie dennoch weiterhin in der Pflicht, in Zusammenarbeit mit den Landkreisen die Mobilität zu sichern. Dies kann nur dadurch geschehen, dass sie nicht nur Überlegungen anstellt, wo noch ein paar tausend Euro durch Streichungen „zusammengekratzt“ werden können. Erfolgen Abbestellungen (dies gilt übrigens auch für die Streichung von Halten), hat sie gleichzeitig auch ein Konzept vorzulegen, wie die Alternativen aussehen. Denn, so steht es ja im Koalitionsvertrag, die Sicherung der Mobilität ist von größter Bedeutung!
DBV Berlin-Brandenburg
aus SIGNAL 3/2012 (Juli 2012), Seite 10-11