Aktuell
Verkehrsmittel mit Zukunft
1. Apr 1995
Wer die jüngste Entwicklung zum Beispiel in Potsdam (siehe SIGNAL 1/95 ) oder Hoyerswerda verfolgt hat, wird für die Überschrift wohl nur ein müdes Lächeln übrig haben. Und trotzdem geht der Trend auch seitens der großen Hersteller langsam, aber sicher, in Richtung der leisen, sauberen und komfortablen elektrisch angetriebenen Omnibusse. Verschiedene Überlegungen über die Art und Weise der Energiezufuhr münden dabei letzten Endes immer wieder im einzigen marktreifen und technisch beherrschbaren System: dem Oberleitungsbus, von Fachleuten wie Laien auch kurz O-Bus genannt. Es gibt derzeit nur wenige ausgewiesene O-Bus Hersteller und gar keine Spezialisten auf diesem Gebiet - mit einer Ausnahme: dem Skoda-Werk in Ostrov, im Norden der Tschechischen Republik gelegen.
Bis 1959 wurden im Skoda-Werk Instandsetzungen für Bergwerkstechnik vorgenommen, mit dem Auslaufen dieses Produktionszweiges wurde die zuvor in Plzen (Pilsen) erfolgende O-Bus-Produktion hierher verlagen. Bis Anfang der 90er Jahre wurden jährlich bis zu 400 Fahrzeuge montiert. In den letzten Jahren war ein starker Absatzrückgang zu verzeichnen, da die bisherigen Abnehmer vor allem im Osten Europas trotz großem Interesse zunehmend unter finanziellen Schwierigkeiten leiden.
Gegenwärtig stabilisiert sich die Lieferquote wieder etwas. Das Interesse in den westlichen Ländern ist dagegen relativ gering, da die Fahrzeuge trotz robuster Ausführung und moderaten Preisen bislang nicht dem üblichen Standard in der Ausstattung entsprachen.
Um die Marktchancen zu verbessern, wurde eine neue O-Bus-Generation entwickelt, die sowohl dem geforderten technischen Niveau als auch den heutigen Fahrgastwünschen Rechnung trägt. Kürzlich wurden die Prototypen eines 11,56 Meter langen Normalwagens (Typ 21 Tr) und eines 17,87 Meter langen Gelenkwagens (Typ 22 Tr) vorgestellt. Auf Wunsch wird auch ein Doppelgelenkwagen mit 23,9 Meter Länge geìiefert (Typ 23 Tr), dafür dürfte sich aber keine passende Straße finden. Der dreitürige 21 Tr hat zwei nieder- und einen mittelflurigen Einstieg, der 22 Tr in fünftürer (!) Ausführung ebenfalls zwei niederflurige Zustiege. Der Rest ist mittelurig, wobei Mittelflur relativ ist: Der Einstieghöhe von 360 mm an den vorderen Einstiegen stehen 560 mm Fußbodenhöhe (über eine Stufe zu erreichen) gegenüber. Der Einstieg ist also auch hier problemlos. An der zweiten Tür kann auf Wunsch eine ausfahrbare Rollstuhlrampe installiert werden.
Eine Mitfahrt auf der permanent mit 70 Promille ansteigenden, elf Kilometer langen Teststrecke des Skoda-Werkes konnte von der Leistungsfähigkeit des Busses überzeugen. Dieselbusse pflegen sich spätestens hier mit starken Rußwolken bemerkbar zu machen. Der Gelenkbus besitzt zwei angetriebene Achsen (bei westlichen Herstellern nicht zu haben), die zwei Motoren leisten jeweils 120 Kilowatt. Durch die bessere Leistungsausnutzung im Vergleich mit Verbrennungsmotoren lassen sich Fahrprogramme absolvieren, die keine andere Busbauart aufweisen kann. Einige kleine Mängel fielen am Prototyp auf, die sich gewiß noch abstellen lassen.
Das Fahrzeug ist mit seitlichen Schiebefenstern ausgerüstet, die in Deutschland geforderten Klappfenster sind aber lieferbar. Für die zahlreich vorhandenen Halteschlaufen im Innenraum sollte eine Möglichkeit der Arretierung gefunden werden. Bei plötzlichen Bremsungen bekommt man als Fahrgast unter Umständen sonst etwas viel Schwung. Der Platz für Kinderwagen und Rollstühle gegenüber der Mitteltür ist etwas knapp, da unter einem Podest noch das Kühlgebläse für den Fahrmotor untergebracht werden mußte. Diese kleinen Kritikpunkte schmälern den guten Gesamteindruck des Fahrzeuges keinesfalls, das auch für deutsche Betriebe (bestehende und auch künftige) sowohl vom Preis als auch von der Ausstattung her interessant ist.
Neben den neuen Typen finden auch die überarbeiteten "Klassiker" 14 Tr und 15 Tr (Gelenkbus) weiterhin Abnehmer. Der Preis dürfte kaum zu schlagen sein, die Einstiegsverhältnisse sind bei einer Fußbodenhöhe von 750 mm immer noch akzeptabel, für die Technik gilt: er läuft und läuft. Für verschiedene Verkehrsbetriebe werden Überholungen und Modernisierungen von 14 Tr vorgenommen. Neben einem sehr ansprechenden neuen Design fällt der Einbau neuer Fahrgastinformationssysteme auf. Gegenwärtig laufen Aufträge unter anderem für Kiew, Szeged, Zilina und zahlreiche tschechische Betriebe. Und ein amerikanischer Kunde steht vor der Tür. Dayton, USA, hat zunächst drei Wagen des Typs 15 Tr als Probefahrzeuge bestellt, Interesse an weiteren Wagen besteht, eventuell dann mit Innenausbau im eigenen Land. Für Neufahrzeuge stellen manche tschechischen Betriebe die altgebrauchten Fahrmotore nebst Steuerung zur Verfügung, die offenbar nicht kleinzukriegen sind. Man versuche das einmal mit Dieselmotoren. Auch so können Kosten gesenkt werden: Einsatz langlebiger und einfacher Komponenten.
Interessant dürfte der Umstand sein, daß trotz gewaltiger ökonomischer Probleme (von unseren Sorgen träumen die Tschechen höchstens) in vielen tschechischen Städten auf die Erweiterung und die Neuanlage von O-Bus-Betrieben großes Augenmerk gelegt wird. Lakonischer Kommentar des Werksleiters in Ostrov: für Ökologie gibt es auch Geld. Schwerpunkt ist der durch Luftverschmutzung und Waldsterben in die Schlagzeilen geratene nordböhmische Raum. Die bestehenden Betriebe in Usti nad Labem und Teplice werden kontinuierlich ausgebaut, in Chomutov entsteht ein komplettes Netz neu - ein Netz, wohlgemerkt. "Kleinkram" lohnt sich betriebswirtschaftich nicht. Betreffs der Umweltverträglichkeit von O-Bus-Systemen dürfte eine Aussage der tschechischen Kollegen von Interesse sein: In Usti nad Labem war der O-Bus-Betrieb zwei Tage wegen Arbeiten an einer Kreuzung stark eingeschränkt. Die Luftbelastung durch Abgase stieg in diesem Bereich schlagartig um 60 Prozent an, was sich vor allem im Elbtal enorm auswirkte. (In unseren Breiten werden die Abgase ja so verteilt, daß alle etwas davon haben ...)
Bemerkung zum Schluß: Mit dem System sollten sich Verkehrsbetriebe und Kommunen durchaus weiterhin auseinandersetzen. Die landesüblichen Kosten für Fahrzeuge und Infrastrukturmaßnahmen lassen sich durch einen Blick über die Grenzen auf ein gesundes Maß herabsetzen, das es erlaubt, zum Beispiel die für Potsdam jüngst genannten Zahlen zur Wirtschaftlichkeit des O-Bus-Betriebes wesentlich günstiger zu gestalten. Unter diesem Gesichtspunkt müssen die Überlegungen zu ökologisch sinnvollen Verkehrsmitteln neu überdacht werden.
IGEB
aus SIGNAL 2/1995 (April 1995), Seite 7-8