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Bahn bietet Kurswagen Berlin - Kopenhagen via Puttgarden - und informiert nicht
1. Okt 1995
Letztmals am 24. September 1995 setzte das Motorschiff "Wamemünde" vom Anleger des gleichnamigen Fährbahnhofs Reisezugwagen nach Gedser über. 92 Jahre nach der Jungfernfahrt des Dampfers "Friedrich Franz IV" stellte die älteste Ostsee-Eisenbahnfährlinie ihren Betrieb ein, zugleich endete die Ära der Direktzüge zwischen Berlin und Kopenhagen anscheinend ersatzlos. Doch offenbar in letzter Minute einigten sich DB AG und DSB auf einen Kurswagenlauf über Puttgarden. Allerdings "vergaß" die Bahn, die Offentlichkeit darüber zu informieren. Abgesehen von einem Aushang in Lichtenberg, fehlt auf den Berliner Fernbahnhöfen jeder Hinweis auf das neue (Ersatz-)Angebot! Auch in der Tagespresse war nur von Umsteigerelationen via Hamburg oder Lübeck die Rede - ein unbegreifliches, von der DB AG zumindest hingenommenes Informationsdefizit! Will sie etwa für die nach massiver Kritik doch noch zustandegekommene, umsteigefreie Verbindung gar nicht erst werben?
Täglich verläßt eine aus drei InterRegio-Wagen gebildete Kurswagengruppe mit IC 874 "Max Liebermann" um 11.28 Uhr Berlin-Lichtenberg. Ab dem ansonsten nicht mit bedachten Bahnhof Büchen fährt sie um 14.50 Uhr als eigenständiger IR 2134 "Neptun" mit Zwischenstops in Lübeck und Oldenburg (Holstein) bis Puttgarden (an 16.48 Uhr). Zwei der drei Wagen werden nach Rodby übergesetzt und erreichen mit EC 186 "Karen Blixen" schließlich um 20.20 Uhr Kopenhagen.
Der Gegenzug EC 187 startet in der dänischen Hauptstadt um 9.20 Uhr. Als IR 2135 nimmt der "Neptun" dann von Puttgarden (ab 13.00 Uhr) den Laufweg über Lübeck - Bad Kleinen - Güstrow und trifft um 17.47 Uhr in Berlin-Lichtenberg ein, Der Fahrpreisberechnung liegt weiterhin die alte Direktroute zugrunde, teurer ist der Umweg also nicht. Gegenüber dem bisherigen Tageszug über Warnemünde verlängert sich die Fahrzeit nordwärts um 43 Minuten, südwärts um 41 Minuten auf knapp 9 bzw. 8 1/2 Stunden.
Ein Blick in alte Kursbücher erinnert daran, daß es einst noch wesentlich schneller ging. So bewältigte der als Triebwagen verkehrende "Neptun" im Sommer 1969 die Strecke Berlin Ostbahnhof - Kopenhagen in 7 Stunden 2 Minuten, zurück in 6 Stunden 46 Minuten. Im Sommer 1974 dauerte die dank Kurswagen schon ab Bahnhof Berlin Zoologischer Garten umsteigefreie Tagesfahrt 7 Stunden 54 Minuten, in der Gegenrichtung wiederum bis Zoo 7 Stunden 22 Minuten. Außerdem gab es jahrzehntelang eine Schlafwagenverbindung im "Ostsee-Express".
Schon in den achtziger Jahren verschlechterten sich die Reisezeiten vor allem tagsüber drastisch. Ungeachtet dessen erfreuten sich "Neptun" wie "Ostsee-Express" wenigstens in der Sommersaison recht großen Zuspruchs. Nach dem Fall der Berliner Mauer schnellten die Reisendenzahlen kurzzeitig in die Höhe. Bald ebbte der Ansturm auf die Züge freilich ab. Umso besser ausgelastet waren auf den Fähren die Autodecks. Die staatsbahneigenen Motorschiffe "Kong Frederik IX", "Knudshoved" (DSB) und "Warnemünde" (DR) erhielten zudem Konkurrenz durch neue Fährlinien von und nach Rostock Seehafen. Zur Bedeutungslosigkeit verkam der für die Reichsbahn einmal sehr lukrative Güterwagentrajekt auf der alten Stammlinie Warnemünde Gedser. Dagegen boomte der Gütertransport auf der Vogelfluglinie zwischen Puttgarden und Rodby, einhergehend mit der Verlagerung des Frachtumschlags vom Rostocker zum Hamburger Hafen.
1993 verlor Warnemünde den internationalen Güterverkehr per Schiff/Schiene. lm gleichen Jahr übernahm die "Deutsche Fährgesellschaft Ostsee" (DFO) die bisher von Reichs- bzw. Bundesbahn betriebenen Schiffe auf beiden Dänrmark-Routen sowie auf den Schweden-Linien von Rostock und Saßnitz nach Trelleborg. Anfangs zeigte die DFO - eine Tochter der DB AG durchaus Interesse an Sanierung und Ausbau des Anlegers in Warnemünde. Anders die Stadt Rostock: Diese ist heute froh, daß sich die Autos nicht länger durch die City zur Fähre quälen müssen, denn der Rostocker Seehafen hat einen direkten Autobahnanschluß. Allerdings fehlt unmittelbar am Anleger ein Bahnhof für Reisezüge, die S-Bahn hält nur in der Nähe.
Da eine finanzielle Beteiligung der Stadt nicht zu erwarten war (und ist), verwarfen DFO und DB AG ihre Ausbaupläne für Warnemünde. Obendrein bekundete die Dänische Staatsbahn ihre Absicht, die unrentable Schienenstrecke Gedser - Nykobing stillzulegen. Damit war auch das Schicksal des Reisezugwagentrajekts besiegelt.
Inzwischen läßt sich sogar die Einstellung der alten "Königslinie" Saßnitz - Trelleborg absehen. Den Hafen Saßnitz wollen Bahn und Fährgesellschaft zugunsten der benachbarten, bei weitem nicht mehr ausgelasteten Anlage in Mukran aufgeben (Mukran wurde von der DR einst für den Güterverkehr in die Sowjetunion großzügig konzipiert). Doch selbst die Zukunft einer Linie Mukran - Trelleborg steht unter keinem günstigen Stern. Der dominierende Lkw-Verkehr tendiert nach Rostock, und von hier aus will die DFO ihre kürzlich bestellte, weltweit größte kombinierte Eisenbahn-, Trailer- und Passagierfähre einsetzen. Ein Übersetzen von Reisezugwagen via Rostock ist indes nicht vorgesehen!
Ob sich ferner die Seeroute zwischen Puttgarden und Rodby gegen die vorraussichtlich 1997/98 in Betrieb gehende Eisenbahnstrecke über bzw. unter dem Großen Belt (eine Brücken-/Tunnelkobination) behaupten kann, bleibt abzuwarten.Angesichts der tiefroten Bilanzen des Eurotunnels unter dem Ärmelkanal äußern sich die gesellschaften hier zwar optimistisch, doch mindestens teilweise werden die modernen Schiffe der Vogelfluglinie entbehrlich.
Durch relativ kostengünstigen Ausbau der deutschen wie dänischen Anschlußstrecken ließe sich die Bahnreisezeit Berlin - Warnemünde - Kopenhagen auf unter sechs Stunden drücken, mithin ein Wert, der auf der künftig fährlosen Umwegroute über Hamburg und Großen Belt nur nach sehr teurer Hochgeschwindigkeitstrassierung erzielbar wäre. Immerhin hat die dänische Regierung der DSB jüngst untersagt, die Strecke Gedser - Nykobing komplett stillzulegen. Nach Einstellung des Reisezugverkehrs ist die Trasse für Güterzüge offenzuhalten, bei Bedarf auch der Fährbetrieb wieder aufzunehmen.
Auf deutscher Seite will die DFO den Anleger in Warnemünde zunächst für zwei Jahre konservieren und dann eine Reaktivierung prüfen. Neue Schiffe bräuchten jedenfalls nicht vom Stapel zu laufen, denn es stünden ja auf der Vogelfluglinie freigewordene zur Verfügung.
IGEB
aus SIGNAL 7/1995 (November 1995), Seite 4-5