Aktuell

Neue U-Bahn-Züge für das Großprofilnetz


ABB Henschel AG

1. Nov 1995

Am 29. September stellten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und ABB Henschel gemeinsam den ersten Zug der neuen U-Bahn-Baureihe H vor. Das "Roll-Out" des innovativen Stadtverkehrssystems im ABB Henschel-­Werk Berlin-Reinickendorf markiert einen Meilenstein in der Verkehrsgeschichte der Stadt: Die Fahrzeuge der neuen U-Bahn-Generation, mit der die Berliner ins nächste Jahrtausend fahren, setzen neue Maßstäbe im Hinblick auf Fahrgastkomfort, Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglich­keit.

So ist in den erstmals in voller Länge durchgängig begehbaren Fahrzeugen eine Parallelsitzanordnung vorgesehen, die neben einer optimierten Raumausnutzung auch eine bessere Verteilung der Fahrgäste im Zug ermöglicht und mehr Sicherheit bietet.

Die aus sechs Wagen bestehenden Züge sind für insgesamt 724 Fahrgäste (208 Sitz- 516 Stehplätze) ausgelegt. Die großzügigen Ubergänge zwischen den Wagen sorgen zusammen mit den stufenlosen Einstiegen, den bequemen Sitzen sowie dem hellen und freundlichen Innenraum Design für opitmalen Fahrgastkomfort.

Wesentliche Neuerungen hat die Baureihe H vor allem in konstruktiver Hinsicht zu bieten. Der Wagenkasten besteht bei diesen U-Bahn-Fahrzeugen aus Aluminium­-Großprofilen und bildet damit die Basis des in dieser Form erstmals realisierten Konzeptes der "leeren Röhre". Diese Lösung ermöglicht eine frei variierbare Innenraumgestaltung, da weder unter den Sitzen noch in der Fahrerraumrückwand für den Fahrzeugbetrieb notwendige Geräte eingebaut sind.

Die Abbildung zeigt zwei Wagen bzw. ein Drittel des neuen Zuges der U-Bahn-Baureihe H. Abb: ABB Henschel AG
Besonders bemerkenswert ist, daß die der Baureihe H einen durchgehenden Fahrgastraum haben. Durch die ausschließliche Längsanordnung der Sitze wirkt der Zug innen breiter und verspricht eine Reduzierung des Angstgefühle in der abendlichen U-Bahn. Die Kehrseite ist ein reduziertes Sitzplatzangebot, weshalb der Berliner Fahrgastverband IGEB anregt, die vier mittleren, für den Fahrgastfluß weniger bedeutsamen Wagen mit Quersitzen auszustatten. Foto: Marc Heller
Präsentation des neuen Zuges der Baureihe H am 28. September auf dem Gelände der Waggon Union in Berlin-­Reinickendorf. Foto: Marc Heller
Foto: Marc Heller

Die neuen U-Bahnen verfügen über eine moderne elektrische Ausrüstung mit leistungsfähiger und wirtsehaftlicher Drehstrom-Antriebstechnik. Durch den konsequenten Einsatz wartungsarmer Komponenten ist in Verbindung mit redundanten Sieherungs- und Überwachungssystemen - unter allen Umständen eine hohe Betriebsicher­heit gewährleistet.

Als Zukunftsoption sind die mit verglasten Fahrerkabinen ausgerüsteten technisch bereits einen automatischen Betrieb vorbereitet. In diesem Fall wird der Führerstand demontiert und der Fahrgastraum bis zur Windschutzscheibe erweitert.

Neben dem - pro Fahrgastplatz - reduzierten Fahrzeuggewicht sorgt auch die Auswahl von Aggregaten mit hohem Wirkungsgrad sowie die Energierückgewinnung beim Bremsen für eine deutliche Senkung des relativen Energiebedarfs. Eine zusätzliche Reduzierung der laufenden Betriebskosten wird durch die wartungsfreundliche Anordnung der in modularen Baugruppen zusammengefaßten Einzelaggregate erzielt.

Mit der Entwicklung und Lieferung der insgesamt 115 modernen U-Bahn-Züge leistet ABB Henschel einen wichtigen Beitrag zu der geplanten Neugestaltung des Berliner U­-Bahn-Systems. Die entscheidende Weichenstellung fur die Realisierung des innovativen Zugkonzeptes erfolgte im Dezember 1992 mit dem Vertragsabschluß Zwischen den Berliner Verkehrsbetrieben und der ABB Henschel AG.

[IGEB] Was beiI dem neuen H-Zug sofot positiv auffällt, ist der großzügige Raumeindruck. Dieser kommt zustande durch die enorme Länge des Fahrgastraumes (durchgängiger 6-Wagen-Zug statt Einzelwagen), des helle Innendesign und die Anordnung der Sitze in Längsrichtung. Genau hierin liegt aber auch ein deutlicher Schwachpunkt des neuen H-Zuges: Mit seinen 208 Sitzplätzen, darunter 40 Klappsitze bleibt der Zug hinter dem Sitzplatzengebot in einem 6-Wagen-Zug der Baureihe F deutlich zurück, denn hier werden 228 und bei den ersten Serien sogar 240 Sitzplätze geboten, darunter jeweils 12 Klappsítze. Dies ist eine vermeidbare Komfortreduzierung, zumal mit der U-Bahn zunehmend auch längere Strecken zurückgelegt werden. Da man sich über die Anordnung der Sitzplätze in der U-Bahn sicherlich ähnlich trefflich streiten kann wie bei der Eisenbahn über die Frage "Großraum- oder Abteilwagen ?", schlagen wir einen Kompromiß vor, der sowohl dem Anspruch nach einem höheren Sitzplatzanteil wie auch den Sicherheitsbelangen Rechnung trägt: In den beiden Spitzenwagen sollten Längs- und in den vier Mittelwagen Quersitze installiert werden, So ließe sich im H-Zug die Zahl der Sitzplätze auf immerhin 224 erhöhen.

Thema Sicherheit: Daß Sicherheitsaspekte bei der Konstruktion des Fahrzeuges eine wichtige Rolle gespielt haben, ist unverkennbar. Aber mindestens in einem Punkt sind doch Zweitel angebracht: Die Zuge können auch in den Schwachverkehrszeiten nur als "Vollzüge"eingesetzt werden! Unter Sicherheitsaspekten ist aber gerade in den Schwachverkehrs­zeiten eine angemessene Fahrzeuggröße ein entscheidendes Element im subjektiven Sicherheitsemp­finden der Fahrgäste. Und dies gilt natürlich in besonderem Maße für den geplanten Einsatz der Baureihe H auf der U5 nach Hönow.

Auch muß sich noch zeigen, ob des Konzept eines nicht trennbaren Vollzuges betrieblich und betriebserfolgreich ist. So muß z.B. schon bei der kleinsten Reperatur gleich der ganze Zug in die Werkstatt, was sich wirtschaftlich negativ auswirken dürfte, weil eine größere Betriebsreserve erforderlich wird.

Nicht unerwähnt sollen einige kleine, für den Fahrgest aber durchaus wichtige Verbesserungen bleiben: Beidseitig zu öffnende Klappfenster, auf Knopfdruck durch den Fahrgast schließbare Türen mit optischakustischer Warneinrichtung und - neben der obligatorischen Bahnhofsansage - auch eine optische Ankündigung der nächsten Station.

ABB Henschel AG

aus SIGNAL 7/1995 (November 1995), Seite 6-7