Report
5. Sep 2012
Seit Generationen gehört das Erlebnis der vorbeiziehenden Städte, Dörfer und Landschaften untrennbar zum Eisenbahnfahren.
Seit Generationen ist es selbstverständlich, dass die Eisenbahn zur Stadt und zur Landschaft gehört. Städte sind um Bahnstrecken herum gewachsen, Landschaften wie das Rheintal stehen einschließlich ihrer Bahnstrecken unter Schutz, bis hin zum Weltkulturerbe.
Generationen von Anwohnern haben sich nicht an den Bahngeräuschen gestört. Die Bahn war ja auch fast immer schon vorhanden, bevor die heutigen Anwohner in ihre Nähe zogen.
Diese Selbstverständlichkeit der Eisenbahn als Teil unserer Umwelt und als Verkehrsmittel für alle wird nun zunehmend in Frage gestellt. Immer mehr Bahnstrecken werden hinter meterhohen Wänden versteckt. Stadt- und Landschaftsbild scheinen dabei keine Rolle zu spielen, ebenso wenig wie das Recht für die Nutzer des relativ umweltfreundlichen Verkehrsmittels Eisenbahn, während der Fahrt auch was von der Umgebung sehen zu können.
Die Eisenbahn war und ist das Verkehrsmittel für alle; sie kann und darf sich zeigen – optisch und akustisch. Sie muss sich sogar bemerkbar machen, um bei einer Generation, die mit dem allgegenwärtigen Auto aufgewachsen
ist, nicht in Vergessenheit zu geraten als das weitaus sicherere, sozialere, umweltverträglichere Verkehrsmittel.
Selbstverständlich muss auch die umweltfreundliche Eisenbahn dafür sorgen, dass sich ihre Geräusche in einem verträglichen Rahmen halten. Dies darf aber nicht dazu führen, dass Bahnstrecken durch meterhohe Wände von der Umgebung abgeriegelt werden. Solche Mauern erfüllen bei weitem nicht die Hoffnungen, die in sie gesetzt werden, stören aber erheblich das Orts- und Landschaftsbild und nehmen vielen Anwohnern Licht und Sonne weg, ohne den Schall ausreichend zu dämmen.
Die Schutzwirkung hat auch wenig mit der Höhe der Wände zu tun.
Bahngeräusche entstehen fast ausschließlich am Rad-Schiene-Kontakt, nicht in mehreren Metern Höhe. Deshalb gibt es bessere Möglichkeiten für wirksamen Lärmschutz direkt an Schienen und Radsätzen. Auch wenn diese Maßnahmen noch einige Zeit brauchen, bis sie flächendeckend umgesetzt sind, dürfen in der Zwischenzeit keine weiteren Mauern gebaut werden. Die Finanzmittel zur Lärmsanierung müssen ab sofort für die Schalldämmung direkt an den Rädern eingesetzt werden, also an der Stelle, an der der Lärm entsteht. Viele neue Eisenbahnfahrzeuge rollen schon sehr viel leiser als alte Züge, nur bei Güterwagen besteht noch großer Handlungsbedarf.
Wir Eisenbahnfreunde und Bahnbenutzer, aber auch Liebhaber alter Städte, dürfen zu den überhohen Schallschutzwänden keine defensive Haltung einnehmen. Wir Bahnbenutzer müssen offensiv die umweltfreundliche Bahn gegen diejenigen Zeitgenossen verteidigen, die sie am liebsten unsichtbar und unhörbar machen wollen, anstatt sie als Verkehrsmittel zu benutzen.
Wir müssen fordern, dass alle technischen Maßnahmen zur Lärmdämmung an den Rädern durchgeführt werden, dass aber darüber hinaus nur in Ausnahmefällen noch Mauern gebaut werden dürfen, aber auf keinen Fall mehr als zwei Meter hoch. Diese Höhe genügt, um den fast ausschließlich in Gleishöhe entstehenden Schall abzuschirmen, ist in Städten und Landschaften optisch gerade noch verträglich und bietet weiterhin freien Blick für die Bahnfahrgäste auf die Umgebung. Bereits bestehende höhere Wände müssen auf 2 m Höhe zurückgebaut oder durch Glaswände ersetzt werden. Dazu müssen die einschlägigen Lärmschutzgesetze so geändert werden, dass die Maßnahmen an Rad und Schiene vorrangig durchzuführen sind.
Wegfallen muss die im Gesetz festgelegte proportionale Verknüpfung von Dämmwirkung und Wandhöhe, letztere muss aus städtebaulichen und Landschaftsschutz-Gründen auf die erwähnten 2 m begrenzt werden.
Wir Eisenbahnfreunde fordern freien Blick auf Städte und Landschaften!
Auch in Berlin hat die Stadtzerstörung durch Schallschutzwände ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Die Planung hoher Schallschutzwände hat maßgeblich zum Widerstand der Lichtenrader Bürger gegen den überfälligen Wiederaufbau der Fernbahngleise Berlin—Dresden beigetragen. Am S-Bahnhof Nikolassee haben sich Berliner Bürger erfolgreich gegen bis zu 6 m hohe Lärmschutzwände gewehrt. Entlang der Stadtbahn zwischen Ostbahnhof und Savignyplatz hat uns der Denkmalschutz vor Schallschutzwänden bewahrt. Doch gleich hinter dem geschützten Abschnitt stehen zwischen Savignyplatz und Charlottenburg die hässlichen und zudem aufgrund der Breite der Bahntrasse sowie Reflektionen von den Häusern hier praktisch wirkungslosen Wände.
Der Vorstoß aus Fürth ist deshalb ausdrücklich zu begrüßen. Zwar muss die Akzeptanz der Bahn innerhalb der Städte durch Minderung des Bahnlärms noch verbessert werden, aber Schallschutzwände sind ein teurer und die Städte ebenso wie die ländlichen Räume zerstörender Irrweg. Vielmehr muss die Bahn andere aktive schalldämpfende Maßnahmen durchführen, die besser stadtverträglich sind.
Dazu hat die Deutsche Bahn eine Untersuchung durchgeführt – gefördert durch das Bundes-Konjunkturprogramm II – dessen Schlussbericht nun vorliegt (http://geotek.de/gruene/Laerm-Schlussbericht_KP2_2011.pdf ).
So wurden z. B. „Schienenstegdämpfer“ (wie auf der Berliner Ringbahn z. T. erprobt) sowie „Niedrige Schallschutzwände“ mit 74 cm bzw. 55 cm Höhe für die Gleise erfolgreich getestet. Für Brücken erreicht die „Brückenentdröhnung“ deutliche Schall-Minderungspotentiale. Ferner kommt dem „besonders überwachten Gleis“ wie auf der Berliner Stadtbahn eine große Bedeutung zu. Das Schienenschleifen soll Riffel entfernen und somit ein leises Rollen ermöglichen.
Diese Technologien sollten weiter vorangetrieben, verstärkt erforscht und finanziell gefördert werden.
Lothar Berthold, Fürth
aus SIGNAL 4/2012 (September 2012), Seite 21-22