Berlin
Deutsche Bahn entfernt Zusatz „Lehrter Bahnhof“ – und bringt ihn wieder an
26. Okt 2012
Am 14. September 2012 stellten Mitglieder des Berliner Fahrgastverbands IGEB fest, dass die Deutsche Bahn ohne erkennbaren Grund und ohne Information der Öffentlichkeit am Berliner Hauptbahnhof den Zusatz „Lehrter Bahnhof“ entfernt hatte.
Zur Erinnerung: Der 2006 eröffnete neue Fern- und Regionalbahnhof am Kreuzungspunkt von Stadtbahn und Nord-Süd-Tunnel der Fernbahn hatte den Namen „Hauptbahnhof“ erhalten – gegen das Votum der Berliner Bevölkerung. Diese hatte 2002 bei einer Befragung mehrheitlich
für „Lehrter Bahnhof“ gestimmt.
Als Zugeständnis an das Bürgervotum und zur Erinnerung an den einstigen Lehrter Fernbahnhof und den langjährigen S-Bahnhof Lehrter Stadtbahnhof hatte die Bahn immerhin auf die Bahnhofsschilder am Bahnsteig der S-Bahn unter „Berlin Hauptbahnhof“ den Zusatz „Lehrter Bahnhof“ geschrieben.
Dieser war nun am 14. September verschwunden, nachdem er zwei Tage vorher noch gesichtet worden war. Mit der Erinnerung an den Lehrter Bahnhof – und damit auch an die niedersächsische Stadt Lehrte – sollte offensichtlich Schluss sein.
Ein IGEB-Protest per Pressemitteilung vom 16. September verfehlte seine Wirkung nicht. Die DB-Öffentlichkeitsarbeit gab sich gegenüber den Journalisten zwar ahnungslos, aber schon einen Tag später, wurden die alten Schilder mit dem Zusatz Lehrter Bahnhof wieder angebracht. Auch dafür lieferte die DB keine Erklärung. Einigen Journalisten wurden „Wartungsarbeiten“ als Begründung genannt. Doch die Schilder mit dem Zusatz waren unverkennbar nicht überarbeitet, ja nicht einmal geputzt worden.
Das Ergebnis war aus IGEB-Sicht ein voller Erfolg. Allerdings bleibt die Frage offen, ob es die Deutsche Bahn 10 Jahre nach dem Bürgervotum für Lehrter Bahnhof „einfach mal probieren“ wollte oder ob ein untergeordneter Mitarbeiter eigenständig handelte – selbst das gibt es in so großen Konzernen wie der DB. Aber zurück bleiben das Gefühl, dass hier ein Bürgervotum wieder einmal ignoriert werden sollte, und die Erfahrung, dass es der DB-Öffentlichkeitsarbeit an Souveränität und Lockerheit fehlte, mit nicht alltäglichen Herausforderungen angemessen umzugehen.
Natürlich wurde im Nachgang auch diskutiert, wie bedeutsam eigentlich ein solcher Bahnhofsname ist. Die Berliner Medien berichteten überwiegend wohlwollend im Sinne des IGEB-Anliegens, die niedersächsischen Medien sogar umfassend und fast leidenschaftlich. Allerdings gab es in Berlin auch einige wenige Stimmen, die die Erinnerung an einen nicht mehr existenten Bahnhof als überflüssig werteten.
Doch Namen sind nicht nur Schall und Rauch. Der Berliner Hauptbahnhof ist eben nicht ein „normaler“ Hauptbahnhof wie in den meisten anderen Städten. Berlin hat seit jeher viele große und bedeutende Fernbahnhöfe. Das ist auch nach Umsetzung des Pilzkonzeptes in Berlin nicht anders geworden. Vor allem Spandau und Südkreuz sind ebenfalls wichtige Fernbahnhöfe. Der Berliner Hauptbahnhof ist also anders, und das soll der Name widerspiegeln – und sei es nur durch einen kleinen Zusatz am S-Bahnsteig.
Auch viele Straßennamen in Berlin erinnern an Orte, die es nach den Verheerungen und Umbrüchen des 20. Jahrhunderts nicht mehr gibt. Straßen- und Bahnhofsnamen sind ein wichtiger Teil unserer Erinnerungskultur. Deshalb hat sich der Berliner Fahrgastverband IGEB für den Zusatz „Lehrter Bahnhof“ eingesetzt. Und deshalb ist es gut, dass es auf dem S-Bahnsteig der Ringbahn im Bahnhof Südkreuz noch den Zusatz „Papestraße“ gibt.
Um die Zusätze zu verstehen und erneuten Demontagen vorzubeugen, sollten auf den S-Bahnsteigen Tafeln angebracht werden, die die Geschichte der Namen erklären. Der Lehrter Bahnhof war für Berlin immerhin über Jahrzehnte ein „Tor zur Welt“.
Stadt Lehrte, 18. September 2012
Sehr geehrter Herr Wieseke,
aus welchen Gründen auch immer die
Bahn die Schilder abmontiert hatte: Es
freut mich, dass der Berliner Fahrgastverband
aufgepasst und sofort auf die
Demontage hingewiesen hat. Denn
dadurch ist Öffentlichkeit entstanden.
Und dadurch wohl bei der Bahn auch
die Einsicht erwachsen, dass ein Agieren
gegen den erklärten Bürgerwillen auch
dann nicht einfach geräuschlos hingenommen
wird, wenn diese „Erklärung“
einige Zeit zurück liegt!
Als Bürgermeister der Stadt Lehrte ein
herzliches Dankeschön für Sie und Ihre
Mitstreiter und viele Grüße nach Berlin!
Klaus Sidortschuk, Bürgermeister
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 5/2012 (November 2012), Seite 12-13