Aktuell
Die beiden deutschen Bahnverwaltungen haben sich kürzlich erstmals auf die Einführung eines Sonderangebotes im Berlin-Verkehr geeinigt. Gleichzeitig ist dies auch ein erster Schritt zu niedrigeren Preisen. Aber durch mannigfaltige Einschränkungen, die teilweise überhaupt nicht einsichtig sind, wird die Attraktivität der sogenannten Knüller-Preise stark eingeschränkt.
1. Okt 1989
Bei dem Angebot, das vom 1. November 1989 bis 31. März 1990 gelten soll, handelt es sich um Pauschalpreise in drei Entfernungsklassen, die mit vielen Einschränkungen in den meisten Berlin-Zügen zu Zielorten innerhalb der Bundesrepublik gelten werden. Bis zu einer Entfernung von ca. 300 km werden 60 DM für Hin- und Rückfahrt innerhalb von zehn Tagen verlangt, bis ca. 500 km sind es 90 DM und darüber 120 DM.
Daß die Deutsche Reichsbahn und die Deutsche Bundesbahn sich überhaupt einmal auf ein Sonderangebot geeinigt haben, entspricht einer langjährigen IGEB-Forderung, deren Erfüllung nun offenbar ihren Anfang erfährt. Die Bahnen versuchen nun endlich einmal, auch im Berlin-Verkehr den Reisenden entgegenzukommen statt ständig die Tarife zu erhöhen. Dadurch könnte die Bahn gegenüber den anderen Verkehrsmitteln wieder ein wenig konkurrenzfähiger werden.
Wohl nicht geplant, aber doch einer IGEB-Forderung entsprechend, ist die Förderung der direkten Wege. Da die Fahrkarten nur in den Berlin·Zügen und damit auch nur auf den von Berlin-Zügen befahrenen Strecken gelten, lohnt sich die Umwegfahrt insbesondere nach Süddeutschland über Hannover, die noch sehr oft praktiziert wird) zumindest finanziell nicht mehr. Sie ist mit "Knüller-Preisen" sogar unmöglich. Bisher wurde im Südverkehr der Umweg über Hannover durch die starke Ermäßigung des Super-Spar-Preises der DB attraktiver gemacht als die direkten Züge, beispielsweise über Gerstungen nach Basel.
Damit sind die Vorteile der "Knüller-Preise" aber auch schon genannt. Das Angebot gilt nämlich nur unter bestimmten Bedingungen, die die Nutzbarkeit für die Reisenden stark einschränken. In diesen Bedingungen liegen die Nachteile der "Knüller-Preise". So ist die Hauptreisezeit um Weihnachten herum ausgeschlossen. An diesen Tagen gilt das Angebot nicht. Dadurch kommt ein großer Teil der Reisenden gar nicht erst in den Genuß der "Knüller-Preise". Und unverständlicherweise gibt es die "Knüller-Preise" stets nur für die zweite Wagenklasse. Wer komfortabler reisen möchte, muß also nicht nur den Differenzbetrag zur ersten Klasse zahlen, sondern auch noch den höheren Tarif. Schließlich sind die attraktivsten Züge nicht in das Angebot mit einbezogen worden. Fünf von 36 Zügen dürfen nicht benutzt werden. Drei Züge nach Köln fahren im Bundesgebiet auf Teilstrecken mit 200 km/h, zwei davon sind von den "Knüller-Preisen" ausgeschlossen.
Für die Bahn steht offenbar bei diesem Sonderangebot nicht der Vorteil der Reisenden im Vordergrund der Überlegungen, sondern die Auslastung der zu unattraktiveren Zeiten verkehrenden Züge. Wichtiger wäre aber die Einführung eines attraktiven Angebots gewesen und erst danach ein Sondertarif, der dann Reisende auf die Bahn lockt und auch auf der Bahn hält.
Durch die Nichteinbeziehung einiger Züge sowie sämtlicher Kurswagen in den Sondertarif kommt es zu der kuriosen Situation, daß die Berliner zwar in Dörfer wie Pressig-Rothenkirchen oder Appenweier billig fahren können, nicht aber in Städte wie Osnabrück, Kiel, Stuttgart, Wuppertal oder Bremen. Diese Tatsache ist für die Reisenden umso unverständlicher, da in alle diese Städte umsteigefreie Verbindungen von Berlin aus existieren.
Auch zu Bahnhöfen, wo der Berlin-Zug durchfährt, kann kein Knüller-Preis gelöst werden. Dadurch wird der Fairpreis in Bahnhöfe wie Königslutter teurer als nach Braunschweig, obwohl diese Stadt weiter entfernt ist. Noch kurioser wird der Preis zu Bahnhöfen, an denen nur einige Berlin-Züge halten, wie z.B. Forchheim. Mit dem Tageszug, der dort hält, kann der Knüller-Preis zu 90 DM benutzt werden. Mit dem Nachtzug muß, da der Zug nicht hält, in Bamberg umgestiegen werden und der Anschluß-Zug extra bezahlt werden. Kosten dieser Fahrt incl. Umsteigen: 101,20 DM. Eine durchgehende Fahrkarte von Berlin nach Forchheim kostet sogar 122 DM (Mehrtagesrückfahrkarten). Auch Umsteigeverbindungen in Richtungen, die von Berlin-Routen abweichen, sind nicht in das Angebot einbezogen.
Durch die Reservierungspflicht, die auch noch sieben Tage vorher erledigt werden muß, werden Spontan-Reisen mit den "Knüller-Preisen" von vornherein unmöglich gemacht.
Fazit: Die "Knüller-Preise" sind keine große Errungenschaft, weil durch zuviele Reglementierungen die Benutzung dieses Sonderangebotes zu stark eingeschränkt wird. Die "Knüller-Preise" sind nur in Ausnahmefällen anwendbar. Außerdem fehlt die in anderen Tarifen meist enthaltene Mitfahrer-Ermäßigung. Bei Einbeziehung der Fahrgast-Verbände in die Planungen dieses Angebotes wäre den Reisenden ein solch mangelhaftes und unausgegorenes Sonderangebot sicher erspart geblieben. Die IGEB fordert nochmals ein verständliches, umfassendes und brauchbares Tarifgefüge im Berlin-Verkehr, das nicht nur in Sonderfällen günstige Fahrmöglichkeiten bietet.
IGEB
aus SIGNAL 9/1989 (Oktober 1989), Seite 7-8