Nahverkehr
1. Okt 1990
Bei dern Wort “Stadtökologie” verdrehen viele Bürger die Augen, weil sie befürchten, daß romantische Zukunftsträumer Berlin zu einer Naturoase degradieren wollen (“Wat'n, Berlin is doch keen Dorf nich”). Aber darum geht es nicht. Es geht vielmehr darum, daß nach der Öffnung der Mauer für Berlin eine Entwicklung wieder einsetzt, die für die Stadt schon immer kennzeichnend war: Berlin wird wieder zu einer Einwandererstadt. Die Zuwanderung wird aus mehreren Quellen resultieren:
Damit wird Berlin wieder zu einer Metropole von gleichem Rang wie London oder Paris. Im Unterschied zu der Zeit vor dem Kriege wird aber gleichzeitig die Motorisierung stark zunehmen, denn bei vielen DDR-Bürgern ist der Drang, ein Auto zu besitzen, sehr groß. Da das Umland jetzt ohne weiteres zu erreichen ist und sogar für die Besiedelung wieder frei wird, werden Verkehrsverbindungen gebraucht. Mit der Politik des Herrn Zimmermann wird einseitig der Individualverkehr Weiter ausgebaut. Das bedeutet, daß die Pendlerströme die Straßen hoffnungslos verstopfen werden.
Neben den Nachteilen des Energieverbrauchs, der Luftbelastung und dem Platzverbrauch des stehenden Verkehrs werden neue Straßenzüge die Landschaft zerschneiden und wertvolle Naturgebiete zerstören. Gerade weil Berlin eine Großstadt besonderen Ausmaßes ist, braucht Berlin ein grünes Umland. Dieses sorgt für einen Luftaustausch und dient uns als Naherholungsgebiet.
Um dieses zu erhalten bzw. zu bewahren, muß eine Verkehrspolitik betrieben werden, die das Schwergewicht auf den Ausbau des S-Bahn-Verkehrs legt. Das bietet sich an, weil Berlin schon vor dem Kriege ein beispielhaftes Ring- und Radialnetz aufgebaut hatte. Bei der Verkehrsplanung für Groß-Berlin müssen vorhandene Trassen für den S-Bahn-Bau freigehalten werden, da die Reaktivierung bzw. Erweiterung des Netzes sicher 10 bis 15 Jahre in Anspruch nehmen wird. Die Kosten für einen umfassenden Ausbau des S-Bahn-Netzes sind zwar zugegebenermaßen beträchtlich, lohnen sich aber unserer Meinung nach volkswirtschaftlich. Denn die Folgekosten des Individualverkehrs, also Luftverschmutzung Platzverbrauch, Kohlendioxid-Erzeugung (= Treibhauseffekt) und Lärmbelästigung sind noch weitaus größer.
Eine Verkehrspolitik für Berlin muß als gestalterische Aufgabe verstanden werden und nicht als Kapitulation vor (selbstgeschaffenen) Sachzwängen. Nur so kann Berlin zu einer lebenswerten, ökologisch orientierten Großstadt des 21. Jahrhunderts werden.
Die IGEB ist parteiunabhängig und vertritt die Fahrgastinteressen über alle Parteigrenzen hinweg. Deshalb haben wir, anknüpfend an einen Meinungsaustausch mit dem Berliner Arbeitskreis der ÖDP im Frühjahr, die Parteienvertreter gebeten, ihre Position auch einmal den SIGNAL-Lesern vorzustellen.
Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) Arbeitskreis Verkehr im Landesverband Berlin
aus SIGNAL 7/1990 (Oktober 1990), Seite 7-8