Schienenverkehrswochen 1990

Sprechtag für Straßenbahn- und Busfahrgäste


IGEB

1. Okt 1990

Am Sprechtag für Straßenbahn- und Busfahrgäste stellten sich Herr Jähnichen, Leiter der BVG-Abteilung Oberflächenverkehr, und Herr Jacobs, Verkehrsdirektor der BVB, den Fragen des Publikums.

Beim Sprechtag für Bus- und Straßenbahnfahrgästen standen Wolfgang Jähnchen von der BVG (Mitte) und Friedrich Jacobs von der BVB (rechts) Rede und Antwort. Die Diskussion leitete Matthias Horth, Leiter der IGEB-Busabteilung. Foto: G. Radke

In seiner Einleitung faßte Herr Jähnichen die Maßnahmen der BVG nach der Grenzöffnung zusammen, um anschließend einen Ausblick auf die Zukunft zu geben. Für den Winterfahrplan, der auch bei der BVG künftig immer - entsprechend der Regeilung bei den Staatsbahnen - von Ende September his Ende Mai gelten wird, kündigte er eine Reihe von Maßnahmen im Busliniennetz an:

Auch Herr Jacobs schilderte zunächst die Leistungen der BVB in der Vergangenheit, wobei er bis heute bestehende Probleme ansprach wie z.B. Stromversorgungsengpässe im Köpenicker und Pankower Straßenbahnnetz, welche den Einsatz moderner Tatra-Züge verhindern. Für den Dezember kündigte er die Inbetriebnahme der Straßenbahnneubaustrecke Marzahn - Hellersdorf an, die von den Linien 6 und 10 befahren werden soll. Allerdings stehen auch Großbaumaßnahmen im Köpenicker Netz an, die aber nicht - wie von den anwesenden Fahrgästen befürchtet - eine schleichende Reduzierung des Netzes einleiten sollen. Wesentliche Maßnahmen werden der Einbau von Fahrscheinautomaten und Entwertern nach westlichem Standard in den Straßenbahnzügen sein. Bei den Bussen soll zukünftig der Fahrscheinverkauf durch die Fahrer erfolgen.

In der anschließenden, lebhaft geführten Diskussion gab es viele Fragen zum Thema “genzüberschreitender" Verkehr. Während für den Individualverkehr fast täglich die Eröffnung einer neuen Straßenverbindung gefeiert wird, bleiben die Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel auf der Strecke: Den Bewohnern des Umlandes und Ost-Berlins, die in immer stärkerem Maße auf den West-Berliner Arbeitsmarkt angewiesen sind, werden mitunter wegen nicht bestehender ÖPNV-Verbindungen riesige Umwegfahrten mit zigfachem Umsteigen zugemutet, so daß die Benutzung oder Anschaffung eines Autos selbst im Ballungsraum Berlin schon jetzt zwingend sein kann. Besondere Kritik kam von Fahrgästen aus Teltow, dem Bereich, wo noch nicht einmal entlang einer unterbrochenen S-Bahn-Strecke an die Einrichtung einer zwischenzeitlichen Busverbindung gedacht ist. Ferner wurde kritisiert, daß frühestens zum Sommerfahrplan 1991 eine Verbindung zwischen Treptower Park und dem Einkaufszentrum Hermannplatz/Karl-Marx-Straße zu erwarten ist. Auf völliges Unverständnis stießen im Publikum dabei die Begründungen der nicht lösbaren Fragen unterschiedlicher Tarife und unterschiedlicher Modalitäten beim Fahrscheinverkauf.

Ein Hinweis auf die bestehenden privaten Busverbindungen Oranienburg - Tegel und Ludwigsfelde - Nahmitzer Damm löste die Frage nach dem fehlenden Tarifverbund für die Regionalbuslinien aus.

Zu diversen ungünstigen Haltestellenlagen im Bereich der BVB befragt, äußerte Herr Jacobs, daß bei vielen Haltestellen die bezirklichen Behörden verantwortlich seien, die den Straßenverkehr bevorzugen und darüber hinaus für überlange Ampelaufenthalte sorgen würden.

Auf Kritik stießen ferner die immer noch verbreiteten Verfrühungen insbesondere in den Abendstunden. Herr Jähnichen sagte eine grundsätzliche Überarbeitung der Fahrzeitbemessung für das neue Buslinienkonzept zu. Ärgerlich auch, daß trotz Regelung der Anschlüsse an einigen wenigen Umsteigeknoten im Busnetz über die Funkleitstelle dem Fahrgast dennoch keine Umsteigemöglichkeit gegeben wird, weil die Haltestellen viel zu weit auseinanderliegen - wie zum Beispiel am Rathaus Steglitz.

Angesprochen wurde wiederum das West-Berliner Kuriosum des Einstiegs nur beim Fahrer. Hoffen darf der Fahrgast da natürlich auf die Zukunft, denn in einer vereinigten Stadt wird man auch zu einer einheitlichen Zustiegsregelung kommen müssen - und im “Schlenki”, den ja nun auch die BVG anschaffen will, ist ein Zustieg allein durch die praktisch einflüglige Vordertür undenkbar.

Sicher wurden nicht alle Fragen zur vollen Zufriedenheit beantwortet, es wurde aber auch erkennbar, daß die beiden Verkehrsbetriebe den Fahrgast zunehmend als Kunden und nicht nur als Beförderungsfall ansehen und daß Veranstaltungen dieser Art doch sehr zum gegenseitigen Verständnis beitragen können.

IGEB

aus SIGNAL 7/1990 (Oktober 1990), Seite 11-12