Schienenverkehrswochen 1990
1. Dez 1990
Eine verkehrskundliche Exkursion nach Potsdam stand am 23. September auf dem Programm der Berliner Schienen-Verkehrs-Wochen. Treffpunkt war der Bahnhof Potsdam Stadt. Die Exkursion begann mit einer Straßenbahnfahrt über nahezu alle Strecken des Potsdamer Netzes. Dabei wurde den Teilnehmern Wissenswertes und Interessantes über dieses wichtigste unter den öffentlichen Verkehrsmitteln der Berliner Nachbarstadt vermittelt. Die Straßenbahn hat an den Leistungen des Potsdamer ÖPNV einen Anteil von über 80%.
Die Struktur des Straßenbahnnetzes wurde seit der Anlage um die Jahrhundertwende nicht wesentlich verändert. Hinzugekommen sind jedoch die Strecken zum Hauptbahnhof und zum Wohngebiet Stern; letztere soll noch um einige Kilometer nach Drewitz verlängert werden. Alle Neubaustrecken werden - wenn möglich - auf eigenen Fahrwegen und für eine Höchstgeschwindigkeit von mindestens 60 km/h trassiert.
Eine große Aufgabe ist jedoch zunächst die Rekonstruktion des vorhandenen Netzes. Engpässe an Material und Arbeitskräften haben in der Vergangenheit zu zahlreichen Langsamfahrstellen geführt, die jetzt schrittweise beseitigt werden. Der Austausch fehlerhafter Betonschwellen gehört nun ebenso zur Aufgabe der Gleisarbeiter wie das lükkenlose Verschweißen der Schienen. Erfreulich ist, daß bei all diesen Bauarbeiten der Fahrgast nicht vergessen wird. Statt der Einrichtung von Ersatzverkehren mit Bussen werden bei Gleissperrungen auch aufwendige Betriebsabläufe wie z.B. Sägefahrten in Kauf genommen, um den Fahrgästen ein Umsteigen zu ersparen.
Für den Betrieb problematisch sind die zu geringen Werkstattkapazitäten. Ein schon jahrelang diskutierter neuer Betriebshof kam wegen der widrigen Umstände nie zustande; die Instandhaltung der Fahrzeuge war und ist ein ständiges Problem. Zum Einsatz kommen in Potsdam übrigens ausschließlich Tatra-Wagen - z.T. Fahrzeuge, die für das Ost-Berliner Netz bestellt und dort aber wegen der unzureichenden Stromversorgung in Pankow und Köpenick nie eingesetzt werden konnten.
Neu sind ernsthafte Probleme als Folge des stark angestiegenen Autoverkehrs. Auf vielen Strecken werden die Bahnen dadurch behindert, und Ampelvorrangschaltungen existieren auch nicht. Lediglich an der Humboldtbrücke, wo beim Abbiegen in die Berliner Straße Verzögerungen von mehreren Minuten entstehen, ist eine solche im Gespräch. Der für die Straßenbahn zuständige Verkehrsdirektor Volkmar Wagner, der auch die Exkursion leitete, ist dennoch entschlossen, dieses fahrgast- und umweltfreundliche Verkehrsmittel in Potsdam zu erhalten und nach dem Vorbild anderer Städte (Zürich, Würzburg, Freiburg, ...) zu einem der Auto-Konkurrenz standhaltenden Angebot weiterzuentwickeln.
Bei einem Zwischenhalt am Potsdamer Hbf wurde eine kurze Besichtigung dieses Bauwerks angeboten. Vorläufer des Hautptbahnhofs war der unscheinbare Ausflugshaltepunkt Potsdam Süd an der Strecke Wildpark - Jüterbog. Mit dem Bau der Berliner Mauer bekam der an der Kreuzung mit dem Außenring entstandene Turmbahnhof seine volle Bedeutung als Potsdamer Hauptbahnhof, an dem alle den Westteil Berlins umfahrenden Züge halten konnten. Die mit dem Bau des Bahnhofs verbundene Schließung des Außenrings zwischen Saarmund und Golm war übrigens nicht ganz einfach, denn der Templiner See mußte an einer ca. 1,6 km breiten Stelle überquert werden. Die Erstellung des dafür benötigten Damms konnte Wegen der schwierigen Untergrundverhältnisse nicht planmäßig abgeschlossen werden. Da die Eröffnungsfahrt auf dem Außenring jedoch nicht verschoben werden durfte, konnte die Fahrt nur bis an den Templiner See heran durchgeführt werden - der nicht fertiggestellte Damm wurde der Politprominenz verschwiegen ...
In Babelsberg schloß sich eine O-Bus-Fahrt an, die die Besonderheiten dieses in Deutschland überwiegend abgeschafften Verkehrsmittels aufzeigte. Die Vorteile gegenüber Diesel-Bussen: hohe Laufruhe, keine Abgase und ein hohes Beschleunigungsvermögen. Probleme gibt es in Potsdam jedoch bei den Fahrleitungsweichen und bei Baustellen, weil die O-Busse nicht ohne weiteres umgeleitet werden können. Dennoch haben es die Potsdamer “O-Busser” über Jahrzehnte hinweg geschafft, den Betrieb trotz großer Probleme, zu denen auch die unzureichenden Möglichkeiten im Betriebshof gehören, aufrecht zu erhalten.
Die O-Bus-Fahrt endete am Bahnhof in Drewitz. Von dort ging es weiter nach Rehbrücke mit einem Personenzug der DR. Eigens für die Exkursionsteilnehmer ließ die DR dann den Schnellzug D 302 aus München im Bf. Rehbrücke halten und ermöglichte so eine Mitfahrt nach Berlin, bei Bedarf bis Berlin Hbf.
PRO BAHN, Landesverband Berlin
aus SIGNAL 9/1990 (Dezember 1990), Seite 15-16