Schienenverkehrswochen 2012
Bericht vom Fahrgastsprechtag Straßenbahn
20. Dez 2012
Eröffnet wurde die Reihe der Berliner Fahrgastsprechtage bei den 29. Deutschen Schienenverkehrs-Wochen am 13. September 2012 mit der BVG-Straßenbahn. In die gut besuchte Kantine des BVG-Betriebshofs Lichtenberg waren Jürgen Sember, Betriebsleiter der Straßenbahn, und sein Sachgebietsleiter Planung, Rainer Döge gekommen. Moderiert wurde der Abend von Holger Mertens vom Berliner Fahrgastverband IGEB.
Das derzeit wichtigste Bauvorhaben ist zweifellos die neue Tramstrecke zum Hauptbahnhof. Auf den von der BVG gezeigten Lageplänen wurde die beengte Situation des Baufeldes an der wichtigen Kreuzung Invaliden-/Chausseestraße deutlich, unter der zusammen mit dem Straßenbahnneubau auch die Tunneldecke der U 6 saniert und neu abgedichtet werden muss. Deshalb sollte die Linie M 6 ab Dezember 2012 nicht mehr zur Endschleife Schwartzkopffstraße fahren – und damit dort dauerhaft verschwinden, denn dieser Abschnitt wird nach Ende der Bauarbeiten stillgelegt. Auf Nachfrage aus dem Publikum wurde eine
würdige Verabschiedung dieser Strecke mit Sonderfahrten in Aussicht gestellt.
Wenn die Bauphase 1 auf dem Südteil der genannten Kreuzung abgeschlossen ist, sollten – so war geplant – die Gleise für eine Teilinbetriebnahme verlegt werden, so dass die über die Oranienburger Straße geführte M5 zum Fahrplanwechsel im Dezember 2013 als erste Straßenbahnlinie den Hauptbahnhof erreicht hätte. Schon bei der Vorstellung dieser Planung zeigte sich Herr Sember skeptisch – und er sollte leider Recht bekommen. Es wurden sowohl der Beginn der Sperrung (auf Februar 2013) als auch die Dauer der ersten Bauphase neu festgelegt, so dass nun keine Teil-, sondern eine verspätete vollständige Inbetriebnahme geplant ist – entweder 2014 oder gar erst 2015. Zur Erinnerung: Geplant war die Inbetriebnahme der Neubaustrecke zur Eröffnung des Hauptbahnhofs im Mai 2006!
Doch es gab auch Positives. Wie man mit kleinen Baumaßnahmen gute Wirkungen erzielt, wurde am Beispiel der Linie 12 mit ihren neuen Kaphaltestellen in der Pappelallee zeigt. Nachdem der Senat und seine Dienststellen jahrelang das Problem leugneten, werden Kaphaltestellen jetzt endlich gefördert. Zuerst soll der Abschnitt der M 5 in der Hohenschönhauser und Konrad-Wolf- Straße verbessert werden.
Eine große Baustelle im Jahr 2013 gibt es mit dem weiteren Umbau des Roederplatzes, bei dem die Haltestellen näher an die Kreuzung rücken.
Manchmal entstehen bei solchen Umbauplanungen ungeahnte Interessengegensätze wie zum Beispiel in Friedrichshagen, wo der Stadtbezirk Treptow-Köpenick der Straßenbahn ihren eigenen Gleiskörper in der Bölschestraße wegnehmen will und außerdem die jetzt zusammengefassten Haltestellen über die gesamte Kreuzung am Bahnhof Friedrichshagen verstreuen möchte. Die BVG hat sich zum Glück nicht auf so einen Verlust eingelassen, obwohl die Kreuzung samt Lichtsignalanlage (LSA) am S-Bahnhof auch in ihrer heutigen Form ein Ärgernis für die Straßenbahn und ihre Fahrgäste darstellt.
Überhaupt sind die mangelnden Tram- Bevorrechtigungen an Ampeln ein stetiges Ärgernis, auch die Qualitätssicherungsvereinbarung zwischen Verkehrslenkung Berlin (VLB) und BVG brachte keine Besserung. Trotzdem bleibt der Verkehrsbetrieb nicht untätig und hat sich eine Software zur Messung der Fahrzeitverluste bei der Straßenbahn zugelegt, um in kommenden Verhandlungen konkrete Daten über die Mehrbelastung zeigen zu können.
Mit der Verkehrssteuerung hängt auch die Fahrgastinformation an den Haltestellen zusammen, die ebenfalls immer wieder fehlerhaft ist. Die BVG gesteht ein, dass gerade Abweichungen vom Regelbetrieb und dabei speziell Umleitungen nicht richtig abgebildet werden, obwohl gerade im Störungsfall die Echtzeitanzeigen von „Daisy“ am wichtigsten sind. Hier wirkt sich auch die mangelnde personelle Besetzung der Leitstelle aus, wo die Mitarbeiter bei Störungen mit der Abwicklung des Betriebes ausgelastet sind und niemand Zeit für die Dateneingabe zu den Haltestellen hat. Dies soll sich 2014 mit der Einrichtung einer neuen, großen „Leitstelle Oberfläche“ für Straßenbahn und Bus ändern, in der extra Arbeitsplätze nur für die Fahrgastinformation eingerichtet werden.
Aber auch in den Fahrzeugen tut sich etwas; leider nicht so viel wie geplant. Das Umbauprogramm der ersten Niederflurgeneration GT6 musste wegen Geldmangel gekürzt werden, die Modernisierung der Fahrgasträume wird ausgesetzt, und nur die in die Jahre gekommene und mit Ersatzteilproblemen behaftete Bordelektronik samt Fahrgastinformation im Wagen wird erneuert. Da die umgerüsteten Fahrzeuge nicht mehr mit den alten kuppelbar sind, erhalten sie neue, um 500 erhöhte Wagennummern. Die schon vom Flexity bekannten breiten Bildschirme werden auch hier zum Einsatz kommen, aber an der von der IGEB bemängelten Darstellungsform auf dem Monitor wird sich zunächst nichts ändern, denn dazu müsste Geld für neue Software ausgegeben werden. An solchen Beispielen lässt sich die Unterfinanzierung der BVG deutlich ablesen.
Immerhin geht die Auslieferung der neuen Niederflurgeneration Flexity nach den anfänglichen Verzögerungen nun planmäßig voran. Nach den 40 m langen Einrichtungswagen kommen nun die 30 Meter kurzen Zweirichter, die zuerst auf der M 10 fahren sollen. Die neuen Fahrzeuge setzen nun auch GT6 frei, die ab dem Fahrplanwechsel im Dezember 2012 in Köpenick auf den Linien 60 und 68 zum Einsatz kommen – eine erfreuliche Überraschung.
Obwohl die Ära der Tatrawagen nun absehbar zu Ende geht, kamen Fahrgastbeschwerden über den Einsatz dieser Fahrzeuge nach Hohenschönhausen auf einem der beiden Äste der M 4. Das war überraschend, denn im Gegensatz zu vielen anderen Strecken, die noch völlig auf ein Niederflurangebot verzichten müssen, ist dieses Neubaugebiet gut mit barrierefreien Straßenbahnen erschlossen. Trotzdem reagierte die BVG schnell, und Herr Sember kündigte den Einsatz einzelner Niederflurzüge auf der M 4 zur Zingster Straße schon für den folgenden Montag (17. September) an – und hielt sein Versprechen.
Nach der Großserie Flexity, die zur Tatra- Ablösung nötig ist, möchte die BVG künftig kleinere Serien in kontinuierlicher Lieferfolge erwerben. Dadurch umgeht man das Problem, dass zu viele Wagen gleichzeitig zu den vorgeschriebenen Turnusuntersuchungen müssen oder an Lieferfehlern und „Kinderkrankheiten“ leiden. Auch das schnelle Veralten der immer komplexer werdenden Bordelektronik betrifft dann nicht mehr so große Flottenteile gleichzeitig.
Fazit eines interessanten, kurzweiligen Abends: Die Planungen und Diskussionen um neue Strecken und bessere Fahrzeuge sind wichtig, aber noch wichtiger ist die Finanzierung eines ausreichenden Nahverkehrsangebots. Angesichts der erfreulich steigenden Fahrgastzahlen muss die BVG in die Lage versetzt werden, ihr Angebot entsprechend auszuweiten. Für dieses Ziel müssen sich Fahrgäste und Verkehrsunternehmen gleichermaßen einsetzen.
IGEB Stadtverkehr
aus SIGNAL 6/2012 (Dezember 2012), Seite 13-14