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S-Bahn-Jahrestage: Kein Anlaß zum Feiern

8. Januar und 1. Februar. Diese zwei Jahrestage aus den Zeiten des geteilten Berlin bieten Anlaß zum Rückblick, nicht aber zum Feiern. Im Gegenteil.


IGEB

1. Jan 1992

Am 8. Januar 1984 wurde die S-Bahn im Westteil Berlins von der Deutschen Reichsbahn an den Senat übergeben, der als erstes 50 der ohnehin nur noch 71 befahrenen Kilometer stillegte und den kläglichen Rest (Anhalter Bahnhof - Lichtenrade sowie Friedrichstraße - Charlottenburg) der BVG anvertraute. Zwar hat die BVG, besonders in der schwierigen Anfangszeit, beachtliches geleistet, doch im Laufe der Jahre wurden viele Hoffnungen enttäuscht, was nicht zuletzt der Gewerkschaft ötv zu verdanken ist. Diese sah und sieht das “Findelkind” S-Bahn vor allem als Belastung der BVG und nicht als Chance oder gar Bereicherung an.

Am 1. Februar 1985 wurde die seit dem Herbst 1980 stillgelegte Wannseebahn nach kaum einem Jahr Bauzeit und trotz zuvor extremer Kälte wieder in Betrieb genommen. Seither - also innerhalb von 7 Jhren - kam nicht ein einziger Meter hinzu! Noch immer ist mehr als die Hälfte des S-Bahn-Netzes im Westteil Berlins stillgelegt. Ursache dafür war und ist eine völlig verfehlte Senatspolitik, die die Existenzberechtigung vieler S-Bahn-Strecken anzweifelte und die vor allem der Modernisierung der befahrenen Strecken absoluten Vorrang vor der Wiederinbetriebnahme stillgelegter einräumte.

Daß die als Begründung für diese Politik angeführten Sachzwänge oft nur vorgeschoben waren, zeigt das Beispiel der Stadtbahnsanierung. Nach der grundlegenden Erneuerung des Abschnittes Savignyplatz - Zoo bis zum Herbst 1989 (mit ganztägigem 20-Minuten-Takt!) sollte unmittelbar danach der Abschnitt Tiergarten - Bellevue folgen. Doch die drastische Verkehrszunahme auf der Stadtbahn als Folge der Maueröffnung verbot eine Fortführung der Arbeiten in der geplanten Weise. Die grundlegende Erneuerung weiterer Abschnitte der Stadtbahn wurde auf die Mitte der 90er Jahre verschoben. Dies zeigt, daß der Bauplanung in den 80er Jahren nicht unveränderliche Sachzwänge, sondern veränderbare Sachentscheidungen zugrunde lagen, die aber als Zwänge dargestellt wurden, um der Diskussion über die richtigen Prioritäten (erst Wiederinbetriebnahme oder erst Modernisierung) auszuweichen.

Doch während der Senat in den 80er Jahren neben zunehmender Kritik auch noch Verständnis für seine Prioritätensetzung fand, ist es damit seit der Maueröffnung im November 1989 endgültig vorbei. Beispielhaft soll dies anhand des nachfolgenden Auszugs aus einem Artikel in der Ausgabe 11/91 der Bundesbahn-Zeitschrift “Blickpunkt" gezeigt werden:

“Unmittelbar nach der Maueröffnung ermöglichte die Deutsche Reichsbahn wieder den durchgehenden S-Bahn-Verkehr über den Bahnhof Friedrichstraße. Seitdem erlebt die S-Bahn auf der Stadtbahnstrecke einen unvergleichlichen Boom. Das blieb bislang der einzige wirkliche “Lückenschluß', denn die Öffnung von seit 1961 geschlossenen Bahnhöfen und der Behelfsbahnsteig in Bornholmer Straße verdienen nicht diese Bezeichnung ... Die Deutsche Reichsbahn versuchte, dem Verkehrsbedarf provisorisch zu entsprechen, indem sie mit ihren bescheidenen Möglichkeiten beispielsweise einen Wendezug zwischen Potsdam Hbf und Berlin-Wannsee sowie zwischen Berlin-Charlottenburg und Nauen einsetzte Sonst aber erwecken die Verkehrsverbindungen in der Öffentlichkeit den Eindruck, als bestünde die Mauer fon. Und das bei der großen Zahl der Pendler, die täglich von Ost und Nord nach West und Süd wechseln!

Was gebaut wird, dauert den Berlinern und den Bewohnern der umliegenden Region zu lange. Während bei den Strecken von Thüringen nach Hessen und Bayern auch unerwartete Schwierigkeiten gemeistert wurden, gibt es in Berlin nur Ankündigungen. So verschob sich die Inbetriebnahme der Strecke Frohnau - Hohen Neuendorf, die eine schnelle Verbindung vom Stadtzentrum nach Oranienburg schüfe, vom Herbst 1991 bis ins nächste Jahr."

Dem ist nichts hinzuzufügen.

IGEB

aus SIGNAL 10/1991 (Januar 1992), Seite 4