Aktuell
1. Aug 1992
Dieser Bericht enthält die Zusammenfassung und Auswertung der Ergebnisse zum Ausbau des Berliner Eisenbahnnetzes. Weiterer Bestandteil des Gesamtberichtes an den Bundesminister für Verkehr ist der "Technische Bericht" zum Vergleich der Tunnelvarianten über Bahnhof Friedrich-Straße und Lehrter Bahnhof und über die damit im Zusammenhang stehenden S-, U-Bahn und Straßenplanungen, der in folgende Einzelberichte gegliedert ist:
Die inhaltlichen Aussagen sind zwischen der Deutschen Reichsbahn und dem Senat von Berlin abgestimmt. Stand 21.04.1992
1. Aufgabenstellung
2. Vorgaben und Randbedingungen
2.1 Ausgangssituation
2.2 Abgrenzung des Untersuchungsraumes
2.3 Berücksichtigung des Güterverkehrs
2.4 Untersuchungen zur Eisenbahnkonzeption
Berlin
3. Vergleich Achsenkreuzmodell -
Ringmodell
4. Variantenvergleich des Nord-Süd-Tunnels
4.1 Problematik Parlamentsbereich
Spreebogen
4.2 Ergebnisse des Technischen Berichts
5. Darstellung Pilzkonzept und
Vergleich mit dem Ringkonzept
6. Bahnplanung
6.1 Infrastuktur
6.2 Verkehrsmengen und Bahnhofsbelastungen
6.3 Betriebsprogramme
7. Verkehrserschließung
7.1 S-Bahn-Planung
7.2 U-Bahn-Planung
7.3 Straßenbahnplanung
7.4 Straßenverkehrsplanung
7.5 Zusammenhang Planung Spreebogen
8. Wechselbeziehung Bahnplanung -
Stadtentwicklung
8.1 Bahnhofsgestaltung und Städtebau
8.2 Stadtplanung
8.3 ökologische Belange
Kap. 6 bis 8 finden Sie im nächsten SIGNAL
In diesem Bericht werden auf der Grundlage der bisher vorliegenden Untersuchungen zum Wiederaufbau des Eisenbahnnetzes in Berlin alle Fakten, Argumente und Ergebnisse ausgewertet, zusammengefaßt und dargestellt. Ziel ist es, damit eine zwischen der Deutschen Reichsbahn und dem Senat von Berlin abgestimmte Eisenbahnkonzeption für Berlin vorzulegen.
Zur Verwirklichung des von allen Beteiligten als Zielvorstellung akzeptierten Achsenkreuzmodells wurden die Prioritäten zum Ausbau des Eisenbahnnetzes in Berlin unter zeitlichen (Bauablauf) und finanziellen (Mittelabfluß) Aspekten neu geordnet. Hierzu wurde das Pilzkonzept als eigenständige funktionsfähige Ausbaustufe entwickelt. Die verkehrlichen, betrieblichen und infrastrukturellen Zusammenhänge des Pilzkonzeptes werden in diesem Bericht beschrieben und mit denen des Ringkonzeptes verglichen.
Neben diesen bahnplanerischen Aspekten werden im Zusammenhang mit den Trassenvarianten des Nord-Süd-Fernbahntunnels die für das Eisenbahnkonzept relevanten Planungen des ÖPNV und des motorisierten Individualverkehrs (MIV), Fragen der Bahnhofsgestaltung und der Stadtentwicklung sowie ökologische Belange in ihrer wechselseitigen Beeinflußung dargestellt.
Im Technischen Bericht werden die für das Achsenkreuzmodell untersuchten Varianten des Nord-Süd-Fernbahntunnels über den Lehrter Bahnhof bzw. über den Bahnhof Friedrichstraße verglichen. Außerdem wird nachgewiesen, daß beide Varianten bautechnisch machbar sind.
Gemäß der Aufgabenstellung werden die ÖPNV- und die Straßenplanungen im Spreebogen immer im planerischen Zusammenhang mit der Fernbahntrasse über Lehrter Bahnhof untersucht. Bei der Gesamtbeurteilung der sachlichen und zeitlichen Abhängigkeiten zwischen Verkehrsplanung und Städtebauplanung für den Parlamentsbereich ist zu beachten, daß ein gleichwertiger Straßen- und ÖPNV-Anschluß für diesen Bereich auch notwendig wird, wenn die Fernbahntrasse über Bahnhof Friedrichstraße geführt wird. Die Situation im Spreebogen würde sich dadurch nur unwesentlich entspannen. Eine bautechnische Planung hierfür wurde im Rahmen dieser Untersuchung nicht erstellt, da sie für die Eisenbahnkonzeption Berlin nicht von Belang ist.
Berlin entwickelt sich durch seine wachsende Bedeutung als Hauptstadt und Regierungssitz zu einem der größten Verkehrsknoten im vereinten Deutschland und im zusammenwachsenden Europa. Durch die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit wird ein bedeutender Schritt zur Verbesserung der Anbindung Berlins an das nationale und europäische Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn getan. Mit vier von den insgesamt neun Verkehrsprojekten Schiene werden die direkten Zulaufstrecken nach Berlin verbessert, von weiteren drei Projekten wird Berlin indirekt profitieren.
Diese Maßnahmen auf den Korridoren im großräumigen Netz erfordern zwangsläufig ihre Ergänzung im Eisenbahnknoten Berlin. Dessen vorhandene Bahnanlagen entsprechen weder in ihrer Netzstruktur noch in ihrem technischen Zustand den neuen Anforderungen. Das bestehende Eisenbahnnetz in Berlin ist geprägt durch die politisch bedingte Teilung der Stadt. Im Westteil der Stadt ist das Bahnnetz auf den Zulaufstrecken ins Umland weitgehend unterbrochen mit Ausnahme der Strecken, auf denen die ehemaligen Transitzüge in Richtung Westen verkehrten, und der Stadtbahn in den Ostteil der Stadt. Die verbliebenen Anlagen sind gegenüber dem ursprünglichen Zustand teilweise erheblich reduziert und in einem mangelhaften Zustand. Im Ostteil der Stadt wurden Strecken und Bahnhofsanlagen zwar ausgebaut, aber vor allem zur Umfahrung von Berlin (West) und gemäß den Erfordernissen, die sich aus den Möglichkeiten der Einbindung dieser Strecken in das Gesamtnetz der DR ergaben.
In diesem Zustand kann das bestehende Netz den Anforderungen der Stadt Berlin nicht gerecht werden. Aus dieser Sicht ist ein erheblicher Teil der Aufwendungen zum Ausbau des Knotens Berlin als Nachholbedarf anzusehen, der notwendig ist, um einen den heutigen Bedingungen entsprechenden funktionsfähigen Zustand wiederherzustellen. Damit wird der Eisenbahnknoten Berlin in seiner Kapazität mit anderen Knoten im Netz der DR und DB gleichgestellt.
Die räumliche und funktionale Verflechtung des Eisenbahnverkehrs erfordert es, Konzepte und Planungen sowohl in partiellen Wechselwirkungen als auch in großräumigen Zusammenhängen zu analysieren. Andererseits müssen zur Quantifizierung von Lösungen überschaubare und bewertbare Teilbereiche abgegrenzt werden. Aus diesem Zusammenhang wurde für die Untersuchungen zur Eisenbahnkonzeption Berlin der Einzugsbereich räumlich und funktional entsprechend dem speziellen Untersuchungszweck unterschiedlich festgelegt.
Die Eisenbahnkonzeption für Berlin kann nicht ausschließlich aus den Anforderungen und Vorstellungen der Stadt Berlin entwickelt werden. Aus der Bedeutung des Eisenbahnknotens für die gesamte Region müssen die Belange Brandenburgs, vor allem die Interessen der Landeshauptstadt Potsdam, in angemessener Weise Eingang in die Ergebnisse finden.
Da die Struktur des Netzes im Umland durch die vorhandenen Strecken unveränderbar vorgegeben ist, müssen diese Anforderungen vor allem bei der Angebotsgestaltung, also bei der Planung der Linien, Zughalte und Fahrplantakte berücksichtigt werden. Für die Planung des Regionalverkehrs erstreckt sich der Untersuchungsraum auf die gesamte Region Berlin unter Einschluß der angrenzenden Mittelzentren. Aus Brandenburger Sicht sollen nicht nur Linien radial auf Berlin ausgerichtet sein. Zur Erschließung des ländlichen Raumes und zur Verflechtung der Mittelzentren in der Region sind Tangentialverbindungen von gleichrangiger Bedeutung.
Für die Infrastrukturplanung des Eisenbahnknotens Berlin wird der Untersuchungsraum durch den Berliner Außenring (BAR) begrenzt. Diese Abrenzung steht in Übereinstimmung zu den Korridoruntersuchungen für die Verkehrsprojekte Schiene Deutsche Einheit und zur Bundesverkehrswegeplanung (BVWP). Sie wurde daher für alle Maßnahmenplanungen und Kostenermittlungen in der Eisenbahnkonzeption Berlin übernommen.
Die Modelle und Konzepte unterscheiden sich nicht in der Nutzung der Zulaufstrecken vom Berliner Außenring bis zum Innenring. Daher kann sich die Diskussion über den Vergleich der einzelnen Modelle, Konzepte und deren Varianten auf den Streckenbereich einschließlich des Berliner Innenringes (BIR) und die Nutzung und Gestaltung der dortigen Bahnanlagen und Strecken beschränken.
Zum Güterverkehr liegen für den Eisenbahnknoten Berlin konzeptionelle Aussagen zur Nachfrageentwicklung, Standortbestimmung, Anlagennutzung und zu Bedienungsmodellen vor. Obwohl die Detailplanungen zur Infrastruktur des Güterverkehrs nicht so präzisiert sind wie beim Personenverkehr, kann davon ausgegangen werden, daß mit den Anlagen im Berliner Eisenbahnnetz die Güterverkehrsbedienung auch bei einer Nachfragesteigerung bewältigt werden kann.
Da die zu vergleichenden Modelle und Konzepte im wesentlichen die Strecken- und Liniennetze innerhalb des BIR betreffen, haben hier die Belange des Personenverkehrs eindeutig Priorität. Bei den Betriebsanalysen wurde berücksichtigt, daß für die verbleibenden Güterverkehrsstandorte am BIR die verkehrliche Bedienung sichergestellt sein muß.
In den folgenden Gutachten, Untersuchungen und Arbeitspapieren liegen konzeptionelle Aussagen zum Ausbau des Eisenbahnnetzes in Berlin und Brandenburg vor.
Die Ergebnisse und Darstellungen in diesem Bericht basieren weitgehend auf Aussagen in den oben genannten Untersuchungen sowie den Ergebnissen des Technischen Berichtes (TB). Im folgenden Text werden die Berichte in Form von Quellennachweisen entsprechend der o.a. Tabelle genannt. Beim Technischen Bericht (Teile 1 bis 7) werden jeweils die einzelnen Berichtsteile zitiert.
In der Eisenbahnkonzeption für Berlin der DE-Consult (2), in den Modellvergleichen des IfB zur BVWP (7) und in weiteren Untersuchungen der DR wurde eindeutig nachgewiesen, daß das Achsenkreuzmodell (Abb. 1) entscheidende Vorteile bezüglich des Verkehrswertes und der Stadterschließung, hinsichtlich der Betriebsplanung und Betriebsführung und unter Kostengesichtspunkten gegenüber dem Ringmodell (Abb. 2) aufweist. Daher haben sich die DR und der Senat von Berlin gemeinsam für die Rekonstruktion und den Ausbau des Eisenbahnnetzes in Berlin entsprechend diesem Modell entschieden.
Folgende Aspekte waren für diese Entscheidung maßgebend:
Insgesamt wird im Achsenkreuzmodell die historisch gewachsene Struktur der Eisenbahnanlagen in Berlin mit der Stadtbahn für den Ost-West-Verkehr und einem neuen Nord-Süd-Tunnel als zeitgemäßer und leistungsfähiger Ersatz für die ehemaligen Kopfbahnhöfe, die früher den Verkehr von Norden und Süden bewältigen mußten, wiederhergestellt.
Im Zusammenhang mit den Planungen zum Regierungsviertel wurden Bedenken laut, inwieweit der Nord-Süd-Fernbahntunnel über den Lehrter Bahnhof in Verbindung mit den weiteren Tunneln für S- und U-Bahn und die Straßenverbindung unter dem Tiergarten die zeitliche und technische Realisierung der Bebauung des Parlamentsbereichs im Spreebogen behindern könnte. Vor diesem Hintergrund veranlaßte die DR als Alternative zur Tunnelvariante über Lehrter Bahnhof (Abb. 6) eine Machbarkeitsstudie der Nord-Süd-Verbindung zwischen Papestraße und dem nördlichen BIR über den Bahnhof Friedrichstraße (Abb. 5). Bei dieser Trassenführung kann das Achsenkreuzmodell auch dann realisiert werden, wenn terminliche oder andere faktische Zwänge, die sich aus der Lage des Parlamentsbereichs im Spreebogen ergeben, eine Tunnelführung über den Lehrter Bahnhof endgültig verhindern.
Um die Nutzen und Folgewirkungen der beiden Tunnelvarianten in allen relevanten Kriterien vergleichbar bewerten zu können, wurde auch für die Trasse über Lehrter Bahnhof eine Machbarkeitsstudie unter Einbeziehung des Straßen- und des kombinierten S- und U-Bahn-Tunnels erstellt. Außerdem wurden für beide Bahnhofsstandorte die Anbindung durch ÖPNV und MIV, Möglichkeiten der Bahnhofsgestaltung und Auswirkungen auf die Stadtentwicklung bewertet.
Die Ergebnisse sind in Teilberichten 1 bis 7 des Technischen Berichtes ausführlich dargestellt. Die wesentlichen Aspekte werden im Folgenden zusammengefaßt:
In der Gesamteinschätzung ist festzustellen, daß aus den Aspekten Stadtgestaltung und Stadtentwicklung die Variante Lehrter Bahnhof zu bevorzugen ist. In bahnbetrieblicher Sicht hingegen ist die Entscheidung offen, da die Variante Friedrichstraße gleichwertig beurteilt wird.
Wegen der zeitlichen Abhängigkeit zwischen der Fertigstellung der Tunnelbauwerke und der Bebauung für den Parlamentsbereich Spreebogen wurde gemeinsam von der DR und dem Senat von Berlin eine Ausbaustufe entwickelt (11), in der der Nord-Süd-Tunnel zum frühestmöglichen Zeitpunkt realisiert werden kann. In diesem neuen Lösungsvorschlag, der wegen der Netzstruktur Pilzkonzept" genannt wird (Abb. 3), wird der Bau des Nord-Süd-Tunnels gegenüber der ursprünglichen Ausbaureihenfolge vorgezogen unter Zurückstellung von Anlagen mit geringerem verkehrlichen Nutzen. Zurückgestellt wird inbesondere der Wiederaufbau des südlichen BIR. Das Pilzkonzept ist damit als Ausbaustufe des Achsenkreuzmodells mit neuer Prioritätenreihung zu verstehen.
Gemäß der ursprünglichen Planung waren folgende Phasen zum Ausbau der Strecken und Bahnhöfe in Berlin vorgesehen, und zwar abhängig von der Entscheidung über das Netzmodell:
Bei dieser Ausbaureihenfolge war in der Phase 2 der Wiederaufbau des BIR vorgesehen, in der Phase 3 sollte der neue Nord- Süd-Tunnel realisiert werden.
Aus den Detailuntersuchungen zur BVWP zeichnete sich ab, daß aus Gründen des Finanzbedarfs und des Zeitablaufs die Variante Lehrter Bahnhof nicht zu realisieren ist und damit beim Achsenkreuzmodell nur die Variante Friedrichstraße übrig bleibt.
Der Vergleich zwischen Pilzkonzept und Ringkonzept (Abb. 4) führt zu folgenden Ergebnissen:
Im Pilzkonzept ist der weitere Ausbau der zurückgestellten Infrastukturmaßnahmen zu einem späteren Zeitpunkt (Planstufe 2, vgl. Kapitel 6.1) möglich, falls dies aufgrund des steigenden Verkehrsaufkommens notwendig und finanzierbar ist. Die Entscheidung, ob diese Maßnahmen langfristig zwingend erforderlich sind, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht verbindlich möglich. Der Planfall Stufe 2 dient zur verbesserten dezentralen Bedienung des Stadtgebietes im Regionarverkehr und zur Ergänzung der Netzstruktur. Hierfür fehlt jedoch bisher eine abgesicherte Datenbasis.
Eine Festlegung auf die Realisierung des Planfalls Stufe 2 ist zum jetzigen Zeitpunkt aber auch nicht erforderlich, wenn eine Entscheidung für das Pilzkonzept getroffen wird. Das Pilzkonzept ermöglicht nämlich einen unproblematischen Weiterbau. Sollte dieser jedoch aus finanziellen oder anderen Gründen unterbleiben, so steht trotzdem auch für den langfristigen Bedarf ein leistungsfähiges Streckennetz zur Verfügung, das zumindest im Fernverkehr ein verkehrlich zufriedenstellendes Angebot sicherstellt. Für diesen Fall bleibt der Ausbauzustand des Knotens Berlins wie im Pilzkonzept bestehen.
Bei der Realisierung des Ringkonzeptes ist die Ausbaustufe als Zielnetz nicht akzeptabel, da die wesentlichen Mängel hinsichtlich der Netzkapazität und Angebotsqualität nicht beseitigt werden können. Einzelheiten, die zu dieser Bewertung des Pilzkonzeptes geführt haben, werden in den folgenden Kapiteln 6 bis 8 behandelt.
Die Kapitel 6 bis 8 können Sie im nächsten SIGNAL (Heft 7/92 ) lesen.
Deutsche Reichsbahn
Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe
aus SIGNAL 6/1992 (August 1992), Seite 4-10