Planung und Bauten

Für die Presse schon befahrbar: Der S-Bahn-Südring


IGEB

1. Aug 1992

Am 9. Juli lud Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) zu einer Besichtigung der S-Bahn-Baustellen am Südring. Ausführlich wurde über den Baufortschritt und den gewaltigen Umfang der Arbeiten berichtet. Interessanter ist aber bisweilen das, was nicht gesagt wird. So war es auch dieses Mal.

Beispiel 1: die neue Überführung über die Niemetzstraße in Neukölln. Für 7 Mio. DM wird hier ein neues Verzweigungsbauwerk errichtet, über das später Züge nach Sonnenallee - Treptower Park ebenso wie nach Köllnische Heide - Baumschulenweg fahren Können. »Da schlägt dem Brückenbauer das Herz höher«, kommentierte der für Brückenbau (und -abräumung) zuständige Abteilungsleiter. Nicht erwähnt wurde, daß die imposante Größe dieses Bauwerks unter anderem auch daher rührt, daß ganz nebenbei die Niemetzstraße von 13 auf 23 Meter verbreitert wird. Hier wird also eine Verbesserung für den Autoverkehr aus dem Bahnbauetat finanziert.

Foto: B. Strowitzki
Per Ferkeltaxe über den S-Bahn-Südring mit Halt am S-Bf. Heidelberger Platz (unten). Foto: B. Strowitzki

Beispiel 2: S- und U-Bf. Hermannstraße. Daß die geplante Anlage der Aufzüge und Zugänge am Bahnhof Hermannstraße problematisch ist, gaben die Beamten immerhin zu. Aber wer genauer hinsieht, stellt verwundert fest, daß die Fahrgäste vor allem am Südausgang des geplanten U-Bahnhofs mit verwinkelten Gängen und unnötig langen Wegen vorlieb nehmen sollen, weil man den Autoverkehr nicht beeinträchtigen möchte (s. Seite 14 ).

Beispiel 3: S-Bf. Papestraße. Unter den sieben Stationen der Besichtigungstour war ausgerechnet dieser nicht enthalten. Kein Wort war zu hören, daß hier nun doch durch eine provisorische Weiternutzung des alten Bahnsteigs die ständige Planungsverzögerung aufgefangen werden soll, was der Gutachter Prof. Endmann dem Senat schon vor über zwei Jahren empfohlen hatte. In der größten Not reicht manchmal eben auch der alte Bahnhof. Aber natürlich ist es viel interessanter, Baustellen vorzuführen, wo große Löcher gegraben und große Mengen Beton vergossen werden.

Beispiel 4: S-Bf. Schöneberg. Keine Erläuterung gab es auch, warum die Bauarbeiten am S-Bf. Bahnhof Schöneberg aus "Aufschwung Ost-Mitteln" finanziert werden. Aus welchem Topf wird dann wohl die Sanierung des Bahnhofs Ostkreuz finanziert werden?

Von Heidelberger Platz nach Westkreuz konnte die Fahrt sogar schon auf den S-Bahn-Schienen stattfinden. Dafür hatte die Reichsbahn eigens einen LVT (»Ferkeltaxe«) herangefahren. So konnte man im Vorbeifahren den neuen Bahnhof Halensee bewundern. Es ist traurig, daß es bei so aufwendigen Baumaßnahmen nur dazu gereicht hat, statt des viergleisigen Verzweigungsbahnhofs, der bis 1989/90 hier zu finden war, einen zweigleisigen Bahnhof mit einem abzweigenden Überführungsgleis wiederherzustellen. Angeblich wird eine Verbindung von Halensee nach Charlottenburg nur für Leerfahrten, nicht aber für den Fahrgastverkehr benötigt.

Bei der Besichtigung des neuen Stellwerks Westkreuz wurde das Reizwort "EZS 800" überhaupt nicht mehr erwähnt. Möge diese gescheiterte Zugsicherungstechnik in Frieden ruhen ...

Natürlich ist alles etwas teurer geworden als geplant. Von den 1987 veranschlagten 387 Mio DM (Westend - Sonnenallee) redet ja schon gar keiner mehr, aber daß aus den 1989 bei Baubeginn genannten 585 inzwischen 724 Mio DM geworden sind, hegt nicht nur an dem neu dazu gekommenen Abzweig nach Baumschulenweg. Denn auch ohne diesen sollen die Kosten nun 643 Mio DM betragen! Folglich mußten sich die Senatoren Haase und Nagel wieder einmal auf dem Berliner Verschiebebahnhof betätigen: Die Wiederinbetriebnahme des ersten Abschnittes der Kremmener Bahn (Schönholz - Tegel) wurde von 1992 auf Sommer 1993 verschoben, die Wiederinbetriebnahme des ersten Abschnittes der Anhalter Bahn vom Jahresende 1993 zum Sommer 1994. Zugleich wurde dieser erste Abschnitt Priesterweg - Lichterfelde Süd auf Priesterweg - Lichterfelde Ost verkürzt. Ein Skandal, dem wir noch einen eigenen Artikel widmen werden.

IGEB

aus SIGNAL 6/1992 (August 1992), Seite 13-14