Planung
1. Aug 1993
Sehr geehrter Herr Cramer, vielen Dank für Ihren Text zum Lehrter Zentralbahnhof. Ich teile Ihre Einwände gegen dieses Projekt. Nach meiner Einschätzung ist bei der Finanzlage der Bundesbahn, des Bundes und Berlins nicht damit zu rechnen, daß dieses Projekt ausgeführt wird. Ich favorisiere eine Ringlösung mit einem schrittweisen Ausbau an verschiedenen Stellen. Eine solche Lösung wäre auch finanziell leichter zu verkraften. Soweit um Fernbahntunnel und zum Lehrter Zentralbahnhof.
Ich halte einen ÖPNV-Tunnel unter dem Spreebogengelände für vernünftig. Ob dort die U-Bahn oder die S-Bahn oder beide Systeme fahren sollen, kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall muß dieses Gebiet direkt erschlossen werden, wenn wir den modal split von 80:20 Autoverkehr/Öffentlicher Verkehr in 20:80 umkehren wollen.
Über die Notwendigkeit des Nord-Süd-Straßentunnels unter dem Spreebogen bin ich mir nicht im klaren. Der Bundestag hat diesen Tunnel nicht verlangt. Wir haben allerdings verlangt, daß durch den Spreebogen kein Durchgangsverkehr geleitet wird. Wenn die Berliner nicht in der Lage sind, ihren Nord-Süd-Autoverkehr an anderer Stelle unterzubringen und deshalb einen Tunnel unter dem Spreebogen anlegen, dann ist das ihre Sache, nicht die unsere. Der Straßentunnel wird keine Ausfahrten zum Spreebogen haben, das heißt Bundestag und Bundesregierung werden diesen Tunnel überhaupt nicht benutzen. Unsere Forderung, das Spreebogengelände frei vom Durchgangsverkehr zu halten, ist sicher verständlich und berechtigt. Die Vorstellung, daß Berlin ausgerechnet dort, wo Parlament und Regierung arbeiten, seinen Nord-Süd-Autoverkehr abwickelt, ist absurd.
Ich hoffe, daß wir mit der weiteren Planung gut vorankommen, und mein Bestreben ist es. die für die Arbeitsfähigkeit des Parlaments notwendigen Bauten vorwiegend im Dorotheen-Block unterzubringen, damit wir von den Tunnelbauten unabhängig werden. Für die Arbeitsfähigkeit des Bundestags brauchen wir rund 125.000 m². Etwa ein Drittel davon werden wir im Reichstagsgebäude und in den beiden Gebäuden Unter den Linden unterbringen, ein weiteres Drittel werden wir im Dorotheen-Block bebauen, und das letzte Drittel werden wir außerhalb des Spreebogen-Bereichs anmieten, so wie bisher auch in Bonn.
Peter Conradi
Mitglied des Deutschen Bundestages Bonn, den 14. Juni 1993
aus SIGNAL 6/1993 (August 1993), Seite 18-19