Aktuell
Einstellung (vorerst) verhindert
1. Nov 1993
Mit einem neunwöchigen Sonderfahrten-Marathon hat der Fahrgastverband PRO BAHN zwischen August und Oktober des Jahres den südlichen Abschnitt der als Heidekrautbahn bekannten Strecke zwischen Berlin-Wilhelmsruh und Liebenwalde bzw. Groß Schönebeck mit Personenzugfahrten wiederbelebt. Jeden Sonnabend ging es mit zwei Zügen nach Liebenwalde, der Endstation auf dem westlichen Streckenast. Sonntags konnte ein Ausflug in die Schorfheide vorgenommen werden, denn es wurden zwei Zugpaare nach Groß Schönebeck eingerichtet. Abfahrtspunkt war, wie schon in den vergangenen Jahren, der Bahnübergang am Wilhelmsruher Damm, so daß sich viele Bewohner aus dem benachbarten Märkischen Viertel auch ganz spontan für eine Spritztour per "Ferkeltaxe" entschieden.
Die Fahrt auf dem südlichen Abschnitt vom Märkischen Viertel bis Schönwalde, der regulär nur noch mit Güterzügen befahren wird, führte vorbei an den verträumten Bahnhöfen Berlin-Blankenfelde, Schildow, Schildow-Mönchmühle, Mühlenbeck und Schönwalde (Kr. Bernau). Nach einer gewissen Anlaufzeit entdeckten auch die Bewohner dieser Umlandgemeinden die Heidekrautbahn wieder und stiegen unterwegs zu. Die Fahrtenteilnehmer staunten auch über die ungewohnten Betriebsabläufe. So ist das Einfädeln der vom Märkischen Viertel kommenden Sonderzüge in die Strecke Berlin-Karow - Basdorf an der Ausweichanschlußstelle Asw mit einem Rangieraufwand verbunden, der einige Minuten in Anspruch nimmt, denn der den Triebfahrzeugführer begleitende Rangierer muß per Schlüssel zwei Weichen umstellen, bevor die Fahrt fortgesetzt werden kann.
Das ursprüngliche Fahrtenprogramm sah nur Fahrten nach Groß Schönebeck vor, da es zunächst nur darum ging, die Forderung nach Wiederaufnahme des Personenverkehrs auf dem südlichen Abschnitt zu untermauern. Doch schon während der ersten Sonderfahrten gab es Gerüchte über eine zum "kleinen Fahrplanwechsel" Ende September vorgesehene Betriebseinstellung auf dem Abschnitt Basdorf - Liebenwalde. Den erstaunten PRO BAHNern wurde die Ernsthaftigkeit dieses Gerüchts durch Nachfragen bei der Hauptabteilung Nahverkehr der Rbd Berlin bestätigt. Die Reichsbahndirektion hatte zuvor weder die Öffentlichkeit noch PRO BAHN über diesen Schritt unterrichtet. Selbst die Eisenbahner vor Ort wußten nichts Genaues.
Daraufhin wurde eine sofortige Erweiterung des Sonderfahrtenprogramms beantragt, und ab dem 11. September konnte sonnabends auch der akut bedrohte Ast nach Liebenwalde befahren werden. Gleichzeitig intervenierte PRO BAHN bei Bahnchef Dürr gegen diese Stillegung. Darauf folgte die Entscheidung, daß der Bahnverkehr nach Liebenwalde nicht eingestellt werden darf, bis eine Lösung für den künftigen Betrieb der Strecke gefunden ist. Der Fahrgastverband kündigte an, die Heidekrautbahn notfalls in eigener Regie zu betreiben und verwies auf seinen Selbsthilfebeschluß des Hauptverbandstages vom 18. Januar 1992.
Die Heidekrautbahn ist seitdem zu einem populären Thema in den Medien geworden. In Presse, Funk und Fernsehen wurde häufig berichtet. Vor allem die Berliner wurden so und durch die PRO BAHN-Aktivitäten sensibilisiert. Dies führte auch im Regelverkehr zu einem deutlichen Fahrgastzuwachs, insbesondere auf dem Streckenast nach Liebenwalde.
Dieser Erfolg darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine grundlegende Lösung für die Heidekrautbahn gefunden werden muß. Die Verhältnisse sind bei dieser Bahn nämlich äußerst kompliziert, wie die Landeschefs der PRO BAHN-Verbände Brandenburg und Berlin, Stefan Müller und Gerhard J. Curth, in einem Gespräch mit der Geschäftsführung der Niederbarnimer Eisenbahn AG erfuhren: Die Strecken sind Eigentum dieser NE-Bahn, die wiederum mehrheitlich durch den Hauptaktionär, das Land Berlin, getragen wird. Die Niederbarnimer Eisenbahn AG betrachtet sich jedoch nur als Verwalter der Liegenschaften und möchte Pacht- und Mieteinnahmen kassieren. Einen Bahnbetrieb, wie in den Vorkriegsjahren, möchte sie nicht wieder durchfuhren.
Diesen führt die Deutsche Reichsbahn seit den 50er Jahren durch. Um die Ausgaben für den Betrieb zurückzuschrauben, wurde schon in den letzten DDR-Jahren Personal abgebaut. In jüngster Zeit wurde mit dem Abzug von Stellwerkspersonal und dem Schließen vieler Fahrkartenausgaben der Personalabbau fortgesetzt. Schließlich verzichtete die Reichsbahndirektion auch auf die Zugbegleiter zwischen Basdorf und Liebenwalde, so daß es auf diesem Abschnitt nicht mehr möglich ist, das Fahrgeld zu entrichten und die Fahrgäste zum Schwarzfahren regelrecht genötigt werden! In einem Gespräch mit dem Präsidenten der Reichsbahndirektion Berlin. Herrn Remmert, wiesen die PRO BAHN-Vertreter Müller und Curth auf diesen unhaltbaren Zustand hin. Herr Remmert war überrascht und versprach, der Sache umgehend nachzugehen.
Da es so nicht weiter gehen kann, muß schnellstens eine grundlegende Lösung gefunden werden. Hier ist vor allem die Frage nach einem allseits akzeptierten Trägerschaftsmodells zu klären. Es ist höchste Zeit, daß sich die beteiligten Länder Berlin und Brandenburg sowie die Kreise und Anliegergemeinden nicht nur verbal zur Heidekrautbahn bekennen, sondern aktiv nach Lösungen suchen, wie der Verkehr auch morgen noch durchgeführt werden kann. Diesen Prozeß soll ein in Basdorf gegründeter "Förderkreis Heidekrautbahn" unterstützen. Sowohl die überaus erfolgreichen Sonderfahrten als auch die gut besetzten Regelzüge von Berlin-Karow nach Groß Schönebeck zeigen, daß die Nachfrage nach einem Regionalverkehrsangebot sehr groß ist und die Berliner "ihre" Heidekrautbahn nicht missen möchten.
PRO BAHN
aus SIGNAL 8/1993 (November 1993), Seite 5-7