Nahverkehr
1. Nov 1993
Das von Ihnen übersandte Verkehrskonzept hat Herrn Senator Prof. Heckelmann vorgelegen. Wir gestatten uns einige Anmerkungen zu Ihren die verkehrspolizeiliche Arbeit betreffenden Ausführungen.
Ihre in der Einleitung aufgestellte Behauptung, die Berliner Polizei zeige ein Desinteresse an den Belangen der Fahrgäste und Verkehrsbetriebe und eine "übergroße Toleranz" gegenüber Falschparkern, ist sachlich falsch und bedarf der Richtigstellung. Die Berliner Polizei hat im Jahr 1992 insgesamt 1.359.176 Verkehrsordnungswidrigkeiten für Verstöße im ruhenden Verkehr geschrieben und zusätzlich weit mehr als 100.000 Barverwarnungen erhoben, was - bei gleichem Personalbestand - einer Steigerung von fast 32% gegenüber dem Jahr 1991 entspricht.
Rein statistisch gesehen ist damit 1992 jedes in Berlin im Verkehr befindliche Kraftfahrzeug mehr als einmal polizeilich "erfaßt" worden. Daneben sind 82.850 verkehrsbehindernd parkende Fahrzeuge umgesetzt worden, davon 3.629 aus Bussonderfahrstreifen und eine erhebliche - nicht näher zu beziffernde - Zahl aus Haltestellenbereichen. Für 1993 zeichnet sich eine abermalige Erhöhung dieser Vorgänge ab.
Wegen der erheblichen Zunahme des Falschparkens in zweiter Reihe hat die Polizei gegen dieses Delikt mehrere Schwerpunkteinsätze durchgeführt und wird dies auch weiterhin tun. Dabei genießen Einsätze, die der Flüssigkeit des öffentlichen Personennahverkehrs dienen, immer erste Priorität. Insofern entbehrt Ihre Behauptung, die Polizei hätte die Überwachung von Haltestellen und Busspuren "fast völlig aufgegeben" jeder Grundlage. Im Gegenteil, die "Berliner Bilanz" kann sich - auch im Vergleich zu anderen Städten - sehen lassen und braucht keinen Vergleich zu scheuen.
Tatsache ist, daß es neben einer schwerpunktmäßigen Verkehrsüberwachung an Haltestellen und Busspuren eine enge und gut funktionierende Kommunikation zwischen den öffentlichen Verkehrsbetrieben und der Berliner Polizei gibt. In Berlin werden seit langer Zeit erkannte behindernde Verkehrsverstöße von den Verkehrsbetrieben direkt an die Polizei weitergemeldet, woraufhin umgehend eine freie Kraft zum Ort ensandt wird, um die Verkehrsbehinderung zu beseitigen. Verkehrswidrig in Haltestellenbereichen oder Bussonderfahrstreifen abgestellte Fahrzeuge werden regelmäßig umgesetzt.
Wir hoffen, Ihnen mit unseren Ausführungen deutlich gemacht zu haben, daß uns und der Polizei die von Ihnen aufgezeigte Problematik sehr wohl bekannt ist. Wir wollen auch nicht verhehlen, daß es wegen des bekannten Kräftemangels innerhalb der Polizeibehörde auch gewisse Defizite in der Verkehrsüberwachung gibt, um deren Beseitigung wir uns alle gemeinsam bemühen müssen. Ursache für diese Defizite sind jedoch keinesfalls Interesselosigkeit und zu große Toleranz bei der Polizei, sondern die beständig wachsende Vielzahl der von dieser Behörde zu bewältigenden Aufgaben bei gleichzeitiger Stagnation des Personalkörpers.
Wir versichern Ihnen jedoch, daß wir und die Polizei den von Ihnen vorgetragenen Belangen auch weiterhin mit der gebotenen Energie und Konsequenz zur Seite stehen.
[IGEB] Der Protest des Innensenators gegen die Darstellung der IGEB ist ehrenwert, aber ungerechtfertigt. Wenn 1992 pro Tag im Durchschnitt nicht einmal zehn falsch parkende Pkw's von den Busspuren abgeschleppt wurden, ist das ein schlagender Beweis dafür, daß Innenverwaltung und Polizei die Verkehrsüberwachung weitgehend aufgegeben haben. Die tatsächliche Mißbrauchsquote, insbesondere zum Beginn der Geltungszeit einer Busspur, liegt um das Hundertfache über der Zahl der tatsächlich abgeschleppten Fahrzeuge! Geradezu gefördert werden all die Verstöße gegen die StVO durch die kürzlich bekanntgewordene Einstellung von Hunderttausenden von Ordnungswiedrigkeiten-Verfahren durch die Innenverwaltung, weil die Behörde (zum wiederholten Male) nicht in der Lage war, alle Verfahren fristgemäß zu bearbeiten. Auch eine besondere Priorität bei Einsätzen, die der Flüssigkeit des öffentlichen Personennahverkehrs dienen, gibt es erfahrungsgemäß nicht. Wartezeiten von 45 Minuten und länger, bis endlich ein Ordnungshüter sich des falsch geparkten Wagens annimmt, sind im Straßenbahnbereich an der Tagesordnung. Immerhin erkennt der Innensenator an, daß trotz "der gebotenen Energie und Konsequenz" noch erhebliche Defizite beider Verkehrsüberwachung in Bedin vorhanden sind. Sehr bedauerlich ist, daß er keine Anzeichen erkennen läßt, z.B. der BVG mehr Handlungsfreiheit bei der Beseitigung von Verkehrshindernissen zu gewähren.
Senatsverwaltung für Inneres
aus SIGNAL 8/1993 (November 1993), Seite 15