Aktuell
vom 8. Februar 2000
1. Apr 2000
„Tarifstrukturanpassungen" zum 1. April 2000 hatte der VBB-Aufsichtsrat 1999 beschlossen, Erhöhungen sollte es im Jahr 2000 nicht geben. Doch seit Wochen wird intensiv über höhere VBB-Tarife diskutiert. Der Berliner Fahrgastverband IGEB sagt hierzu eindeutig: „Nein!".
Die Forderungen, bereits im Jahr 2000 erneut die Preise für den öffentlichen Nahverkehr in Berlin und Brandenburg anzuheben, werden vom Berliner Fahrgastverband IGEB entschieden abgelehnt. Besonders unverständlich ist, daß die Zeitkartenbesitzer, also die Stammkunden, überproportional zur Kasse gebeten werden sollen. Genannt seien hier nur einige der zahlreichen Argumente gegen weitere Erhöhungen des VBB-Tarifs:
„Die Preisrelation der ÖPNV-Tarife im Verhältnis zu den Kosten des motorisierten Individualverkehrs hat sich in den letzten Jahren zu Ungunsten des ÖPNV entwickelt.
Der Benzinpreis stieg etwa seit 1950 von rund 0,60 DM/Liter auf den zweieinhalbfachen Wert, der ÖPNV-Tarif um das 14-fache von 0,25 DM auf 3,60 DM." Aus: Zukunftsfähiges Berlin. Bericht der Enquetekommission des Abgeordnetenhauses von Berlin, 13. Wahlperiode. Berlin 1999.
Die drastischen Tariferhöhungen in den letzten zehn Jahren haben die wirtschaftliche Lage der BVG nicht nachhaltig verbessert, aber zu einem Verlust von rund 25 Prozent der Fahrgäste geführt.
Seit Jahren gibt es nur eine geringfügige Inflationsrate (um ein Prozent), und auch die Einkommensentwicklung stagniert nahezu. Deshalb wurden die Beitragsbemessungsgrenzen der Sozialversicherungen im Osten Deutschlands für das Jahr 2000 um 1,4 Prozent gesenkt!
Die durchschnittlichen Einkommen im Osten Deutschlands liegen derzeit bei 75 Prozent des Westdurchschnitts. Deshalb müssen die VBB-Tarife auch entsprechend niedriger sein als die Tarife in Frankfurt am Main, Stuttgart oder München.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB begrüßt ausdrücklich, daß sich Senator Strieder und seine Verkehrsstaatssekretärin Krautzberger zu den Tariferhöhungsabsichten und zur bisherigen Tarifstruktur kritisch bis ablehnend geäußert haben. Ergänzend muß nun durch eine Änderung der Berliner Verkehrs politik erreicht werden, dass die Verkehrsbetriebe ökonomischer wirtschaften können und die Fahrgastzahlen steigen.
Einen Versuch ist es Wert, das neue Ticket. Aber vor einer Einführung sind viele Fragen zu klären, nicht zuletzt die der Kosten. Seit der Erfindung des Personenverkehrs gibt es Tickets - bisher waren sie meist aus Papier oder Pappe. Nun gibt es „ticke.t". So heißt die Plastikkarte, von der zumindest die BVG wahre Wunderdinge erwartet. Vor allem Gelegenheitsfahrgäste könnten tatsächlich von der einfacheren Benutzung gegenüber dem doch recht komplizierten Kauf einer Fahrkarte am Automaten profitieren. Für den Fall einer allgemeinen Einführung sind zuvor jedoch noch grundsätzliche Dinge zu regeln:
Vor allem darf das Fahren mit dem Ticket für die Fahrgäste nicht unbequemer werden. Dauerkunden der BVG haben zur Zeit eine Karte mit einer Wertmarke. Sie müssen keine Ticket-Punkte zum „Aufladen" ansteuern, sie müssen nicht „ein- oder auschecken".
Dieses bequeme Handling muß für alle Abonnenten beibehalten werden. Das ständige Ein-, vor allem aber das Auschecken muß vereinfacht werden oder entfallen. Die Vision der BVG, daß sich Fahrgäste in überfüllten Bussen und Bahnen zwischen zwei Haltestellen zu irgendwelchen Terminals durchkämpfen um auszuchecken, ist nicht praktikabel. Man denke dabei an Linien wie die Busse 100 oder 148 oder die Straßenbahn-Linie 20.
Das elektronische Ticket darf nicht dazu missbraucht werden, durch die Hintertür ein undurchschaubares Tarifsystem einzuführen. Die Buchungsvorgänge müssen nachvollziehbar dokumentiert werden, damit Kunden die Möglichkeit haben, die Abrechnung auf Fehler zu überprüfen. Wenn das System tatsächlich eingeführt wird, dann muß dies im gesamten Bereich des Verkehrsverbundes VBB geschehen. Ein dauerhafter Mix aus elektronischem Ticket und Papierfahrschein wird abgelehnt.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB wendet sich mit Nachdruck gegen die Einführung von Zugangssperren bei der Berliner U-Bahn. Einen Nutzen haben ohne Zweifel die Hersteller solcher Systeme, aber die Fahrgäste haben nur Nachteile.
Im Zusammenhang mit dem elektronischen Fahrschein „ticke.t" und mit „Schwarzfahrerzahlen" wird die Einführung von mechanischen Zugangssperren bei der Berliner U-Bahn diskutiert. Beide Zusammenhänge sind konstruiert und falsch:
Die Einführung des „ticke.ts" erfordert keine U-Bahn-Zugangssperren. Das zeigt der jetzige Probelauf. Und auch künftig würden ja beispielsweise Bus und Straßenbahn ohne Zugangssperre verkehren müssen. Warum also sollten sie bei der U-Bahn erforderlich sein? In anderen Städten mit Zugangssperren gibt es ähnlich hohe „Schwarzfahrerquoten" wie in Berlin, so zum Beispiel bei der Metro in Paris.
Vor allem aber sprechen folgende Gründe gegen Zugangssperren:
Beides ist möglich. Werden Busse und Bahnen schneller, sparen die Fahrgäste Zeit und die Verkehrsbetriebe Kosten.
Busspuren, eigene Trassen bzw. auf der Fahrbahn abmarkierte Trassen für die Straßenbahn, Vorrangschaltungen an den Kreuzungen, Haltestellenkaps - die Liste der Maßnahmen zur Beschleunigung der öffentlichen Verkehrsmittel ist lang, altbekannt, erprobt und bewährt - aber in Berlin vollkommen unzureichend umgesetzt. Insbesondere der ehemalige Verkehrsstaatssekretär Ingo Schmitt hat nahezu alle Maßnahmen zur Beschleunigung von Bussen und Straßenbahnen in Berlin unterbunden, wenn dadurch der Autoverkehr auch nur geringfügig behindert wurde. Deshalb gibt es in Berlin einen immensen Nachholbedarf und somit ein großes Potential, um die BVG attraktiver und preiswerter fahren zu lassen.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert die neue Verkehrsstaatssekretärin auf, auf diesem Gebiet schnellstens zu handeln. Bisherige Äußerungen von Frau Krautzberger geben Anlaß zur Hoffnung, daß dies schon bald geschieht.
Aus allen politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Richtungen werden Zweifel an dem Vorhaben geäußert, die U5 vom Alexanderplatz zum Lehrter Bahnhof zu verlängern. Der Berliner Fahrgastverband hat den Nutzen dieses Milliardenprojektes schon seit Jahren bezweifelt - bisher vergeblich. Wie soll es nun weitergehen?
Als 1999 der Planfeststellungsbeschluss für die U5-Verlängerung bekannt gemacht wurde, schienen alle Argumente gegen dieses Milliardenprojekt vergeblich gewesen zu sein. Doch nun gibt es kritische Stimmen nicht nur von Einzelhändlern und Autofahrern, die nur die Baustellen fürchten, sondern auch aus den Reihen beider Regierungsfraktionen und zum Beispiel vom DIW. Befürworter argumentieren demgegenüber mit den Vorleistungen im Parlaments- und Regierungsviertel und warnen vor Rückzahlungsforderungen der Bundesregierung, bevor diese sich überhaupt geäußert hat.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB begrüßt, daß endlich in breiter Öffentlichkeit kritisch über dieses Projekt diskutiert wird, fordert aber zugleich eine Versachlichung der Diskussion. Was ist zu tun?
Trotz Planfeststellung muß der U5-Bau auf zunächst unbestimmte Zeit verschoben werden.
Um Kosten und Nutzen der U5-Verlängerung herauszufinden, sind seriöse Untersuchungen überfällig. Daß bei Berliner Tunnelprojekten die Kosten anfangs stets „schöngerechnet" werden, zeigen nahezu alle U-Bahn-Bauten und ganz besonders der Tiergartentunnel. Bei der U5 wurden aber außerdem die Fahrgastzahlen „schöngerechnet". Berechnet wurde nur der Fall einer U5-Verlängerung vom Alexanderplatz bis Moabit (U-Bahnhof Turmstraße). Diese Verlängerung ist aber auf lange Sicht unrealistisch. Deshalb muß jetzt der für alle Großinvestitionen zu ermittelnde Nutzen-Kostenfaktor für den Abschnitt Alexanderplatz - Lehrter Bahnhof separat ermittelt werden. Dabei ist offenzulegen, welche Maßnahmen bzw. Auswirkungen bei anderen Linien wie der parallelen S-Bahn (Stadtbahn) und U2 zu erwarten sind, damit der Nutzen-Kosten Faktor über „1" liegt.
Um die durch den Aufschub des U5-Baues jetzt frei werden den Gelder nicht verfallen zu lassen, sind diese in den Straßenbahnausbau und in die Sanierung des U-Bahn-Netzes im Ostteil Berlins zu stecken. Auch für die Berliner U-Bahn gilt, was die „große" Bahn (DB AG) inzwischen erkannt hat: Die Ertüchtigung des vorhandenen Netzes ist wichtiger als der Strecken-Neubau.
Am S-Bahnhof Papestraße ist einer der wichtigsten Berliner Fernbahnhöfe geplant. Doch weil der Tiergartentunnel und der Lehrter Bahnhof erheblich teurer als geplant werden, soll unter anderem auf „Papestraße" verzichtet werden. Der Berliner Fahrgastverband IGEB hält den Bahnhof jedoch für unverzichtbar.
Daß alle Maßnahmen beim Ausbau des Eisenbahn-Netzes in Berlin länger als geplant dauern, daran haben wir uns längst gewöhnt. Daß nun eines der wichtigsten Bahnhofsprojekte ersatzlos gestrichen werden soll, ist nicht hinnehmbar.
Ein Fern- und Regionalbahnhof im Bereich Papestraße ermöglicht mit dem Umsteigen auf mehrere S-Bahn-Linien, insbesondere auf den Südring, eine hervorragende Feinverteilung der Reisenden in alle Berliner Südbezirke, also für mehr als eine Million Menschen.
Ohne den Fern- und Regionalbahnhof Papestraße wird der Lehrter Bahnhof vollkommen überlastet sein, da die Bahnsteige und Treppenanlagen dort wegen des begrenzten Platzes und der hohen Kosten knapp dimensioniert sind. Beim Projekt „Papestraße" sind erhebliche Kosteneinsparungen möglich, wenn insbesondere auf die gigantischen Parkhäuser für mehr als 2000 Autos verzichtet wird.
Der Bahnhof Papestraße kann stufenweise realisiert werden. Am dringlichsten, aber auch am billigsten (und deshalb in der ersten Stufe zu realisieren) sind die Regionalbahnsteige, um den täglich fahren den Berufspendlern bald möglichst kurze Wege zu ermöglichen.
Finanzierbar wäre diese erste Ausbaustufe aus den Transrapid-Geldern. Nach dem überfälligen Verzicht auf die Transrapidstrecke Berlin - Hamburg müssen die 6,1 Mrd DM jetzt für die Eisenbahninfrastruktur ausgegeben werden, denn die Transrapid-Planung hat erheblich zum Zeitverzug und zu den Mehrkosten beim Ausbau des Berliner Eisenbahnnetzes beigetragen. Zum Ausgleich ist ein Teil der Transrapid-Mittel für den Bahnbau in Berlin einzusetzen.
Das Fahrgastzentrum Berlin ist seit einem Jahr im S-Bahnhof Jannowitzbrücke zu finden.
Wer Probleme mit Bussen und Bahnen in und um Berlin hat, kann sich seit vielen Jahren an das Fahrgastzentrum Berlin wenden, einer gemeinsamen Einrichtung des Berliner Fahrgastverbandes IGEB, des Verlages GVE (Gesellschaft für Verkehrspolitik und Eisenbahnwesen) und des Deutschen Bahnkunden-Verbandes (DBV), Landesverband Berlin. Hier werden Beschwerden entgegengenommen, Informationen gegeben und vielfältige Materialien rund um den öffentlichen Verkehr verteilt bzw. verkauft. Kompetente Ansprechpartner stehen den Kunden der öffentlichen Verkehrsunternehmen zur Verfügung. Das Fahrgastzentrum ist von Montag bis Freitag von 15 bis 19 Uhr für alle Fahrgäste geöffnet.
Als das Fahrgastzentrum vor gut einem Jahr in den S-Bahnhof Jannowitzbrücke einzog, war dies - bedingt durch Bauarbeiten - als Übergangslösung gedacht. Doch dieser Standort hat sich bewährt. Noch nie fanden so viele Fahrgäste, die nicht einem der Fahrgastverbände angehören, den Weg zum Fahrgastzentrum. Damit konnten die Verbände einen noch besseren Einblick bekommen, was die Fahrgäste in Berlin und auf den Wegen von und nach Berlin erfreut, verunsichert oder gar verärgert.
Übrigens: Der Berliner Fahrgastverband IGEB wird im Juli diesen Jahres 20 Jahre alt.
IGEB
aus SIGNAL 2/2000 (März/April 2000), Seite 4-6