Berlin

Ignoranz und Arroganz bei der BVG

Seit Sommer 1998 bemühen sich Anwohner/innen der Konrad-Wolf-Straße und des Bezirksamtes Hohenschönhausen von Berlin um die Verringerung der Lärmemission der Straßenbahn in den Nachtstunden.


Bezirksamt Hohenschönhausen von Berlin
Stadtrat für Stadtentwicklung, Umwelt und Bauwesen

1. Mai 2000

In regem Briefwechsel wurden mögliche technische Ursachen hoch- und runterdekliniert, mit jeweiligen Zusagen, bis zu welchem Zeitpunkt das Problem erledigt sein soll. Im Sommer 1999 organisierten Bürger/innen eine Unterschriftensammlung in der betroffenen Straße. Die 500 Unterschriften der Anwohner/innen, viele selbst Kunden bei der BVG, wurden mit Vorschlägen zur Reduzierung der Lärmemission der BVG übersandt. Nachdem lediglich mit vielversprechenden Beteuerungen seitens der BVG reagiert wurde, fand ein Bürgerforum mit verantwortlichen Mitarbeitern der BVG am 17. Februar 2000 statt.

Da den Anwohnern und dem Bezirksamt sowohl die Bemühungen und die schon erfolgten Maßnahmen zur Beseitigung der lärmverursachenden Technik bekannt waren, wurden meines Erachtens keine unrealistischen Forderungen an das Unternehmen formuliert. Die Forderung der Bürger und des Bezirksamtes, bis zu einer endgültigen Lösung der technischen Probleme das Tempo auf 30 km/h in der Zeit von 22 bis 6 Uhr zu reduzieren, ohne damit in den bestehenden Fahrplan einzugreifen, wurde u.a. mit der Begründung abgelehnt, daß die Straßenbahn nicht dazu da wäre, langsam zu fahren.

Eine intensive Überprüfung der Fahrzeiten der Nachtlinie 55 auf dem Streckenabschnitt zwischen Hauptstraße und Weißenseer Weg hat aber ergeben, daß mehrfach die dem Fahrplan entsprechende Fahrzeit um zwei Minuten bzw. 28 Prozent unterschritten worden ist. Die dritte Forderung bei der Bürgerveranstaltung nach Einflußnahme des Unternehmens auf die Fahrweise der Fahrer/innen verhallte leider fast in den Geräuschen einer vorbeifahrenden Straßenbahn. Obwohl einerseits von der BVG durchaus zugegeben wurde, daß es Fahrer bzw. Fahrerinnen gäbe, die mit unangemessener Fahrweise vermeidbaren Lärm verursachen, wird andererseits aber weiterhin nur mit Dienstanweisungen auf verhaltensbedingte Lärmbelästigungen (schnelles Anfahren und starkes Abbremsen) reagiert, eine Kontrolle findet nicht statt. Dies ist insofern unverständlich, als auch durch das Unternehmen zugestanden wurde, daß unangemessene Geschwindigkeiten zu erhöhtem Verschleiß und zusätzlichen Wartungskosten an den Fahrzeugen und dem Gleisbett führen. Im gleichen Zusammenhang wurden die Anwesenden informiert, daß es bei Straßenbahnen nur eine vorgegebene automatische Beschleunigungsstufe habe, die ein gemäßigteres Anfahren nicht ermögliche.

Auch hier liegen aus vielfachen Beobachtungen andere Erfahrungen vor, denn einige Fahrer/innen sind durchweg in der Lage, schonend und rücksichtsvoll ihr Arbeitsgerät - die Straßenbahn - zu bedienen. An dieser Stelle möchte ich diesen Fahrer/innen meinen besonderen Dank für ihre wahrscheinlich selbstverständliche Rücksichtnahme aussprechen.

Neben Falschaussagen gibt es seitens der BVG offensichtlich nicht einmal ansatzweise die Bereitschaft, den Versuch einer vorübergehenden Reduzierung der Lärmbelästigungen durch angepaßtes Fahrverhalten zu erreichen.

Das Verhalten der BVG ist auch deshalb äußerst problematisch, weil der von den Straßenbahnen nachts verursachte Lärm nicht nur eine Ruhestörung darstellt oder mit hinzunehmenden Befindlichkeitsstörungen abzutun ist. Lärmbelastungen, die nachts in der Konrad-Wolf-Straße anzutreffen sind, können zu Krankheiten führen. Dies ist offenbar den Vertreter/innen der BVG nicht bewußt. Denn anders ist es nicht zu erklären, daß die BVG den völlig unüblich starken Lärm der dortigen Straßenbahn billigend in Kauf nimmt und so auch das damit verbundene Gesundheitsrisiko akzeptiert.

Berliner Wissenschaftler haben den Zusammenhang zwischen Straßenlärm und Krankheit beschrieben. Straßenlärm kann zu einer ständigen Streßsituation der schlafenden Bevölkerung führen und das Herzkreislaufsystem so stark in den Ruhephasen strapazieren, daß Herzinfarkte hervorgerufen werden können. An Straßen mit nachts mehr als 55 Dezibel, so Prof. Ising aus Berlin, besteht ein um 20 Prozent erhöhtes Herzinfarktrisiko. Auf ganz Berlin umgerechnet ist jährlich mit der erschrekkend hohen zusätzlichen Zahl von nahezu 200 Todesfällen in Folge des Straßenlärms zu rechnen. Dies ist etwa das doppelte Risiko als an Verkehrsunfällen in Berlin zu sterben. Das schleichende Gift des Lärms, das meist während des Schlafes nicht erkannt wird, wird von Experten als größte Umweltgefahr für unsere Gesundheit in der Stadt angesehen. Auch wenn diese Erkenntnis erst in den späten achtziger Jahren bekannt wurde und bisher noch nicht zu gesetzlichen Regelungen für den Straßenverkehr geführt hat, so kann die BVG nicht darüber hinwegsehen. Und wenn in der Konrad-Wolf-Straße nur so geringe Änderungen, wie eine Geschwindigkeitsreduzierung auf 30 km/h eine Lärmminderung bewirken können, dann ist hier der Gesundheit zu Liebe ein rasches Einlenken der BVG zu erwarten.

Den Verantwortlichen muß klar sein, daß Straßenbahnplanung auch eine Gesundheitsplanung ist und in dem vorliegenden Fall bisher eine Krankheitsplanung bedeutet. Ein Dienstleistungsunternehmen sollte seine Akzeptanz in der Bevölkerung nicht durch Ignoranz und Arroganz verspielen.

Bezirksamt Hohenschönhausen von Berlin
Stadtrat für Stadtentwicklung, Umwelt und Bauwesen

aus SIGNAL 3/2000 (April/Mai 2000), Seite 8