Berlin

Straßenbahn-Netz 2015 in Berlin

Zur Zeit wird der von der Verwaltung lange verschleppte Stadtentwicklungsplan Verkehr (StEP) diskutiert. Er soll Ende des Jahres beschlossen werden. Dieser Plan enthält auch eine Auflistung der bis zum Jahre 2015 geplanten Straßenbahn-Neubaustrecken. Der bislang vorgesehene Ausbau beträgt lediglich 33 Kilometer, also ganze 2,2 Kilometer pro Jahr. Mit dem Netz 2015 stellt die AG Straßenbahn als ergänzenden Gegenentwurf ein zusammenhängendes, kompaktes Strecken- und Linienkonzept zur Debatte.


AG Straßenbahn

1. Aug 2001

Leitlinie des StEP ist, daß die verbesserte Nutzung der vorhandenen Infrastruktur Vorrang hat vor dem Ausbau. Im Sinne der Nachhaltigkeit und der Finanzlage kann diese Richtung von den Verkehrsökologischen Initiativen und Verbänden (VIV), die das StEP-Verfahren begleiten, nur unterstützt werden. Beim Straßenbahnnetz besteht - ähnlich wie bei der S-Bahn in den 90er Jahren - ein großer Nachholbedarf. Als Folge der Teilung sowie des folgenschweren West-Berliner Einstellungsbeschlusses von 1953 existiert nur noch ein Rumpfnetz in den östlichen Stadtteilen mit lediglich einer Stichstrecke in den ehemaligen Westteil Berlins.

Die im StEP genannten Neubaustrecken bis 2015 enthalten wichtige Verbindungen wie die in der Turmstraße oder der Potsdamer Straße. Allerdings ergibt sich kein schlüssiges Gesamtnetz, das die Potentiale des vorhandenen Teilnetzes voll ausschöpft und wichtige Netzlücken schließen kann.

Im Sinne von Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit ist ein entschlossener Ausbau des Straßenbahnnetzes geboten. Er ermöglicht der BVG überhaupt erst einen wirtschaftlichen und für den Fahrgast attraktiven Betrieb.

Konzept der AG Straßenbahn

Die AG Straßenbahn, ein Zusammenschluß aus IGEB, BUND, BI Westtangente, Moabiter Ratschlag und VCD, legt als Gegenentwurf ein Konzept zum Ausbau des Berliner Straßenbahnnetzes bis zum Jahre 2015 vor. Ziel ist es, mit möglichst geringem Aufwand eine möglichst große Verbesserung des Angebots für den Fahrgast zu erzielen.

Nach Meinung der AG Straßenbahn darf am U-Bahnhof Warschauer Straße nicht Schluß sein mit dem Straßenbahn-Ausbau. Foto: Alexander Frenzel, März 2001

Grundlage der vorgeschlagenen Maßnahmen bildet die im Oktober 2000 veröffentlichte Studie „Straßenbahn für ganz Berlin" von Holger Orb und Tilo Schütz. Im Unterschied zu dieser bis ins Jahr 2038 angelegten Planung mit einem angenommenen Streckenausbau von zehn Kilometer pro Jahr (jährliche Ausbauschritte in Paris oder Bordeaux), geht das vorgestellte Strecken- und Liniennetz mit jährlich 4,2 Kilometer bewußt von einem geringeren Wert aus und nähert sich somit dem Tempo im Verkehrskompetenzzentrum Berlin an. Es soll der Nachweis geführt werden, daß aus dem heutigen Rumpfnetz auch mit begrenzten Mitteln und unter weiter ungünstigen politischen Rahmenbedingungen ein kompaktes und betrieblich schlüssiges System entwickelt werden kann.

Netz 2015 - die Investitionen

Das Netz 2015 umfaßt ein Volumen von 64 Kilometer. Bei angenommenen Baukosten von 20 Millionen DM für den Kilometer kostet dieser Ausbau also 84 Millionen DM pro Jahr. Das entspricht ca. 30 Prozent der jährlichen Investitionen in das Schienennetz (S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn).

Hinzu kommen Kosten für Fahrzeugbeschaffungen. Für das vorgeschlagene Netz werden insgesamt 390 Züge, darunter 38 Zweirichtungsbahnen, benötigt. Das sind 120 Züge mehr als heute. Bei Anschaffungskosten von 3 Millionen DM pro Fahrzeug ergibt das eine Summe von 360 Millionen DM. Der Bedarf an Zweirichtungsfahrzeugen ist aus bereits getätigten Bestellungen der BVG (45 Fahrzeuge) gedeckt.

Netz 2015 - das Angebot

Beim Netz 2015 handelt es sich um eine bestandsorientierte Planung. Das zeigt sich daran, daß zu den heutigen 28 Linien lediglich drei hinzukommen. Die vorhandenen Liniennummern werden weitgehend übernommen: die Linien 1 bis 10 bedienen die großen Radialen und werden durch 11, 15, 17, 18 und 19 ergänzt; die 20er Linien befahren wie bisher die Ringe und Tangenten und die 50er und 60er Linien erschließen den Pankower bzw. Köpenicker Netzteil.

Das Grundgerüst der Netzerweiterung bilden vier innerstädtische Korridore:

  1. Lehrter Bahnhof - Turmstraße - Jungfernheide (im StEP enthalten)
  2. Alexanderplatz - Zoologischer Garten über Französische Straße (im StEP nicht enthalten)
  3. Alexanderplatz - Steglitz über Leipziger Straße (im StEP bis Innsbrucker Platz enthalten, Verlängerung nach Steglitz offen)
  4. Moabit - Neukölln - Köpenick über Lehrter Bahnhof - Regierungsviertel - Potsdamer Platz - Hermannplatz - Schöneweide (im StEP nicht enthalten).

Diese vier Korridore lassen ein sehr hohe Fahrgastaufkommen erwarten. Durch Verlängerung der in der östlichen Stadthälfte vorhandenen Radiallinien in den Westteil der Stadt entstehen Durchmesserlinien. Damit wird das betrieblich vorhandene Potenzial genutzt und das innerstädtische Netz entzerrt. Die Zahl der in der City endenden Linien kann drastisch reduziert werden. Die Endstelle am Hackeschen Markt kann als Regelendstelle ganz entfallen. Das ermöglicht die Durchfahrung der gegenwärtigen Aufstellanlage in der Großen Präsidentenstraße und somit als völlig neue Linienführung die Durchbindung der künftigen Straßenbahnlinie 10 (heute: Linie 13) von Prenzlauer Berg in Richtung Spittelmarkt - Hallesches Tor - Mehringdamm.

Das Rückgrat der Netzkonzeption bildet der Korridor Moabit - Neukölln - Köpenick. Es handelt sich dabei um eine völlig neue überbezirkliche Durchmesserlinie. Sie verbindet wichtige Ziele miteinander, die heute nur mit mehrmaligem Umsteigen zu erreichen sind. Diese Relation wird von der 9 (Jungfernheide-Baumschulenweg) und 19 Lehrter Bahnhof - Köpenick, Müggelschlöschenweg) befahren.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Ausbau der Ring- und Tangentialverbindungen. So wird die Osttangente bis Zwickauer Damm (U 7) verlängert und besser vertaktet (durchgehender 5-Minuten-Takt von Gehrenseestraße bis Zwickauer Damm im Tagesverkehr). Das ist zugleich der erste Ausbauschritt für die Südtangente (heute vom X11 bedient) nach Marienfelde und Lichterfelde. Zwischen Hellersdorf und Köpenick erfolgt der Lückenschluß nach Mahlsdorf. Hier soll die Linie 62 künftig im 10-Minuten-Takt verkehren. Dazu ist die Schaffung einer weiteren Ausweiche notwendig. Weitere Ringschließungen sind von Warschauer Straße nach Hermannplatz (Linien 20, 22) sowie von Beusselstraße über Moabit zum Zoologischen Garten (Linien 23, 24) vorgesehen.

Linienverzeichnis der AG Straßenbahn. Mit freundlicher Genehmigung der Autoren

Das Pankower Netz wird in seinem heutigen Angebot erhalten. Die AG Straßenbahn wendet sich entschieden gegen Planungen, die Linie 53 aus der Schönhauser Allee und Kastanienallee herauszunehmen und die Linie 52 in einer neu zu bauenden Schleife an der Maximilianstraße (abseits des U-Bahnhof Vinetastraße!) enden zu lassen.

Um einen reibungslosen Betrieb auf dem derart gewachsenen Netz zu gewährleisten, sind drei neue Standorte für Betriebshöfe vorzusehen: Schöneweide (Neubau an der Nalepastraße), Lichterfelde (Fläche des alten Betriebshofes am Endpunkt der Strecke nach Steglitz) sowie der vorhandene Betriebshof Charlottenburg in der Königin-Elisabeth-Straße (Endpunkt der westlichen Netzerweiterung).

Fazit

Wir fordern für die nächsten 15 Jahre einen entschlosseneren Netzausbau, als er im StEP bisher vorgesehen ist. Städte wie Strasbourg, Lyon, Sheffield, Portland und Barcelona zeigen, wie man auch aus dem Nichts heraus in wenigen Jahren umfangreiche Straßen bahn netze verwirklichen kann. Berlin braucht dagegen nur sein vorhandenes Netz zu erweitern, um mit vergleichbar geringem Aufwand eine enorme Verbesserung des ÖPNV-Angebots zu erzielen und somit dem Ziel eines stadtverträglichen modal splits einen Schritt näher zu kommen.

Kontakt: AG Straßenbahn, c/o Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland, Landesverband Berlin, Crellestraße 35, 10827 Berlin, Telefon 78 79 00 - 17.

Im Signal 5/2001 veröffentlichen wir zu diesem Artikel das Liniennetz mit Streckenführung, Anzahl der benötigten Fahrzeuge usw.

AG Straßenbahn

aus SIGNAL 4/2001 (Juli-August 2001), Seite 8-9