Schienenverkehrs-Wochen 2001
Wird die Drängelei in Eindeckern ein Dauerzustand? Busmangel bei der BVG bleibt vorerst leider bestehen.
1. Nov 2001
Der diesjährige Bus Sprechtag fand schon traditionellerweise auf dem Betriebshof Müllerstraße statt. Den Fragen der zahlreich anwesenden Fahrgästen stellte sich BVG-Bus-Direktor Lawerenz und Herr Graetz mit großer Kompetenz. Als Besonderheit wurde den Anwesenden die Möglichkeit angeboten, selber unter fachkundiger Begleitung der dort ansässigen BVG-Fahrschule mit einem BVG-Linienbus eine Runde über das Betriebshofgelände zu drehen, was vielen einen völlig neuen Eindruck des Busfahrens ermöglichte.
Schon in seinen einleitenden Worten machte Herr Lawerenz auf eine handfestes Problem aufmerksam. Die BVG hatte zur dringend nötigen Erneuerung bzw. Ergänzung ihres durch Rostfraß angefallenen Fuhrparks 15-Meter (LN)- und 9-Meter Eindecker-Neufahrzeuge (MN), sowie gebrauchte 12-Meter (EN)- und 18-Meter-Gelenkbussen (GN) europaweit nach EU-Recht zum Kauf ausgeschrieben. Auf Grund eines Formfehlers im Angebot eines Anbieters wurde jedoch die gesamte Ausschreibung zurückgenommen, da ansonsten für die BVG ein unkalkulierbares Klagerisiko mit aufschiebender Wirkung entstanden wäre. Aus diesem Grund dürfen die Berliner Fahrgäste wohl noch sehr lange mit überfüllten Standard Eindeckern auf eigentlich für Doppeldecker vorgesehenen Linien vorlieb nehmen, da für die fällige Neuausschreibung wiederum die entsprechenden Ausschreibungsfristen gewahrt werden müssen. Herr Lawerenz selbst beklagte diese sehr nachteilige Situation, der die BVG als Anstalt öffentlichen Rechts, anders als die private Konkurrenz, zwingend verpflichtet ist.
Damit war bereits ein von mehreren Fahrgästen beklagtes Thema erreicht, der falsche Buseinsatz. Der Rost nagt insbesondere an Doppeldeckern der Serie D, von denen zur Zeit 84 Fahrzeuge abgestellt sind und auf Reparaturaufnahme in die Hauptwerkstatt Uferstraße warten; dort kann man jedoch höchstens zehn Busse pro Monat aufarbeiten. Weiterhin müssen 60 bis 70 Busse für ständig auftretenden Schienenersatzverkehr vorgehalten werden. Der Busfriedhof Indira-Gandhi-Straße wird wohl längere Zeit bestehen bleiben.
Die ehemals aus 18 % des Bestandes bestehende Betriebsreserve ist aus Kostengründen nunmehr auf 6 % gesenkt worden. Fazit: Um den Betrieb überhaupt abwickeln zu können, muß auf alles zurückgegriffen werden was fährt und Bus genannt wird, in der Mehrzahl also auf Standard-Eindecker und auch auf nicht behindertengerechte E2H aus der ersten Hälfte der achtziger Jahre. Der Kauf von gebrauchten Bussen, zum Beispiel aus Dresden und Lübeck, hilft, um etwas aus dem Gröbsten heraus zu kommen. Da aber als generelle Betriebsreserve ausschließlich Standard-Busse fungieren, wird es auch weiterhin so sein, daß statt des Doppeldeckers ein überfüllter Standard-Bus fährt.
Angesprochen auf seine bereits im vorjährigen Bus-Sprechtag abgegebene Ankündigung über den Kauf einer neuen Generation von Doppeldeckern, bestätigte Hr. Lawrenz dieses zwar, wies aber auch deutlich auf die ungünstige Kostensituation von Doppeldeckern im Vergleich zu Eindeckern hin. Beim Doppeldecker liegt der Kaufpreis etwa um 300.000 DM pro Stück und der Instandhaltungsaufwand fast um ein Drittel höher als beim Standard-Eindecker, die Beförderungskapazität liegt aber nur bei ca. 30 Fahrgästen mehr. Zu bedenken ist allerdings, daß der Zahlenvergleich die unakzeptable Stehplatzbeförderung im Standard Eindecker außer acht läßt, ein wesentliches Plus für den an Sitzplätzen relativ reich ausgestatteten Doppeldecker. Um einen Neubau-Doppeldecker noch besser an verschiedene Linienbedürfnisse anpassen zu können, ist in dem angedachten 13,7 Meter langen, dreiachsigen für 120 bis 130 Fahrgäste ausgelegten Fahrzeug an eine variable Innenausstattung gedacht, alles aber nur, wenn man sich denn dieses Fahrzeug finanziell überhaupt noch leisten kann. Insofern ist die Befürchtung, der Berliner Doppeldecker könnte langfristig aussterben, leider nicht völlig aus dem Raum genommen worden.
Neben akutem Busmangel wurden auch nicht funktionierende Klimaanlagen in neuen Bussen reklamiert. Besonders ärgerlich ist nämlich, daß es bei diesen Fahrzeugen so gut wie keine öffnungsfähigen Fenster mehr gibt und eine Fahrt bei Sommerhitze mit ausgefallener Klimaanlage sehr schweißtreibend ist. Auch die BVG zeigte sich über den Ausfall der noch recht neuen Geräte verärgert. Immerhin ist inzwischen der Fehler gefunden worden und wird sukzessive durch den Hersteller behoben. Bis dahin sollte bei Bedarf der Fahrer veranlaßt werden, die sich im hinteren Wagenteil befindlichen Klappfenster zu entriegeln, so daß es neben den automatisch öffnenden Dachluken weitere Belüftungsmöglichkeiten gibt. Zu hoffen bleibt, daß dieser es dann auch tut.
Dazu wurde lediglich auf die sich langsam verbessernde Qualität des Systems hingewiesen, ohne die in verändernder Form auftretenden Schwachstellen generell zu leugnen. Tatsache bleibt aber auf jeden Fall, daß die geplante Umrüstung aller Fahrzeuge auf digitale RBL-Technik bis zum Ende dieses Jahres nicht zu realisieren ist. Damit wird es weiterhin unterschiedliche Funksysteme in den Bussen geben und damit auch weiterhin Schwachstellen in der Koordination des laufenden Betriebes (zum Beispiel Anschlußsicherung), wenngleich, wie auch bereits im Vorjahr, versichert wurde, daß dadurch dem Fahrgast keine Nachteile entstehen. Beschwerden von Fahrgästen wurden aber auch hier sofort vorgetragen. So verweigerte ein Busfahrer zum Beispiel die Bitte eines Fahrgastes um Kontaktaufnahme mit einem Kollegen einer anderen Linie zwecks eines gesicherten Anschlusses mit den Worten, daß dies nicht ginge, weil der Bus zu einem anderen Betriebshof gehöre. Wir erfuhren nun zwar von den Herren Lawerenz und Graetz, daß dieses nicht stimme, weil es durchaus einen Nahbereichsruf gäbe der jederzeit aktivierbar sei. Aber entweder der betreffende Fahrer wußte dieses nicht (Ausbildungsmangel), wollte es nicht (keine Lust) oder konnte dieses wirklich nicht, weil der andere Bus mit analoger Funktechnik fuhr (doch RBL-Umstellungsmangel!?). Dem betreffenden Fahrgast war, egal aus welchem Grund, in jedem Fall nicht geholfen.
Weiterhin wurde auch dieses Jahr wieder zu recht von vielen Anwesenden die immer stärkere Sichtbehinderung durch Ganzfahrzeug-Werbung beklagt. Trotz grundsätzlichem Verständnis für diese Klagen ist das Geld der Werbeeinnahmen für die BVG ein so wichtiger Bestandteil der Einnahmekonzeption, daß von Herrn Lawerenz keine Änderung der bisherigen Haltung angekündigt wurde. Auf die Einnahme von bis zu 60.000 DM pro Jahr für eine Ganzfahrzeug-Werbung, auf zum Beispiel den Linien 100 und 200, kann und will die BVG nicht verzichten. Allenfalls punktuelle Zugeständnisse für einen besseren Ausblick der Fahrgäste wurden in Aussicht gestellt. Das kann nach unserer Auffassung nicht das letzte Wort sein, zumal der Fahrgast auch noch die Selbstdarstellung der Fahrzeugindustrie ertragen muß. Bei neuen Bussen der Firma MAN blickt der Fahrgast statt nach vorne auf die Straße in weiße Punkte und in das sich ständig wiederholende MAN-Symbol, womit die Innentrennscheiben zwischen Tür und Fahrgastsitzen verziert sind. Ein Schildbürgerstreich, den sich nur Werbemanager ausdenken können, die selbst niemals als Fahrgast mit ihren eigenen Produkten unterwegs sind. Der BVG kann hier zwar nicht die Schuld gegeben werden, da es sich um Serienfahrzeuge handelt, die ausnahmslos in dieser Ausstattung geliefert werden. Dennoch sollte die in diesem Falle als Kunde auftretende BVG gegenüber dem Hersteller MAN auf Abänderung drängen, was Herr Lawerenz auch anzugehen versprach.
Nachfragen gab es auch zum Stand der bereits länger angekündigten Bus-Beschleunigung durch Eingriffsmöglichkeiten in Ampelphasenumläufe. Auf der Linie 101 soll „eventuell" im November eine solche Eingriffsmöglichkeit an ausgewählten Ampelanlagen in Betrieb gehen. Man rechnet zunächst jedoch nicht mit wesentlichen Fahrzeiteinsparungen, sondern lediglich mit einer Stabilisierung des Fahrtablaufes. Das Programm soll weiterverfolgt und im Anschluß auf die Linien X69, 194 und 227 ausgedehnt werden.
... für eine Anschlußsicherung auch an Sonntagen im Tagesverkehr wurden positiv aufgenommen, aber vom technischen Einsatzvermögen des RBL abhängig gemacht. Die Kritik an lange Zeit nicht ausgewechselten Linienplänen in Wartehallen (sollte innerhalb von zwei Wochen nach Fahrplanwechsel geschehen) und die Klagen über verpaßte Bus Anschlüsse bei hintereinander an Haltestellen stehenden Bussen (die Fahrer sollten eigentlich einen Anschluß gewährleisten) wurden mit den Worten der Prüfung und Besserung entgegengenommen. Abgeschlossen wurde die Veranstaltung mit einer Präsentation eines Kundendienstseminars für das Fahrpersonal. Ein speziell entwickeltes Berliner Modell wertet Fahrgastbefragungen aus und läßt die Ergebnisse in das Schulungsprogramm einfließen, nach dem Motto: „Was erwartet der Fahrgast vom Busfahrer?". Das erarbeitete Modell der BVG hat sich bewährt und wird von anderen ÖPNV-Betrieben übernommen. Diesbezüglich positiv konnte der Veranstaltungsmoderator, Herr Wieseke von der IGEB, die Fahrgastsprechstunde schließen, waren doch diesmal Klagen über rüdes und grob falsches Verhalten von Busfahrern fast ausgeblieben.
IGEB, Abteilung Stadtverkehr
aus SIGNAL 7/2001 (November 2001), Seite 12-13