Fernverkehr

DB AG-Tarifsystem ab 2002 billiger und einfacher?

Zum geplanten neuen Tarifsystem der Deutschen Bahn AG


IGEB

1. Nov 2001

Neues Tarifsystem ab Dezember 2002

Zunächst wurde das neue Tarifsystem von vielen, auch von den Fahrgastverbänden, überwiegend positiv bewertet. Wegen der vielen Schwächen des derzeitigen Systems stieß die Werbung der Bahn, das neue System würde für viele billiger und zudem einfacher, auf offene Ohren. Aber dennoch sollte das neue System genauer an seinen eigenen Ansprüchen gemessen werden.

Der Einführung von Relationstarifen stimmen wir grundsätzlich zu. Diese Relationspreise dürfen jedoch nicht teurer sein als die heutigen Preise, ihre Ermittlung muss für den Bahnkunden nachvollziehbar sein. Einige Punkte des neuen Systems kann man - gerade in Hinblick auf die Konkurrenz Auto - nur begrüßen, etwa die kostenlose Mitnahme von Kindern bis 12 Jahren in Begleitung der Eltern oder die günstigen Mitfahrertarife. Diese Vorteile werden aber mit diversen Nachteilen erkauft.

Bahncard 50% beibehalten!

Die Abschaffung der Bahncard 50% halten wir für falsch. Für viele bisherige Stammkunden werden wegen des auf 25% reduzierten Rabattes die Fahrkarten um 50% teurer. Diese Ermäßigung kann sich zwar erhöhen, denn die neue Bahncard kann auch auf die zukünftigen Rabattangebote angerechnet werden. Jedoch gelten diese stets nur unter bestimmten Bedingungen. Vielen Stammkunden bringen diese Rabatte nur wenig Nutzen:

Für Reisende, die nur in Nahverkehrszügen unterwegs sind, sind gar keine Frühbucherrabatte vorgesehen. In Relationen wie Berlin - Rostock oder Berlin - Görlitz werden Stammkunden dreifach bestraft: sie werden in oft vollen Zügen ohne Reservierungsmöglichkeit mit teilweise niedriger Reisegeschwindigkeit befördert und müssen zukünftig noch mehr dafür bezahlen.

Auch für andere bisherige Bahncard-Nutzer im Regionalverkehr, etwa Kunden, die bis zu dreimal pro Woche zwischen Wohn- und Arbeitsort pendeln oder Wochenendausflügler ins Umland wird es um die Hälfte teurer. Vergessen wird bei Diskussionen, daß auch keineswegs jeder Fernverkehrsreisende in den Genuß der neuen Rabatte kommt. Die Durchschnittsreiseweite im Fernverkehr liegt bei derzeit 230 Kilometer, mit sinkender Tendenz. Reisen auf solchen relativ kurzen Entfernungen werden von den wenigsten lange im voraus geplant. Ohne Vorausbuchung und Festlegung auf einen Zug gibt es aber keine weiteren Rabatte. Daher fordern wir die Erhaltung der Bahncard 50 % (neben der neuen Bahncard 25 %). Unabhängig davon begrüßen wir Planungen, die Bahncard zum Beispiel durch Anerkennung in allen Verbünden und andere Maßnahmen zu einer „Mobilitätscard" aufzuwerten.

Die Kontigentierung kann die Fahrgäste teuer zu stehen kommen

Der Wegfall bisheriger Vergünstigungen soll durch ein System aus Vorausbuchungsrabatten kompensiert werden. Die sind an recht restriktive Bedingungen geknüpft. Insofern sind die Verbilligungen im neuen Preissystem zu relativieren, weil die dafür erhaltenen Leistungen nicht den heutigen entsprechen. Die Rabatte sind nicht nur vorausbuchungspflichtig und an die Festlegung auf einen bestimmten Zug gebunden, sie sind zudem kontigentiert, daß heißt nur im begrenztem Umfang erhältlich. In Schwachlastzeiten wird dies kein Problem sein, aber ein Wochenendpendler wird am Freitag oder Sonntag Schwierigkeiten bekommen, billige Fahrscheine zu erhalten.

Dies ist ein durchaus gewünschter Effekt seitens der Bahn, um die Auslastungsspitzen zu senken. Hartmut Mehdorn in der Zeitschrift „mobil", Heft 8/01: „Ja, das müssen wir machen, wenn wir mehr Menschen auf die Bahn holen wollen. Es ist doch unsinnig, in Zügen, die zu 120 oder 130 Prozent besetzt sind, immer noch 50 Prozent Rabatt zu geben. Deshalb werden wir da, wo die Züge voll sind, nur noch wenig Rabatte geben, und da, wo die Züge leerer sind, gibt es mehr als heute. Dann entscheiden sich Leute, die flexibel sind und längerfristig planen können, statt freitags abends schon am Vormittag oder am Donnerstag zu fahren und sparen dabei noch eine Menge Geld. So wird es auch für alle angenehmer und bequemer."

Das klingt zunächst plausibel, bei näherer Betrachtung wird klar, daß die auch bei den Bahnkundenvereinen weitverbreitete Annahme, mit den neuen Tarifen oft billiger zu fahren, sich mit großer Wahrscheinlichkeit als falsch erweisen wird. Die wenigsten Leute fahren aus Spaß zu Spitzenzeiten, sondern weil zum Beispiel ihre Arbeitszeitregelung das erfordert. Ihnen droht eine kalte Tariferhöhung durch die Kontigentierung beim Wegfall bisheriger Rabatte.

Aus marktwirtschaftlicher Sicht bleibt die Frage, ob ein Unternehmen, das mehr Kunden haben möchte, gut beraten ist, wenn es eine Änderung ihrer Gewohnheiten verlangt. Viele dieser Kunden verfügen über ein Verkehrsmittel, das unabhängig von Reisezeit und Vorausbuchung immer gleich viel kostet.

Kontigentierte Fahrkarten können nur bis zum Ablauf der jeweiligen Vorausbuchungsfrist zurückgeben werden. Wer seinen Zug verpaßt, kann nicht einfach einen anderen gegen Zahlung des Unterschiedsbetrages nutzen, sondern muß dann neben seiner wertlos gewordenen rabattierten Fahrkarte noch den Vollpreis bezahlen.

Ein einfaches Tarifsystem?

Man muß sich fragen, wie es eigentlich mit der vielbeschworenen Übersichtlichkeit des neuen Systems wirklich ist. Zukünftig hat man ein Nebeneinander aus Grundpreis, Bahncard, Mitfahrerermäßigung und drei Rabatten. Ist das wirklich einfacher?

Noch schlimmer: ein Kunde, der zum Schalter geht, um für eine Reise eine rabattierte Fahrkarte zu erwerben, weiß gar nicht, ob sie dank Kontigentierung überhaupt verbilligt ist. Ein transparentes Preissystem sieht anders aus!

Trickreiche Kunden können auf den Gedanken kommen, statt eines ausgebuchten Kontigents vielleicht ein Kontigent auf Teilstrecken zu nutzen, oder auch mal 1. Klasse zu fahren, wenn dort noch Plätze frei sind. Nahverkehrsreisende, die keinen Vorausbucherrabatte bekommen können, können vielleicht auch ein Stückchen Fernzug mitnutzen. Für Kunden, die schon jetzt die besten Wege durch den vielbeschworenen „Tarifdschungel" finden, bieten sich jedenfalls auch fortan Möglichkeiten. Und das, könnte man, als einen der größten Vorteil des neuen Tarifssystems ansehen.

Sehr zu denken geben die heftigen Reaktion der Bahn auf kritikische Stimmen. So sagte Mehdorn auf eine (inhaltlich korrekte) Kritik: „Wir haben nicht die Absicht, uns die insgesamt positive Resonanz in der Öffentlichkeit auf unser neues Preissystem dadurch zerreden zu lassen, daß wir auf den zu Papier gebrachten Unsinn der so genannten Initiative auch noch eingehen. Da leiden offensichtlich ein paar Leute unter Profilneurose, die wollen wir nicht auch noch fördern. Wir haben das Papier wegen der zahlreichen Falschbehauptungen unseren Rechtsanwälten übergeben."

Statt Preiserhöhungen die Wünsche der Kunden bedienen

„Für Millionen Menschen wird Bahnfahren billiger" wie die Deutsche Bahn AG es nennt, mag für einen Teil der Kunden zutreffen. Für Millionen andere Kunden, sei es, weil sie Regionalzüge nutzen oder auf durchschnittlich langen Strecken unterwegs sind oder weil sie zeitlich nicht flexibel sind, wie die Bahn es gerne hätte, sei es, weil ihre Sonderangebote wegfallen, wird es keineswegs billiger. Für Millionen Stammkunden wird es teurer.

Maßnahmen wie Kontigentierung mögen vielleicht kurzfristigen Rentabilitätsinteressen der Bahn dienen. Ob sie auf lange Sicht mehr Kunden anlocken darf aber bezweifelt werden. Dieses ist letztlich nicht nur zum Nachteil für die Bahn, sondern trägt (worauf wir als Fahrgastverband achten müssen) auch nicht zu einer nachhaltigen Verkehrswende bei. Wir brauchen eine Bahn, die sich durch Vorhalten des entsprechenden Wagenmaterials und angemessener Netzkapazitäten auf regelmäßige Nachfragespitzen einstellen kann, und darauf nicht nur mit verkappten Preiserhöhungen reagiert.

IGEB

aus SIGNAL 7/2001 (November 2001), Seite 17