Berlin

Berliner Busbeschleunigung im Rückwärtsgang


Bund für Umwelt und Naturschutz – BUND Berlin

6. Mai 2013

Seit mehreren Jahren sind Standards Teil der Berliner Nahverkehrsplanung. Mit Kenngrößen über die Entfernung zur nächsten Haltestelle oder Reisezeiten zwischen Bezirkszentren werden Defizite im Angebot aufgedeckt und Verbesserungen geplant. In einer Präsentation zum Nahverkehrsplan 2010-2014 hieß es: „Standards haben sich überwiegend bewährt und werden erfüllt, sie sichern eine hohe Qualität des Berliner ÖPNV“.

Eine hohe Qualität, die aber für wesentliche Bereiche des Berliner ÖPNV nur auf dem Papier steht. In der Realität erlebt man, dass gerade auch auf Metrobus-Korridoren mit planmäßig sehr gutem Angebot der Frust bei den Fahrgästen tief sitzt.

M 48/M 85 im 5-Minuten-Takt – theoretisch

Ein großes Problem bei den Busspuren in Berlin ist, dass die Busse oft durch Lieferverkehr und parkende Pkw behindert werden. Abschleppen (so wie hier am Rathaus Steglitz) und Bußgelder gibt es viel zu selten. Foto: Florian Müller

Die Linien M 48/M 85 sind ein Beispiel für ein hervorragendes Angebot. Tagsüber täglich im 5-Minuten-Takt verbinden sie das Steglitzer Zentrum entlang dicht bewohnter Viertel mit einem großen Einzelhandelsangebot direkt mit dem Potsdamer Platz. Tatsächlich findet der 5-Minuten-Takt eher zufällig oder am Sonntagvormittag statt. Häufig kommen zwei, manchmal drei Busse im Pulk, dazwischen gibt es lange Wartezeiten. Bis man sein Ziel erreicht hat, sind weitere Minuten außerplanmäßig auf der Strecke geblieben. Die tatsächliche Gesamtreisezeit kann so nur mit Mühe mit dem Fahrrad konkurrieren. Und dies 13 Jahre (!) nach Vereinbarung des Busbeschleunigungsprogramms. Wie konnte es dazu kommen?

Bei Straßenbahnprojekten fließt selbstverständlich viel Energie in die Planung der Trasse und der Haltestellen – auch wenn das Ergebnis nicht immer zufriedenstellend ist. Bei Bussen begnügen sich die Verantwortlichen zumeist mit dem Aufstellen von Haltestellenmasten und lassen den Bus ansonsten

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im Verkehr „mitschwimmen“. Teilweise werden Busspuren eingerichtet, jedoch nicht zusammenhängend und mit ständig wechselnden zeitlichen Begrenzungen.

Das Busbeschleunigungsprogramm hat sich vor allem auf Ampelschaltungen konzentriert. Doch das reicht nicht. Auch gut funktionierende dynamische Grünphasen – wenn Sie nicht von der Verkehrsleitzentrale auf Grund „besonderer Verkehrslage“ abgeschaltet werden – nutzen nichts, wenn der Bus vor der Ampel im Stau steht.

Entlang der Strecke des M 48 gibt es einige größere Staufallen wie z. B. die Kreuzung Zehlendorf Eiche, die eine grundsätzliche Frage nach der Priorisierung der Verkehrsarten aufwerfen. Daneben gibt es aber auch viele kleine Mängel, die die Busse an ihrer zügigen Fahrt hindern und denen offenbar wenig Beachtung geschenkt wird. Viele einzeln betrachtet unscheinbare Verzögerungen summieren sich hier zu Unregelmäßigkeiten von mehreren Minuten, die Pulkbildung und lange Wartezeiten auch ohne Staus verursachen.

Haltestellen zu weit hinter den Kreuzungen

Die erfreuliche Zunahme beim Radverkehr wird für die Busbeschleunigung zum Problem. Dort, wo es möglich ist, muss die Busspur so breit sein, dass der Bus den Radfahrer überholen kann, ohne die Busspur verlassen zu müssen. Foto: Marc Heller
Die Geltungsdauer der Busspuren auf dem Straßenzug Potsdamer/Haupt-/Rheinstraße ist uneinheitlich und viel zu kurz. Oft ist am Sonnabendmittag ähnlich viel Verkehr wie zum Beispiel am Mittwochnachmittag. Foto: Marc Heller

Einer der unscheinbaren Mängel sind zu weit hinter einer Kreuzung liegende Haltestellen, die zwischen Kreuzung und Haltestelle einige (gefühlt) legale Halteplätze für Pkw und Lieferwagen zulassen und ein geradliniges Anfahren der Haltestellen unmöglich machen; Beispiele sind die Haltestellen Hähnelstraße und Kärntner Straße Richtung Mitte und Bülowstraße Richtung Steglitz, wo sogar extra ein Bereich zum Be- und Entladen zwischen Kreuzung und Haltestelle ausgewiesen ist. Teilweise wird dies mit Grundstücksausfahrten begründet, doch muss man fragen, ob die von der Kreuzung abgerückte Lage immer die einzig mögliche Lösung darstellt.

Insgesamt ist die Sichtbarkeit der Haltestellen als Zugangsstellen für Fahrgäste unzureichend. Die Ausstattung der Haltestellen des „Premiumprodukts“ Metrobus beschränkt sich oft auf einfache Haltestellenmasten, die allzu leicht(fertig) übersehen werden. Notwendig wären gut erkennbare „Bussteigkanten“ mit Sonderborden, die direkt hinter der Kreuzung beginnen mit gut sichtbarer Ausweisung und Markierung des Halteverbots.

Ein weiterer Mangel sind Busspuren, die 50 m vor einer Kreuzung enden, um Platz für eine Abbiegerspur zu schaffen (Kaisereiche, Ben-Gurion-Straße). Das Problem sind weniger die fehlenden 50 m, sondern ein psychologischer Effekt: Staut sich der Verkehr tatsächlich, ist die Hemmschwelle für Autofahrer, vorzeitig auf die ohnehin in Sichtweite endende Busspur auszuweichen, sehr niedrig. Stehen erst einmal mehrere Pkw auf der Busspur, macht sich zum Beispiel auf der Rheinstraße der am Breslauer Platz nachfließende Individualverkehr gar nicht mehr die Mühe, sich links von der Busspur einzuordnen. Das Ergebnis: Zu Zeiten, wo die Busspur ihre Wirkung wenigstens bis zum Ende der Markierung entfalten könnte, ist sie schnell selber zugestaut.

Busspurzeiten zu kurz und unübersichtlich

Zur Akzeptanz der Busspuren tragen auch nicht die ständig wechselnden, in kleiner Schrift auf die Verkehrsschilder gedruckten Geltungsdauern bei. Man müsste als Autofahrer anhalten, um kurz zu studieren, ob das Befahren der Busspur gerade legal ist oder nicht.

Spurlos an manchen Busspuren vorbeigegangen ist auch der Wandel des Verkehrsaufkommens. Einkaufs- und Freizeitverkehr haben an Bedeutung zugenommen, die Arbeitszeiten verteilen sich breiter über 6 oder 7 Tage in der Woche. Der Verkehr auf der B1 ist am Sonnabendmittag nicht von Mittwochnachmittag zu unterscheiden. Viele Busspuren sind jedoch am Wochenende aufgehoben. Notwendig wären durchgehende Busspuren mit einheitlicher ausgedehnter Geltungsdauer.

Auch muss die Sichtbarkeit der Busspur weiter verbessert werden. In New York werden z. B. reflektierende Noppen zusätzlich zur dicken durchgezogenen Linie auf dem Fahrbahnbelag getestet. Die Lichtpunkte signalisieren dem Verkehrsteilnehmer auch in der dunklen Jahreszeit: Achtung, dies ist ein Sonderstreifen.

Konflikte zwischen Bus- und Radverkehr

Berlin erlebt einen aus vielen Gründen erfreulichen Aufschwung des Fahrradverkehrs. Die Busbeschleunigung aber stellt dies vor eine neue Herausforderung. Bei der üblichen rechtsseitigen Anordnung der Busspur ist es natürlich, dass auch Fahrradfahrer diese benutzen. Sie ist aber in ihrer Breite meist nicht darauf ausgelegt (und kann i.d.R. auch nicht entsprechend ausgelegt werden), dem Bus das Überholen von Radfahrern in der Spur zu erlauben. Der Busfahrer hat die Wahl, die Busspur zu verlassen oder im Fahrradtempo hinterher zu fahren. Das Ziel der Busbeschleunigung ist so nicht zu erreichen.

Ein eklatantes Beispiel ist der Innsbrucker Platz. Mitten in einer riesigen Verkehrswüste kommen sich Radfahrer und Busse auf der Busspur nach Norden ins Gehege, obwohl ringsum reichlich tote Abstandsfläche verfügbar und die daneben liegende überlange Linksabbiegerspur nicht annähernd ausgelastet ist.

An vielen Haltestellen lassen die BVG-Busfahrer die Fahrgäste bereits vorne und hinten einsteigen, um den Aufenthalt an der Haltestelle nicht unnötig zu verlängern. Doch allzu oft verlängert der Zwang zum „Vorne-Einstieg“ die Fahrzeit der Busse. Foto: Marc Heller

Fahrradfahrer suchen Wege mit wenig Fahrwiderstand (glatter Fahrbahnbelag, möglichst wenige Ampeln) und meiden Umwege. Das müssen nicht zwangsläufig die Hauptstraßen sein, die auch für den Busverkehr von herausragender Bedeutung sind. Dort, wo dem Bus Priorität eingeräumt werden soll, müssen parallele Straßen fahrradfreundlich gestaltet werden. Beispiel Hauptstraße: Vom Innsbrucker Platz zum Zentrum Schönebergs würde sich die Ebersstraße als Umfahrung anbieten. Doch Kopfsteinpflaster im Norden und Süden der Straße, die Sperrung vor einer Schule auch für Radfahrer und die zweifelhafte Ampel an der Ebers- und Feurigstraße machen diese Route unattraktiv im Vergleich zur Busspur auf der Hauptstraße.

Die Schloßstraße hingegen ist seit ihrem Umbau gerade für Radfahrer attraktiv. Auch wenn man die Lösung mit nur einer Fahrspur für motorisierten Individual-, Liefer- und Busverkehr grundsätzlich akzeptiert, kann man die jetzige Situation für die Busse nicht hinnehmen. Man fragt sich, ob in der Verkehrsverwaltung bekannt ist, dass in der südlichen Schloßstraße 24 Busse pro Stunde und Richtung verkehren. Am Walther-Schreiber-Platz überstaut sich vor allem abends und Sonnabends die Linksabbiegerspur zu den Parkhäusern der Einkaufszentren, so dass der Abfluss aus der Schloßstraße über den Walther-Schreiber-Platz dicht ist und auch die Busse stecken bleiben. An der Schildhornstraße wurde die Haltestelle Richtung Süden aus schwer nachvollziehbaren Gründen statt unter die Brücke (wie in Richtung Norden) in die Rechtsabbiegespur gelegt, die auch der Zufahrt zum Parkhaus des „Boulevard Berlin“ dient. Hier benötigen die Busse, wiederum vor allem sonnabends ein oder zwei Ampelumläufe allein beim Vorrücken an die Haltestelle. Der Metrobus verliert gegen den Parkhausverkehr!

Notwendig wäre eine konsequente Zuflussregelung für die Schloßstraße. Von außen darf nur so viel Verkehr eingelassen werden, dass sich auf dem kritischen Abschnitt ein mit mäßigem Tempo fließender Verkehr ergibt. In der Zufahrt benötigen die Busse zwingend eigene Fahrstreifen, die konsequent durchgesetzt werden müssen. In der Schloßstraße selbst dürfen die geradeaus fahrenden Busse nicht durch Abbiegespuren geführt werden.

Dauerärgernis Vorne-Einstieg

Ein weiteres Thema hängt nicht direkt mit der „Trassenführung“ zusammen, wohl aber mit dem System Metrobus. Einstieg und Fahrscheinverkauf sind ein ewiges Thema in Berlin, aber es muss hier wiederholt werden: Auch durch den Zwang zum Vorne-Einstieg sind die Busse nicht so zügig und nicht so zuverlässig unterwegs, wie es für die im Nahverkehrsplan angesprochene „hohe Qualität“ notwendig wäre. Zumindest bei Metro- und Expressbussen muss der Schwerpunkt auf die Beförderungsgeschwindigkeit gelegt werden. Das heißt: kein Fahrscheinverkauf im Bus und Ein-und Ausstieg an allen Türen, wie es in vielen anderen europäischen Großstädten üblich ist. Der Fahrscheinverkauf im Bus ist praktisch für Touristen und Gelegenheitsfahrer, kostet aber alle Stammkunden Zeit. Und die BVG kostet es Einsatzzeit für Fahrer und Busse – häufig nicht eben billige dreiachsige Doppeldecker.

Als die Stadt Hamburg vor einiger Zeit ein umfassendes Beschleunigungsprogramm für ihre eigenen Metrobuslinien ankündigte, kam in Fachkreisen die Reaktion: So wie in Berlin solle die Busbeschleunigung in Hamburg nicht werden. Eine Verbesserung von im Mittel 0,08 km/h habe der Bund der Steuerzahler 9 Jahre nach Start des BVG-Beschleunigungsprogramms ausgemacht. Man muss annehmen, dass sich potenzielle Kunden im Umfeld der Metrolinien heute nicht für den ÖPNV entscheiden, weil sie eine Vorstellung von der realen Qualität haben. Die Zuverlässigkeit und Geschwindigkeit vieler Metrobusse ist in der Tat unzureichend, weil es am politischen Willen fehlt, den Busverkehr wirklich zu priorisieren. Des Weiteren weil der Systemansatz fehlt, der Fahrspuren, Abbiegeströme, Haltestellen, Ampeln, Rad- und Fußgängerverkehr gesamthaft betrachtet und den Bussen eine durchgehend freie Trasse durch das Verkehrsgeschehen schafft.

Viele der hier aufgeführten Punkte wurden auch in der Ausarbeitung des Nahverkehrsplans 2010-2014 debattiert, der aber nie beschlossen wurde und der auch im Jahr 2013 noch keine konkreten Maßnahmen im Metrobusbereich zur Folge hatte. Für den Nahverkehrsplan 2014-2018 können wir nur auf eine schonungslose Bewertung von Anspruch und Wirklichkeit der Qualität der Metrobusse hoffen und alle Beteiligten und Betroffenen aufrufen, sich für die Festschreibung und Umsetzung von konkreten Verbesserungen zu engagieren.

 

Schlaglicht

Eine junge Frau steigt in den 123er und beschwert sich beim Busfahrer, dass ihr der Bus vorher vor der Nase weggefahren sei (weil zu früh) und dieser auch schon wieder drei Minuten vor der angegebenen Abfahrtszeit kommt. Der Busfahrer antwortet ruhig, dass er mitnichten drei Minuten zu früh sondern 37 Minuten zu spät sei und dass es sich mit seinem „Vorgänger“ wohl auch so verhalten hätte.

Diese Szene wirft zwei Fragen auf:

  1. Was hat die Busbeschleunigung gebracht, wenn die Busse ihren Bezug zum Fahrplan völlig verloren haben und mit realen Verspätungen von 30 bis 60 Minuten unterwegs sind?
  2. Wieso ist es mit moderner Betriebsleittechnik nicht möglich, dem Fahrer einer im 20-Minuten-Takt verkehrenden Linie mitzuteilen, bei 37 Minuten Verspätung bitte noch drei Minuten stehen zu bleiben, um dann wenigstens die Fahrgäste mitzunehmen, die noch Hoffnung in den veröffentlichten Fahrplan setzen?

Bund für Umwelt und Naturschutz – BUND Berlin

aus SIGNAL 2/2013 (Mai 2013), Seite 18-20