Jan Gympel
In Hamburg gibt es seit Ende 2012 eine neue, vierte U-Bahn-Linie. Allerdings sind nur zwei der von ihr bedienten Stationen neu, und eine dieser beiden wird vorerst nur an wenigen Stunden in der Woche angefahren. Die neuen U-Bahnhöfe sind Schmuckstücke – allerdings auch hinsichtlich der Kosten.
6. Mai 2013
Keine deutsche Stadt, so hat man oft den Eindruck, hadert mit dem Wiederaufstieg Berlins im vereinten Deutschland so sehr wie Hamburg. Nicht nur, aber auch deshalb kommt es vielen Hanseaten sicher gelegen, wenn Hamburg mit der Umgestaltung und dem Ausbau der Speicherstadt und ihrer Umgebung zur „HafenCity“ eines der aktuell größten Stadtentwicklungsprojekte Deutschlands vorweisen kann.
Wo man sich so der Zukunft zugewandt zeigt, hätte das neue Viertel natürlich mit einem zeitgemäßen Verkehrsmittel erschlossen werden sollen: mit einer modernen Nachfolgerin der 1978 stillgelegten Hamburger Straßenbahn. Doch der Senat aus CDU, FDP und Schill-Partei,
der nach den Bürgerschaftswahlen im Herbst 2001 gebildet wurde, hielt nichts von einer Tram, auch nicht in einem Stadtteil, der weitgehend neu entsteht, wo also die meisten Straßen erst einmal angelegt werden müssen. Stattdessen setzte die konservative Stadtregierung auf die U-Bahn.
Deren Netzerweiterung ging selbst in den fetten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg nur vergleichsweise langsam voran. Anders als die „Frontstadt“ West-Berlin konnte Hamburg bis zum Inkrafttreten des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes im Jahre 1971 nicht auf üppige Förderung durch den Bund zählen. Und hinter dem Stadtstaat stand kein Bundesland, das den teuren Tunnelbau finanziell unterstützt hätte. So entstanden zwischen der Wiederaufnahme des Hamburger U-Bahn-Baus 1955 und der Eröffnung der U 4 nur die Strecke der heutigen U 1 von Jungfernstieg bis Wandsbek Gartenstadt (rund 9,6 Kilometer) sowie nahezu die gesamte heutige U 2 (rund 24,3 Kilometer, davon etwa 2,5 Kilometer Vorkriegsbestand) neu; ferner wurde nördlich von Ochsenzoll die Alsternordbahn von der U 1 abgelöst (rund 4 Kilometer). Zum Vergleich: In Berlin wurden seit 1953 mehr als 65 Kilometer, in München seit 1965 mehr als 103 Kilometer U-Bahn-Strecke gebaut.
Ab 1973 ruhte der U-Bahn-Bau in Hamburg sogar für sechs Jahre ganz: Angesichts der desolaten Finanzlage der Hansestadt hatte die FDP, die nach der Bürgerschaftswahl 1974 der SPD das Weiterregieren ermöglichte, verhindert, dass mit dem unmittelbar bevorstehenden Bau der damals geplanten U 4 begonnen wurde. Die Strecke sollte von der Winterhuder U 1-Station Sengelmannstraße (wo bis heute ein ungenutzter Bahnsteig von diesen Plänen zeugt) durch die City Nord, den Stadtpark, die Uhlenhorst, Hohenfelde und St. Georg zum Hauptbahnhof führen, Altstadt, Neustadt und St. Pauli ebenso durchqueren wie Altona – wo sie den Fernbahnhof angebunden hätte –, Ottensen und Lurup, um schließlich das an der westlichen Peripherie liegende Neubaugebiet Osdorfer Born zu erreichen. In den Stationen Hauptbahnhof Nord und Jungfernstieg waren neben den Bahnsteigkanten für die heutige U 2 bereits weitere Gleiströge für diese U 4 errichtet worden (der Streckentunnel zwischen diesen Stationen sollte von vornherein nur zweigleisig bleiben).
Immerhin konnten diese Fehlinvestitionen nun doch noch teilweise genutzt werden: Die neue, am 28./29. November 2012 eröffnete U 4 in die Hafencity (der reguläre Linienbetrieb begann erst am 9. Dezember 2012) setzt am Bahnhof Jungfernstieg an. In dieser – bei der Gelegenheit renovierten und leicht modernisierten – Station verkehrt sie dort, wo die alte, unrealisiert gebliebene U 4 hätte halten sollen. In der 1968 eröffneten, in 30 Meter Tiefe liegenden Station Hauptbahnhof Nord ebenso zu verfahren, war nicht möglich, da dort 2006 (!) in die ungenutzten Gleiströge Aufzüge eingebaut worden waren.
Zwischen Jungfernstieg und ihrem östlichen Endpunkt Billstedt fährt die neue, etwa 12,2 Kilometer lange U 4 auf der bisher nur von der U 2 (bis 2009 nur von der U 3) genutzten, stark frequentierten Strecke nach Mümmelmannsberg. Vorerst alle zehn Minuten verkehrend, stellt sie dort eine willkommene Taktverdichtung dar. Um diese Strecke an die U 2 und die U 4 anbinden zu können, war 2005 bis 2009 mit einigem Aufwand der Tunnel westlich der Station Berliner Tor umgebaut worden (vgl. SIGNAL 4/2005 ).
Westlich des Bahnhofs Jungfernstieg beginnt die neugebaute Strecke. Sie vollzieht quasi einen 180-Grad-Bogen, um in die südlich des Stadtkerns gelegene Hafencity zu gelangen. Für die alte U 4, die bis Altona mehr oder weniger geradlinig nach Westen verlaufen sollte, war die unterirdische City-S-Bahn in den 1960er Jahren eigens weiter nach Süden gerückt worden als ursprünglich geplant. Im Ergebnis liegt der 1975 eröffnete S-Bahnhof Stadthausbrücke nur rund zweihundert Meter vom 1912 in Betrieb gegangenen Hochbahnhof Rödingsmarkt entfernt. Dafür gibt es eine deutliche Lücke in der Erschließung der Neustadt, dem westlichen Teil des alten Stadtkerns, mit Schnellbahnen.
Diese durch die Streichung der alten U 4 gerissene Lücke hätte die neue U 4 füllen können, auch wenn sie anders trassiert wurde: Sie durchquert das fragliche Gebiet – doch sie hält dort nicht, weder an der Kaiser-Wilhelm-Straße noch am Großneumarkt. Stattdessen geht die Fahrt von Jungfernstieg nonstop in vier Minuten durch eine von zwei im Schildvortriebsverfahren gebaute Röhren zum neuen U-Bahnhof Überseequartier.
Dessen Perron befindet sich rund 20 Meter unter dem neuen, zum Zwecke des Hochwasserschutzes erhöhten Geländeniveau. Die große Tiefenlage und die offene Bauweise wurden genutzt, um eine mit zehn Metern – zumindest für Hamburger Verhältnisse – ungewöhnlich hohe Bahnsteighalle zu errichten. Das Darmstädter Büro „netzwerkarchitekten“ verkleidete sie mit Fliesen und Blechen, die zum Boden hin dunkelblau sind, zur Decke hin heller werden und schließlich in Silberfarbe übergehen, welche die gesamte, ebenfalls lichtreflektierende und auch daher sehr bewegt wirkende Decke prägt. So soll der Eindruck entstehen, als befinde man sich im Wasser. Auch die meisten anderen Auf- und Einbauten, die Bodenfliesen und die Möblierung sind silbergrau. Der Raum wirkt hell, frisch und freundlich. Die Bahnsteighalle ist stützenfrei konstruiert, was allerdings insbesondere durch die zahlreichen Stützen der Beleuchtungsanlage nicht recht zur Geltung kommt. Wie bei der Hamburger U-Bahn üblich, wird der Stationsname an den Hintergleisflächen in vergleichsweise kleiner Schrift angegeben und bleibt daher unauffällig.
In Überseequartier müssen die Fahrgäste die Züge auch schon verlassen, jedenfalls an den meisten Tagen und bis auf weiteres. Die folgende Station, 520 Meter entfernt und in etwas eigenwilliger Schreibweise „HafenCity Universität“ betitelt, wird vorerst nur sonnabends, sonn- und feiertags zwischen zirka 10 und 18 Uhr mit Passagieren angesteuert, vornehmlich um es ihnen zu ermöglichen, den U-Bahnhof zu besichtigen. Nichtsdestoweniger fahren alle Züge bis zu dieser Station, um den dort befindlichen doppelten Gleiswechsel zum Kehren zu nutzen. Erst im Herbst 2013, wenn der Teil-Namensgeber Universität seinen hiesigen Standort eröffnet haben wird, soll der ständige Fahrgastbetrieb aufgenommen werden.
Die – wiederum stützenfreie – Bahnsteighalle liegt nicht ganz so tief wie in Überseequartier, ist mit 135 Metern noch zehn Meter länger als dort und ebenfalls zehn Meter hoch. Das scheint hier auch notwendig, besitzt die Station doch die ungewöhnlichste, ja mutigste Gestaltung aller Hamburger U-Bahnhöfe. Entworfen wurde sie von den Büros Raupach Architekten, Pfarré Lighting Design sowie Stauss & Pedrazzini – lauter Münchnern, was insofern nicht verwundert, als die U-Bahn der bayerischen Landeshauptstadt in den vergangenen zwanzig Jahren die kühnste, brillanteste und wegweisendste Tunnelbahnhofsarchitektur Deutschlands erhalten hat.
In Hamburg nutzte man zur Verkleidung dunkelbraune Metallplatten, durch deren Oberflächenbehandlung Wände und Decken auf unaufdringliche Weise bewegt erscheinen. Wichtiger ist das – München-typisch – spektakuläre Beleuchtungskonzept: In Längsrichtung hängen über dem Bahnsteig zwölf Leuchten in den Abmessungen gängiger Zwanzig-Fuß-(Schiffs-)Container. Hinter der Milchglasverkleidung ihres Stahlgerüsts leuchten LEDs in Farben, die der Tages- oder der Jahreszeit entsprechend verändert werden können und von den Wandverkleidungen – in die der Stationsname eingestanzt wurde – reflektiert werden.
Die Decke der Bahnsteighalle geht an deren beiden Enden nahtlos in jene der Zugangsgeschosse über, die folglich galerieartig zur Bahnsteighalle hin geöffnet sind – zumindest optisch, ist doch in Hamburg die hysterische Angst vor Bränden in Tunnelstationen besonders ausgeprägt, weshalb Glaswände eingebaut wurden. Die Zugangsbereiche sind mit silberfarbenen Metallplatten verkleidet und wie der Bahnsteig mit hellen Bodenfliesen ausgestattet, bei denen geraten werden darf, wie lange sie gut aussehen.
Die Neubaustrecke ist vier Kilometer lang. Rund 2,8 Kilometer davon wurden im Schildvortriebsverfahren erstellt, der Rest in offener Bauweise. Die Bauarbeiten begannen Anfang 2007, wobei der offizielle erste Spatenstich erst am 23. August jenes Jahres stattfand.
Noch vor der Eröffnung verkündete Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, man wolle sich möglichst umgehend an die Verlängerung der U 4 machen: Parallel zum Baakenhafen und entlang der Versmannstraße soll sie weiter nach Westen geführt werden und nach zirka 700 Metern in einer Kurve nach Süden ansteigen, um zunächst in einem offenen Trog und schließlich oberirdisch zu verkehren. Über der Zweibrückenstraße soll dann der neue Endbahnhof entstehen, von der Hamburger Hochbahn AG unter dem Planungstitel „Elbbrücken“ geführt, andernorts auch als „Chicago Square“ bezeichnet. Die Station wird sich direkt an der Norderelbe befinden, neben den Norderelbbrücken und einem Haltepunkt, der in die S-Bahn-Strecke nach Harburg zwischen den Stationen Hammerbrook und Veddel eingefügt werden soll.
Ideen zu einem Zwischenhalt, „Baakenhafen“ oder auch „Versmannstraße“ betitelt, wurden verworfen. So wird der Abstand zwischen der jetzigen und der künftigen Endstation rund 1600 Meter betragen, was bemerkenswert ist, soll das durchquerte Gebiet doch – ebenso wie die Umgebung des Bahnhofs Elbbrücken – dicht bebaut und für Wohnen, Gewerbe und Hotels genutzt werden. Eine Weiterführung der U-Bahn- Strecke über die Norderelbe hinweg nach Süden wäre möglich, ist aber noch völlig offen – sie könnte auf den Kleinen Grasbrook führen (der momentan allerdings weitgehend brach liegt) oder weiter Richtung Veddel, Wilhelmsburg, sogar Harburg.
Der Bau der Verlängerung nach Elbbrücken soll noch 2013 beginnen. Die Fertigstellung ist für 2017/2018 geplant. Als Kosten werden derzeit – inklusive Abstellanlage – knapp 180 Millionen Euro kalkuliert, Bundesmittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) sollen beantragt werden.
Für die jetzt eröffnete Neubaustrecke der U 4 hatte man im September 2008 noch 298 Millionen Euro veranschlagt, davon 126 Millionen Euro GVFG-Mittel. Aus Kostengründen längst aufgegeben worden war zu diesem Zeitpunkt bereits die Überlegung, die U 4 im Osten statt nach Billstedt nach Barmbek zu führen und von dort mit einer Neubaustrecke die Stadtteile Steilshoop und Bramfeld zu erschließen, deren Schienenanbindung seit Jahrzehnten geplant ist. Am Ende schlug die nun in Betrieb genommene U 4-Strecke mit 323,6 Millionen Euro zu Buche, wobei 128,2 Millionen Euro vom Bund kamen.
Hamburgs neue U-Bahn-Linie wird am Ende also mindestens eine halbe Milliarde Euro kosten. Dafür hat man dann rund fünfeinhalb Kilometer Strecke und drei Stationen bekommen. Wieviel Strecken und Haltestellen hätte man – nicht nur in der Hafencity – für das gleiche Geld mit einer Straßenbahn erhalten? Von der freilich nicht nur der einstige konservative Senat nichts wissen wollte – Olaf Scholz hatte sein Amt als Erster Bürgermeister kaum angetreten, da beerdigte er faktisch die schon weit gediehenen Trampläne. Wodurch Hamburg – angesichts der Renaissance der Straßenbahn selbst in Städten wie London und Paris, die einst von allen Tramgegnern als leuchtende Vorbilder angeführt wurden – eine der größten europäischen Kommunen ohne Straßenbahn bleiben dürfte.
Man kann darüber streiten, ob die neue Strecke nicht zu weit südlich durch die Hafencity führt. Wie erwähnt wird der Abstand zwischen ihren beiden letzten Stationen sehr groß sein. Auch in dem neuen Stadtteil soll die Erschließung durch den ÖPNV zu einem großen Teil mit Bussen erfolgen. Sieht so eine zukunftsweisende Verkehrspolitik und Stadtplanung aus?
Bleibt die neue Verknüpfung zwischen Sund U-Bahn an den Elbbrücken (so denn der S-Bahnhof wirklich gebaut wird). Allerdings dürfte sie fast nur für Ziel- und Quellverkehr aus und in die Hafencity genutzt werden: Wozu hier umsteigen, wenn die S-Bahn- Züge aus Harburg etwa ebenso schnell am Hauptbahnhof sind, wo alle Hamburger Uund S-Bahn-Linien zusammentreffen?
Doch immerhin einen Gewinn gibt es für auf‘s Prestige bedachte Hamburger durch die U 4: Mit der jüngsten Streckeneröffnung besitzt die Hansestadt mit 104,7 Kilometern Strecke wieder das nach Berlin größte U-Bahn-Netz Deutschlands. Zwischenzeitlich hatte München den Nordlichtern diesen Rang abgelaufen.
Website der Hamburger Hochbahn AG zur
U 4: u4.hochbahn.de
Dort sind auch die Planfeststellungsunterlagen
für die Verlängerung nach Elbbrücken
einsehbar.
Jan Gympel
aus SIGNAL 2/2013 (Mai 2013), Seite 23-25