Berlin

Bus und Straßenbahn auf gutem Weg

Das modernisierte Personenbeförderungsgesetz


Dr. Anton Hofreiter, MdB (Bündnis 90/Die Grünen) Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Rüdiger Herzog, Büroleiter von Anton Hofreiter

6. Mai 2013

In der Verkehrspolitik kam es Ende 2012 zu einer parlamentarischen Sternstunde. Das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) wurde mit einem überparteilichen Konsens reformiert.

Die Novellierung war dringend nötig, denn das alte Gesetz stand teilweise im Widerspruch zur EU-Verordnung 1370/2007, die seit 2009 unmittelbar geltendes Recht für den Öffentlichen Nahverkehr ist. Die Bundestagsfraktionen von Grünen, Union, FDP und SPD sowie Vertreter der Länder und der Bundesregierung hatten sich im September nach mehreren missglückten Anläufen auf einen Änderungsantrag zum bereits im parlamentarischen Verfahren befindlichen Gesetzentwurf der Bundesregierung geeinigt. Am 2. November passierte der Gesetzentwurf den Bundesrat,

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so dass das Gesetz am 1. Januar 2013 in Kraft treten konnte. Bundestag und Bundesrat modernisierten damit die entscheidende rechtliche Grundlage für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und gaben den Fernbusverkehr in Deutschland frei.

Das PBefG regelt die Beförderung von Personen mit Bussen, Straßenbahnen (darunter fallen auch Hoch- und U-Bahnen) und O-Bussen. Es umfasst die Genehmigung von entgeltlichen und geschäftsmäßigen Beförderungen sowie Betriebs- und Beförderungspflichten von Unternehmen. Flexible Bedienungsformen wie Anrufbusse oder Anrufsammeltaxis erhalten mit dem Gesetz mehr Spielraum.

Das neue Personenbeförderungsgesetz bringt Rechtssicherheit für Verkehrsunternehmen und deren Beschäftigte sowie für die kommunalen Aufgabenträger. Dabei schafft das Gesetz ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem unternehmerischen Interesse der Verkehrsunternehmen, insbesondere auch der kleinen und mittelständischen privaten Unternehmen. Vor allem trägt es der Gestaltungsverantwortung der kommunalen Aufgabenträger für ein attraktives ÖPNV-Angebot Rechnung. Die drei Kernpunkte der Novelle:

ÖPNV und Rechte der Kommunen

Durch die Novellierung wurde die Aufgabenverteilung von Aufgabenträger und Genehmigungsbehörde neu strukturiert. Die Grünen konnten mit der Novellierung eine Stärkung der Aufgabenträger gegenüber den Genehmigungsbehörden, d.h. der kommunalen gegenüber der Landesebene, erreichen.

In der Hand der Aufgabenträger liegen die Nahverkehrspläne und die Erteilung der Linienverkehrsgenehmigungen. Dies erlaubt eine bessere demokratische Kontrolle durch kommunale Parlamente. Die Aufgabenträger können nun Anforderungen an das Verkehrsangebot definieren, wenn sie bereit sind, dieses zu finanzieren. Sollte es kein eigenwirtschaftliches Angebot geben oder dieses von wesentlichen Anforderungen der ÖPNV-Planung des Aufgabenträgers abweichen, kann dieser den Verkehrsauftrag nach Maßgabe der EU-Verordnung Nr. 1370/2007 vergeben.

Durch einen überparteilichen Kompromiss konnte das novellierte Personenbeförderungsgesetz zum 1. Januar 2013 in Kraft treten. Mit den Änderungen wurden die Kommunen als Aufgabenträger des ÖPNV gestärkt, die vollständige Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr mit Übergangsfristen festgelegt und der Fernverkehrsmarkt für Busse geöffnet, leider ohne Einführung einer Maut. Foto: Rüdiger Herzog

Beim Busverkehr kann eine Linie für bis zu zehn Jahre vergeben werden (vorher acht Jahre). Nach deutscher Rechtsprechung sind Liniengenehmigungen ausschließliche Rechte, d.h. nach der Vergabe ist auf der betreffenden Linie während der Laufzeit der Genehmigung kein Konkurrenzbetrieb erlaubt. Die Novelle passte damit das deutsche Recht an die in der EU-Verordnung vorgesehenen Handlungsmöglichkeiten der Aufgabenträger zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, Eigenerbringung und Direktvergabe an.

Aus Sicht der Grünen ist die Stärkung der Aufgabenträger ein wesentliches Ergebnis des Kompromisses. Der Vorrang eigenwirtschaftlicher Verkehre bleibt mit der Novellierung zwar bestehen, die Aufgabenträger erhalten aber Instrumente, um zu verhindern, dass mit dieser Genehmigungsform auch minderwertige Verkehre zugelassen werden müssen. Das Instrument dazu ist die Einfügung von Versagungsgründen.

Dadurch erhält der Aufgabenträger die Möglichkeit, eigenwirtschaftliche Anträge abzulehnen, die deutlich hinter dem von ihm selbst in einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag definierten Standard zurückbleiben.

Konkret: Nach dem ursprünglichen Regierungsentwurf wäre es möglich gewesen, dass ein eigenwirtschaftlicher Antrag mit unregelmäßigen Fahrten und alten Bussen selbst dann genehmigungsfähig gewesen wäre, wenn der Aufgabenträger einen 20-Minuten-Takt mit modernen, emissionsarmen und barrierefreien Bussen wünscht – und dafür auch eine öffentliche Förderung bereitstellt.

Barrierefreiheit

Ergänzt wurde die Novelle um klare Ziele zur Barrierefreiheit im Nahverkehrsplan. Von vollständiger Barrierefreiheit darf nach einer Übergangfrist bis 2022 nur noch in begründeten Ausnahmen abgewichen werden. Selbstverständlich wäre eine kürzere Frist wünschenswert gewesen. Der Kompromiss trägt den hohen Investitionskosten für barrierefreie Infrastruktur Rechnung. Das sind vor allem die zahlreichen alten Bahnhöfe, die nur schrittweise saniert und barrierefrei gestaltet werden können.

Fernbusse sollen künftig auch für mobilitätseingeschränkte Menschen nutzbar sein. Nach angemessener Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2019 müssen sämtliche Fernlinienbusse barrierefrei sein. Neue Fernbusse müssen bereits ab dem 1. Januar 2016 mit mindestens zwei Plätzen für Rohlstuhlnutzer und den entsprechenden Einstiegshilfen (Hublifte) aufgestattet werden.

Marktöffnung für Fernbusse

Der 80 Jahre alte Eisenbahnschutz und damit die grundsätzliche Versagung der Genehmigung für Fernbuslinien entfielen. Im Wettbewerb um den neuen Markt sollen etablierte Verkehrsunternehmen, darunter auch kleine und mittelständische Busunternehmen, ebenso ihre Chance haben wie junge Unternehmen mit innovativen Geschäftsmodellen.

Fernbuslinienverkehr gibt es auch heute schon, insbesondere von und nach Berlin, aber auch grenzüberschreitend oder zu Kurorten. Zwischen Berlin und Hamburg, den beiden Städten mit dem höchsten Fahrgastpotenzial auf der Schiene, fahren bereits seit Jahrzehnten Fernbusse im Linienverkehr, ohne dass dies nennenswerte Auswirkungen auf das Fernverkehrsangebot auf der Schiene hatte. Es ist zu erwarten, dass es – wie in anderen Ländern – zu einem Fernbusliniennetz zwischen allen großen Städten in Deutschland kommen wird.

Ein Unterwegsbedienungsverbot bei einem Haltestellenabstand bis zu 50 Kilometern oder einer Stunde Reisezeit schützt jedoch den öffentlich finanzierten Schienenpersonennahverkehr. Um einen fairen Wettbewerb und die Sicherheit der Fahrgäste zu gewährleisten, gilt besondere Aufmerksamkeit der Qualifikation der Fahrer und der Einhaltung der Sozialvorschriften wie Lenk- und Ruhezeiten. Dazu bedarf es einer wirksamen Kontrolle durch das Bundesamt für Güterverkehr. Den bisherigen Genehmigungsvorbehalt nutzte die DB AG, um selbst zum größten Fernbusbetreiber in Deutschland und – durch den Zukauf von Arriva – auch in Europa zu werden.

Die Grünen werden sehr genau beobachten, ob die Wettbewerbsbedingungen angemessen sind. Falls in erheblichem Maße Personen vom Schienenpersonennahverkehr (SPNV), der vom Bund mit ca. 7 Mrd. Euro pro Jahr gefördert wird, auf Busse umsteigen, wird das Gesetz revidiert werden müssen.

Es spricht allerdings wenig dafür, dass das Geschäftsmodell von Busbetreibern darin liegen wird, in Konkurrenz zum SPNV zu treten. Denn Fernbusverkehre operieren außerhalb von Verbundtarifen, so dass z. B. Zeitkartenbesitzer für die Nutzung von Fernbussen extra zahlen müssen. Für Einzelticketnutzer ist ein solches Angebot nur dann attraktiv, wenn keine Anschlussfahrt im ÖPNV notwendig wird, die dann auch extra zu zahlen sein würde.

Nicht durchsetzen konnten Grüne und Sozialdemokraten die Mautpflicht für Fernbusse. Der Widerstand von Union und FDP gegen eine Bus-Maut scheint ideologisch begründet zu sein. Berechnungen zeigen, dass die Einführung einer Bus-Maut die durchschnittlichen Fahrpreise im Fernbus kaum ansteigen lassen würde. Die Grünen sind davon überzeugt, dass Busse bemautet werden müssen, und werden dieses Ziel weiter verfolgen.

Warum Fernbusse?

Die Grünen begrüßen die Marktöffnung für Fernbusse, weil dadurch sowohl sozial- als auch umweltverträgliche Mobilitätsangebote geschaffen werden. Zu erwarten sind vor allem Umsteiger aus dem motorisierten Individualverkehr, kaum von der Schiene. Das Angebot wendet sich vor allem an preissensible Menschen, die zudem auf den Komfort und den zeitlichen Vorteil des Bahnreisens verzichten können oder müssen. Fernbusse sind daher vor allem für Personen attraktiv, die bisher selbst Auto gefahren oder Mitfahrer in Mitfahrzentralen sind oder die aus Kostengründen gar nicht fahren konnten.

Aus ökologischer Sicht spricht viel für Fernbusse. Im Hinblick auf die CO2-Emissionen ist der Bus sogar das umweltfreundlichste Verkehrsmittel, wie eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamts jüngst bestätigte. Danach lagen im Jahr 2011 die spezifischen CO2-Emissionen pro Kilometer für Busse bei 41,6 g/km, für den Zug bei 57,5 g/km und für Pkw bei 139,1 g/km. Busse stoßen auch niedrigere Schwefeldioxidemissionen aus als Züge. Nachteile weist der Fernbus bei Stickoxidemissionen aus, die allerdings bei Fernbussen mit dem neuesten Umweltstandard (Euro VI) durch einen Stickoxidkatalysator unschädlich gemacht werden. Energetisch ist der Bus gegenüber dem Zug ebenfalls im Vorteil. Während der durchschnittliche Verbrauch pro Fahrgast im Fernbus bei 1,5 l/100 km liegt, sind es im ICE 2,5 l/100 km. Die Ökobilanz der Schiene verbessert sich allerdings durch den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien schneller als bei Bussen. Mittelfristig ist daher davon auszugehen, dass Fernbusse und Züge in Punkto Umweltfreundlichkeit gleichauf liegen werden.

Dr. Anton Hofreiter, MdB (Bündnis 90/Die Grünen) Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Rüdiger Herzog, Büroleiter von Anton Hofreiter

aus SIGNAL 2/2013 (Mai 2013), Seite 26-27