6. Mai 2013
Angebunden an das umstrittene Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ soll zwischen Stuttgart und Ulm mit finanzieller Unterstützung der EU eine Neubaustrecke für 3 Milliarden Euro errichtet werden. Sie soll eine Alternative zu der sehr steigungsreichen Bestandsstrecke über die Geislinger Steige sein und Teil des europäischen Korridors Paris—Bratislava werden. Auf Anfrage der Grünen bestätigte die Europäische Kommission nun jedoch, dass der geplante Abschnitt zwischen Wendlingen und Ulm noch steiler als die bestehende Verbindung werden soll und deshalb „für die Neubaustrecke Gewichtsbegrenzungen bzw. eine stärkere Leistung/Zugkraft erwogen“ werden.
Mit anderen Worten:
Ein normaler Schienengüterverkehr wird dort, wie auch auf der Geislinger Steige, unmöglich sein – und das Projekt wird damit unwirtschaftlich. Denn der Personenverkehr kann die Strecke unter keinen Umständen auslasten, da 70 Prozent der Passagiere im Stuttgarter Bahnhof ein- und aussteigen und gar nicht nach oder von Ulm reisen.
Für viele wichtige Projekte wird kein Geld bewilligt. Das gilt für die Lückenschlüsse von Berlin nach Polen (Swinemünde, Stettin und Breslau) ebenso wie für die Ertüchtigung der Gäubahn von Stuttgart Richtung Zürich oder der Südbahn von Ulm Richtung Bregenz und auch für den Wiederaufbau der in den letzten Kriegstagen durch deutsche Truppen zerstörten Eisenbahnbrücke zwischen Freiburg und Colmar. Aber für einen Bahnhof, der weniger leistungsfähig ist als der existierende Kopfbahnhof, und für eine Neubaustrecke, die steiler ist als die vorhandene, werden 10 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.
Die Antworten der Europäischen Kommission verdeutlichen: All das ist eine milliardenschwere Fehlplanung gegen jeden verkehrspolitischen Verstand.
Unter Bezugnahme auf die Aussagen des für das Vorrangige Vorhaben 17 der Transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN-T) zuständigen Koordinators Péter Balázs vom 26. November 2012 im Verkehrsausschuss sowie zusätzliche schriftliche Erläuterungen vom 11. Dezember 2012 wird die Kommission hinsichtlich des Abschnitts Wendlingen—Ulm um die detaillierte Beantwortung folgender Fragen ersucht:
Antwort: Ausgehend von den ihr vorliegenden Informationen kann die Kommission bestätigen, dass die Neubaustrecke Wendlingen— Ulm (durchschnittliche Steigung: 24,47 ‰ (15,9 km), maximale Steigung: ≤ 31 ‰ (1,47 km)) eine stärkere Steigung aufweist als die Bestandsstrecke über die Geislinger Steige (22,5 mm/m bzw. ‰).
Der Kommission liegen keine Informationen vor, nach denen die in Abschnitt 4.2.4.3 der technischen Spezifikationen für Hochgeschwindigkeitsinfrastruktur festgelegten Anforderungen (siehe: Beschluss 2011/275/EU der Kommission) von der Neubaustrecke nicht erfüllt würden.
Generell sind stärkere Steigungen, insbesondere für Güterzüge, nachteilig, da die Kostenwirksamkeit und somit die Wettbewerbsfähigkeit sehr von einer hohen Transportkapazität pro Zug bezogen auf eine bestimmte Zugkraft und Leistung abhängen.
Der Trend geht daher zu einem größeren Gewicht der Züge und zu längeren Zügen. Eine hohe Transportkapazität pro Zug kann auch für den Infrastrukturbetreiber wichtig sein, um eine hohe Transportkapazität zu erreichen. Aus diesen beiden Gründen wird versucht, starke Neigungen auf für den Güterverkehr wichtigen Strecken (z. B. alpine Basistunnels) zu vermeiden oder zu verringern. Nach Kenntnis der Kommission werden für die Neubaustrecke Gewichtsbegrenzungen bzw. eine stärkere Leistung/Zugkraft erwogen.
Michael Cramer, MdEP, Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament
aus SIGNAL 2/2013 (Mai 2013), Seite 28-29