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Die Berliner Ringbahn im Wettbewerb

SIGNAL-Interview mit Dipl.-Ing. Hans Leister, Geschäftsführer der Connex Regiobahn GmbH.


IGEB/DBV

1. Mär 2003

SIGNAL: Herr Leister, die Connex Regiobahn hat ein Angebot für den S-Bahn-Verkehr auf der Berliner Ringbahn erarbeitet. Wem haben Sie dieses Angebot unterbreitet?

Leister: Connex hat das Angebot für den Verkehr auf der Ringbahn am 20.12.2002 dem Senator für Stadtentwicklung zugeleitet.

SIGNAL: Was hat Sie zur Angebotsabgabe veranlasst?

Im SIGNAL-Interview: Hans Leister

Leister: Connex ist in einigen großen Städten auf der Welt im ÖPNV tätig, so in Stockholm mit der U-Bahn, die wir dort sehr erfolgreich betreiben, in Melbourne mit einem Teil des S-Bahn-Netzes und bald in Boston mit einem der größten Schnellbahnsysteme in Nordamerika. In Deutschland muss der SPNV, also auch der S-Bahn-Verkehr in Berlin, in Zukunft grundsätzlich im Wettbewerb vergeben werden; freihändige Vergaben sind nur in einer Übergangszeit noch möglich. Da lag es nahe, dem Senat ein kreatives Angebot für einen Teil des S-Bahn-Netzes zu machen.

SIGNAL: Stellen Sie bitte Ihr Unternehmen kurz vor.

Leister: Connex ist die Verkehrssparte der Gruppe Vivendi Environnenment, die seit rund 150 Jahren kommunale und industrielle Dienstleistungen in den Bereichen Wasserversorgung, Energieverteilung, Abfallwirtschaft und Verkehr erbringt. In Deutschland ist Connex das größte private Verkehrsunternehmen; bisher dominieren hierzulande allerdings noch die staatlichen Unternehmen. Das Mediengeschäft von Vivendi Universal, das in Berlin und Brandenburg durch Universal Music und den Babelsberger Filmstudios ebenfalls große Bedeutung hat, ist von Vivendi Environnement inzwischen getrennt.

SIGNAL: Wo innerhalb des VBB-Gebietes sind Sie bisher beauftragt?

Leister: In Berlin und Brandenburg sind wir mit der Industriebahn Berlin, der Niederbarnimer Eisenbahn als Infrastrukturbetreiber der „Heidekrautbahn", mit der Schöneiche-Rüdersdorfer Straßenbahn, mit der Lausitzbahn im SPNV Cottbus - Görlitz - Zittau und mit den Interconnex-Zügen der Ostmecklenburgischen Eisenbahn vertreten.

SIGNAL: Hat Connex in Deutschland Erfahrungen mit Betrieb von S-Bahnen?

Leister: Ja, auch in Deutschland mit der Rheinisch-Bergischen Eisenbahn, die die S-Bahn-Linie S 28 Kaarst - Düsseldorf - Mettmann mit spurtstarken Dieseltriebzügen im Auftrag der Regiobahn betreibt. Diese Linie ist voll in das Düsseldorfer S-Bahn-Netz integriert und fährt zwischen Neuss und Düsseldorf Gerresheim mit etlichen anderen elektrischen S-Bahn-Linien auf demselben Gleis.

SIGNAL: Warum haben Sie für Ihr Angebot ausgerechnet die Ringbahn ausgewählt?

Leister: Die Ringbahn ist derzeit meisten vernachlässigt. Die großen stadtentwicklungspolitischen Chancen, die die Ringbahn bietet, werden vernachlässigt, weil die Ringbahn nicht für sich betrieben wird, sondern als Teil der Radiallinien betrieben wird. Historisch war die S-Bahn ein Netz der Stadt-, Ring- und Vorortbahnen; damals wurde der Ring ganz selbstverständlich als etwas Besonderes dargestellt.

SIGNAL: Ihr Konzept sieht einen Vollringverkehr auf dem Ring vor, bei dem die Züge für eine Umrundung genau eine Stunde benötigen, während die Züge der S-Bahn Berlin GmbH heute 63 Minuten benötigen. Wie wollen Sie das schaffen?

Leister: Höhere Beschleunigung und bessere Bremswerte durch Fahrzeuge mit Allrad-Antrieb ermöglichen eine Verkürzung der Fahrzeit.

Montage von S-Bahn-Wagen im Bombardier-Werk Henningsdorf. Werden hier bald auch Wagen für die Connnex-Ringbahn gefertigt? Foto: Bombardier

SIGNAL: Sie schlagen vor, dass abschnittsweise die Züge der S-Bahn Berlin GmbH, die von Schöneweide und Pankowkommen, künftig weiterhin auf dem Ring fahren könnten. Werden Sie damit nicht genau dieselben Probleme bei der Fahrplaneinhaltung und Pünktlichkeit bekommen, wie sie heute die S-Bahn Berlin GmbH schon hat?

Leister: Das Grundgerüst der Ringbahn-Züge ist damit hoffentlich trotzdem pünktlicher zu bekommen. Ein völlig losgelöster Ringbahn-Verkehr wäre sicher noch pünktlicher, aber entspricht nicht den Kundenerwartungen, die zum Beispiel von Schöneweide direkt auf den Südring fahren wollen.

SIGNAL: Ihr Konzept geht von der Existenz der Neubaustrecken vom Nordring zum so genannten Hauptbahnhof-Lehrter Bahnhof aus. Nach IGEB-Informationen werden diese jedoch erst ungefähr 2009/2010 zur Verfügung stehen. Ist damit Ihr Fahrplankonzept für 2006 gefährdet?

Leister: Nein, diese Züge sind zwar in unserem Programm enthalten, können aber auch als Verstärkerzüge nur auf dem Ring fahren oder ganz entfallen.

SIGNAL: Die DB AG will die historischen Gebäude des ehemaligen S-Bahn-Betriebswerks Papestraße abreißen, sie aber wollen diese erhalten und nutzen. Welche Pläne haben sie?

Leister: Das S-Bw Papestraße ist hervorragend für den Ringbahn-Verkehr geeignet. Dort können auch immer Züge „einspringen", wenn Störungen auftreten. Ein Abriss wäre ein großer Fehler; unsere Vorväter haben hier sehr weise bei der Anlage dieser Betriebsstätte behandelt.

SIGNAL: DB Regio AG spart auf immer mehr Strecken die Zugbegleiter ein. Sie aber wollen nun in jedem Vollringzug einen Zugbegleiter mitfahren lassen. Was sind deren Aufgaben? Ist das finanzierbar?

Wagenfertigung für die S-Bahn Berlin GmbH im Bombardier-Werk Henningsdorf. Foto: Bombardier

Leister: Kundenbetreuung ist für uns nicht nur ein Kostenfaktor, sondern ein wesentliches Mittel, eine andere Atmosphäre im Zug zu erreichen, somit mehr Fahrgäste zu gewinnen und Vandalismus zu vermeiden, also auch wieder die Erlöse zu steigern und Kosten zu senken. Es macht keinen Sinn, die Kundenbetreuer einzusparen und dann Sicherheitspersonal einzusetzen.

SIGNAL: Ersetzen die Zugbegleiter das aus IGEB-Sicht wichtige Personal auf den Bahnsteigen?

Leister: Personal im Zug ist in jedem Fall wichtig. Das Personal auf dem Bahnsteig dient heute ja nicht der Kundenbetreuung, sondern der Zugabfertigung, dieses Personal ist in aller Regel von den Kunden gar nicht ansprechbar. Das macht keinen Sinn.

SIGNAL: Wenn die Verkehrsleistungen auf dem Ring über eine Ausschreibung vergeben werden, vergeht bis zu einem Zuschlag viel Zeit. Bis wann brauchten Sie eine Vergabeentscheidung, um bereits 2006 auf dem Ring fahren zu können?

Leister: Entscheidend ist die Lieferzeit der Fahrzeuge. Hier müssen wir mit der Industrie noch verhandeln, was konkret machbar ist.

SIGNAL: Die Übernahme des Verkehrs auf dem Ring erfordert große Investitionen. Für wie viele Jahre müsste der Zuschlag erteilt werden, damit Sie dieses Ausgaben verantworten können.

Leister: Die Investitionen sind notwendig für die Werksanlagen und die Fahrzeuge. Diese Investitionen können auf Dauer nur in Berlin und für Berlin genutzt werden. Wenn der Aufgabenträger Berlin eine langfristige Weiternutzung dieser Ressourcen sichert, ist die Dauer des Verkehrsvertrages zweitrangig.

SIGNAL: Wie wollen Sie Ihre Fahrgäste, und solche, die es werden könnten, über Ihr Angebot informieren?

Leister: Marketing ist ein wesentliches Mittel, um die Ringbahn wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken. Wir werden mit allen Interessenten entlang der Ringbahn, also den Einkaufszentren, den Hotels usw., eng zusammenarbeiten, um die Ringbahn herauszustellen. Ansonsten soll die Ringbahn auch weiter ein integraler Bestandteil des Berliner ÖPNV-Netzes sein, über das alle gemeinsam informieren. Hier sind wir trotz der zeitweisen Ausgrenzung des Interconnex aus den Bahn-Informationsmedien schon weiter, als manche wahrhaben wollen. So informiert zum Beispiel die BVG ganz selbstverständlich auch über den Interconnex.

SIGNAL: Wohin kann man sich mit Beschwerden und Kritik aber auch mit Anregungen wenden?

Leister: Wie überall bauen wir auch für die Ringbahn ein Beschwerde-System auf und informieren auch den Aufgabenträger transparent über Art und Zahl der Beschwerden bzw. der Anregungen. Vor allem muss aber die Kundeninformation im Störungsfall dramatisch besser werden, man darf die Fahrgäste nicht auch noch bewusst in Strecken hineinfahren lassen, die gestört sind, in Berlin gibt es ja fast immer gute Umfahrungsmöglichkeiten.

SIGNAL: Haben Sie noch weitere Projekte im S-Bahn- oder sonstigen Bahnverkehr in Berlin vor?

Leister: Berlin ist ein wichtiger Auf kommenspunkt für Fernverkehr, im Nahverkehr werden wir uns bei den hoffentlich bevorstehenden Ausschreibungen bewerben.

SIGNAL: Was sind die größten Erwartungen Ihres Unternehmens in der Bundeshauptstadt?

Leister: Durch die im Bundesvergleich relativ geringere Pkw-Benutzung ist Berlin ein hervorragender ÖPNV-Markt und guter Markt im Fernverkehr, allerdings ist der Qualitätsanspruch der Berliner auch sehr hoch. So loben alle Touristen den guten Service der BVG, während die Berliner mit Kritik nicht zurückhaltend sind. Für uns sind diese kritischen, aber guten Kunden des Berliner Marktes eine Herausforderung.

Herr Leister, wir bedanken uns bei Ihnen und wünschen Ihnen sowie den Fahrgästen mit Ihren Vorhaben den angemessenen Erfolg.

Das Interview führte Gerhard J. Curth

IGEB/DBV

aus SIGNAL 1/2003 (Februar/März 2003), Seite 6-7