Schienenverkehrswochen 2003
Unter großer Publikumsbeteiligung fand am 22. September 2003 im BVG-Betriebshof Müllerstraße der diesjährige Sprechtag für Busfahrgäste statt.
1. Jan 2004
Im hellen Tagungsraum mit bequemen Arbeitssesseln und freundlicherweise von der BVG angebotenen (Frei-)Getränken wurde die Veranstaltung von IGEB-Abteilungsleiter Stadtverkehr, Artur Frenzel, eröffnet. Von der BVG standen der Betriebsdirektor Omnibus, Herr Müller, für die Technik Herr Balling und - wie jedes Jahr - für alle Fragen des täglichen Betriebsablaufes, Herr Graetz, zur Verfügung. Breiten Raum nahm die Vorstellung des neuen Doppeldeckers ein, der nächstes Jahr mit einem Prototyp in Betrieb geht. Der dreiachsige, 13,70 Meter lange, 2,55 Meter breite, 4,06 Meter hohe, 305 PS starke, für 80 Sitzplätze und zwei Rollstühle ausgelegte und mit Klimaanlage ausgestattete Bus wird der erste Neubau eines Doppelstock-Busses in Berlin seit 1995 sein (in Signal 5/2003 auf Seite 17 findet sich ein Foto).
BVG-interne Überlegungen haben letztlich zum Entschluss für einen neuen Doppeldecker geführt. Der Anschaffungspreis liegt in etwa genauso hoch wie der für einen Gelenkbus, bei den Betriebskosten erhofft man sich sogar kostenvorteile. Neben der zunächst auf 101 Wagen ausgelegten ersten Serie, für deren Betriebseinsatz das Jahr 2005 genannt wird, besteht eine Option auf weitere 100 Fahrzeuge. Die Gesamtanzahl der in Berlin eingesetzten Doppeldecker soll mit ca. 400 bis 450 Wagen in etwa auch weiterhin dem Bestand entsprechen, der heute einsatzbereit vorhanden ist. Daneben geht auch die Beschaffung von 86 neuen Gelenkbussen sowie von 12 Meter-Standard-Wagen in diesem und im nächsten Jahr weiter. Die Standard-Busse werden künftig wieder mit zwei Türen geliefert, was den Sitzplatzanteil dieser Busse, gegenüber den zuletzt mit nur noch 26 Sitzplätzen ausgestatteten Bussen, erfreulicherweise erhöht. Bis zum Jahr 2005 wird das Durchschnittsalter aller eingesetzten Busse deutlich gesenkt.
In den folgenden Diskussionsrunden führten Fragen aus dem Publikum gleich zur Problematik undurchschaubarer Fensterscheiben durch Fahrzeugganzreklame. Da Geldquellen aller Art für die BVG heutzutage Priorität haben und Innenstadtlinien bei Werbeaufträgen besonders gefragt sind, darf man leider nicht davon ausgehen, dass die neue Doppeldecker- Generation davon verschont bleibt.
Die damit angeschnittene Frage der Finanzsituation bei der BVG und deren Auswirkungen auf die Fahrgäste dominierte den ganzen Abend und spielte bei nahezu allen wesentlichen Antworten die entscheidende Rolle. Fazit: Die - ohnehin nicht ausreichenden - Zuschüsse des Berliner Senats an die BVG werden kontinuierlich heruntergefahren mit der Folge, dass dadurch auch die Nutzwagenkilometer der BVG stetig sinken müssen, da die BVG selbst finanziell bekanntlich mit dem Rücken zur Wand steht. Den drastischen angebotsreduzierungen vom Sommer dieses Jahres (zum Beispiel die Linien 142 und 347 in Friedrichshain, 248 in Kreuzberg), die teilweise auf starken öffentlichen Druck wieder rückgängig gemacht werden mussten, folgten mit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2003 bereits weitere.
Auch andere Antworten der BVG lassen den Rückschluss zu, dass wesentliche Verschlechterungen, auch im Betriebsalltag, letztlich durch kontraproduktives Handeln im Berliner Senat oder diverser nachgeordneter Behörden zustande kommen. Auf der einen Seite soll die BVG Kosten sparen, auf der anderen Seite mangelt es aber massiv an der Unterstützung des Senats bei der Umsetzung Geld einsparender Maßnahmen. Ist es erforderlich, dass eine Linie zum Beispiel eine neue Endstelle erhält, um Kosten für unnütze Wendefahrten zu sparen, heißt es mit einmal von der Polizeibehörde: Das geht nicht, es könnten durchfahrende Autos durch wendende Busse behindert werden (Rudower Straße, Haltestelle Krankenhaus Neukölln, Linie 181).
Beim Thema Busspuren heißt es: Wir (die Polizei) haben nicht genug Leute, um die Busspuren wirksam überprüfen zu können. In der Praxis sind diese dann für Busse durch parkende oder ladende Pkws und Lkws nicht oder nur eingeschränkt befahrbar und bringen keine Zeitvorteile für den Bus. Damit ist eine Kostensenkung durch geringere Fahrzeiten und entsprechend geringere Fahrzeugumläufe nicht möglich. Aus dem Publikum wurde in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass Schwarzfahrer stärker bestraft werden als Falschparker, die Busse behindern.
Veränderungen von Haltestellenlagen reihen sich nahtlos in dieses Thema ein. Der von einem Zuhörer vorgetragene Wunsch zur sinnvollen Veränderung von Haltestellenlagen in der Neuköllner Hermannstraße Ecke Herrfurthstraße, (U-Bahnhof Leinestraße) war auch von der BVG bereits erkannt worden. Dennoch geht nichts, die Behörde lehnte ab. Irgendwer könnte wohl scheinbar immer irgendwo von einem Bus behindert werden, so dass Änderungen für Fahrgäste und Verkehrsbetrieb nur in sehr „überschaubaren" Maß möglich sind. Aus all diesen Fragen und Antworten ergab sich zumindest ein sicheres Bild: Von einem Umdenken des Berliner Senats in Richtung einer ÖPNV-freundlichen Stadt, wie von vielen Politikern suggeriert wird, ist Berlin meilenweit entfernt. Vorrang hatte und hat weiterhin eindeutig das Auto. Insofern saßen die falschen Ansprechpartner auf dem Podium, viele Fragen sollten an die Politik gerichtet werden.
Bei anderen vorgetragenen Kritikpunkten allerdings bekam auch die BVG „ihr Fett weg". In Hellersdorf, Riesaer Straße befindet sich eine der wenigen in Berlin bestehenden vorbildlichen Umsteigeanlagen an der Straßenbahnwendeschleife. Bis zum letzten Fahrplanwechsel war ein optimales Umsteigen zwischen den Straßenbahn-Linien 6 und 18 sowie der Buslinie 195 möglich. Aus Gründen der Zeitersparnis fährt die Linie 195 nun an dieser Umsteigeanlage vorbei! Umsteiger müssen jetzt an der nachfolgenden Haltestelle versuchen, die Straße zu überqueren, um die Haltestellen-Mittelinsel der Straßenbahn und den ankommenden Zug zu erreichen - ein zuweilen lebensgefährliches Unternehmen.
Ebenfalls berechtigte Kritik wurde laut über immer wieder auftretende Informationsdefizite bei Umleitungen und kurzfristig auftretenden Sperrungen. Die „Wunderwaffe" RBL (Rechnergestütztes Betriebsleitsystem) löst - anders als bei früheren Sprechtagen immer wieder behauptet - auch zwei Jahre nach ihrer Einführung nicht alle Probleme. Vorgetragene Beispiele aus dem Publikum über Fehlschläge bei Umleitungen und Ersatzverkehren sowie auch nach wie vor immer wieder vorkommende Fehlanschlüsse in Anschlussicherungspunkten in den Schwachverkehrszeiten belegten, dass trotz Verbesserungen bei der Information von Fahrgästen noch immer Verbesserungsbedarf besteht. Auch hier kündigte Herr Graetz Verbesserungen an. So soll noch in diesem Jahr der erste Daisy-Haltestellenanzeiger an der Straßenbahn-Linie 6 installiert werden; weitere 80 Geräte, auch für den Busbereich, sollen folgen. Auch der Informationsfluss zwischen verschiedenen Verkehrsträgern (zum Beispiel zwischen S-Bahn/Bus) soll verbessert werden. Vom Verband Deutscher Verkehrsbetriebe (VDV) wird an einer gemeinsamen „Übergangssprache" zwischen verschiedenen technischen Systemen gearbeitet. Geldknappheit kann eine Umsetzung in der Realität allerdings verzögern.
Erst zu sehr später Stunde endete dieser Sprechtag und noch immer blieben wohl einige Fragen unbeantwortet. Dank gebührt den BVG-Gesprächspartnern, mit großer Geduld möglichst allen Fragestellern zufriedenstellende Antworten zu geben. Hervorzuheben ist die hohe sachliche Kompetenz, gepaart mit einem lockeren Umgangston, mit dem vor allem der am meisten befragte Herr Graetz es verstand, auch diese Veranstaltung, trotz vieler Negativ-Meldungen, zu einem angenehm men Informationsabend zu machen. Dafür sagen wir danke.
IGEB Stadtverkehr
aus SIGNAL 6/2003 (Dezember 2003/Januar 2004), Seite 15-16